Denkmalschutz-Streit um Naumburger Altar führt nach Rom

Wie ein erfrorener Obdachloser zu Petrus auf einem Flügelaltar wurde

Rund um den Vatikan leben viele Obdachlose, auch für sie ist der Winter eine Bedrohung. Als 2022 einer von ihnen erfriert, trauert auch der Papst. Nun kehrt der Verstorbene zurück - auf einem umstrittenen Bild.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Peter Klasvogt, Rektor des deutschen Friedhofs Campo Santo Teutonico in Rom, bei der Vorstellung des Altaraufsatzes aus dem Naumburger Dom, gestaltet von den Künstlern Lukas Cranach und Michael Triegel. Im mittleren Flügel mit roter Baseball-Kappe der deutsche Obdachlose Burkhard Scheffler. / © Sabine Kleyboldt/KNA (KNA)
Peter Klasvogt, Rektor des deutschen Friedhofs Campo Santo Teutonico in Rom, bei der Vorstellung des Altaraufsatzes aus dem Naumburger Dom, gestaltet von den Künstlern Lukas Cranach und Michael Triegel. Im mittleren Flügel mit roter Baseball-Kappe der deutsche Obdachlose Burkhard Scheffler. / © Sabine Kleyboldt/KNA ( KNA )

Dem Campo Santo Teutonico neben dem Petersdom ist ein Glanzstück in Sachen Kunst und Ökumene gelungen: Seit diesem Sonntag wird der berühmte Cranach-Triegel-Altar aus dem Naumburger Dom für zwei Jahre als Leihgabe in dem deutschsprachigen Zentrum in Rom gezeigt. Während die evangelische Gemeinde in Naumburg um ihren 2018 verliehenen Unesco-Welterbetitel kämpft, erhält das 1,3 Tonnen schwere und in den Augen der Unesco umstrittene Kunstwerk Asyl in der katholischen Kirche Santa Maria della Pietà im Schatten des Vatikans.

Streit um das Weltkulturerbe

Die Vereinigten Domstifter Naumburg hoffen, dass sich in dieser Zeit eine Lösung für den aus mittelalterlichen und modernen Elementen geschaffenen Altaraufsatz finden wird, der den Unesco-Gremien zu dominant für den Standort im Westchor des Naumburger Doms erscheint. Die Mitteltafel des um 1520 von Lucas Cranach (1472-1553) geschaffenen Flügelaltars wurde im Zuge der Reformation zerstört und 2022 von Michael Triegel neu gestaltet. 

Triegel betonte bei dem Festakt in Rom, auch er sei dankbar für das "Kirchenasyl", das dieses Kunstwerk nun gefunden habe. Die Argumente gegen die Aufstellung im Naumburger Dom wies auch er als nicht sachgemäß zurück. 

Zugleich merkte er an, dass der Streit um das Bild auch sein Gutes habe. Durch die Aufstellung des Kunstwerks in unmittelbarer Nähe zum Petersdom gebe es ein neues Element der Versöhnung zwischen den beteiligten christlichen Konfessionen, das es ohne den Streit nicht gegeben hätte. Daher thront das mächtige Kunstwerk nun erst einmal in der Apsis der kleinen Marienkirche in Rom - und es sieht aus, als wäre es für sie geschaffen.

Marienaltar im Naumburger Dom / © Rico Thumser (epd)
Marienaltar im Naumburger Dom / © Rico Thumser ( epd )

Schicksal eines deutschen Obdachlosen

Dass diese Geschichte auch ein anrührendes Detail um das Schicksal eines obdachlosen Deutschen bereithält, hatten vermutlich weder die Vertragspartner aus Sachsen-Anhalt noch die Erzbruderschaft des Campo Santo geahnt. Denn auf der Mitteltafel hat Triegel, der bereits Papst Benedikt XVI. (2005-2013) porträtierte und zum katholischen Glauben fand, viele Figuren nach realen Vorbildern verewigt; darunter seine 16-jährige Tochter als Maria, einen Juden an der Klagemauer als Paulus und Burkhard Scheffler. Der Deutsche lebte seit etwa 2010 ohne festen Wohnsitz auf Roms Straßen und erfror im November 2022 nahe den Kolonnaden des Petersdoms im Schlaf.

Auch Papst Franziskus (2013-2025), der unermüdlich zur Hilfe für sozial benachteiligte Menschen aufrief, trauerte damals um den Mann. Er war trotz der Fürsorge kirchlicher Sozialarbeiter für die Obdachlosen rund um den Vatikan unbemerkt gestorben.

Als Protestant auf katholischem Friedhof

Für Schefflers Beisetzung wollte niemand aufkommen. Daher beschlossen die Verantwortlichen des Campo Santo Teutonico, den Mittellosen auf dem Friedhof zu beerdigen, wo seit rund 1.200 Jahren Pilger aus deutschsprachigen Ländern ihre letzte Ruhe finden. Dass Scheffler evangelisch war, spielte bei seiner spendenfinanzierten Beisetzung im Juni 2023 angesichts der für alle Christen gültigen Taufe keine Rolle. So ist der tragisch Gestorbene der einzige Protestant, der auf dem uralten baumbestandenen Friedhof begraben ist.

Und damit schließt sich ein Kreis: Während Scheffler unter einer schlichten Grabplatte direkt an der Kirchenmauer ruht, ist er ab sofort in der Kirche als Heiliger Petrus mit grauem Bart und roter Basecap auf Triegels Altar-Bild zu sehen. Ein erstaunlicher Zufall.

Unerwartete Episode im Naumburger Bilderstreit

Der Kunsthistoriker Andreas Raub, der die Leihgabe maßgeblich initiiert hatte, sprach von einer unerwarteten Episode im Naumburger Bilderstreit. Campo-Santo-Rektor Peter Klasvogt verwies auf den eigentlichen Altar der Kirche von 1502, auf dem die um ihren Sohn trauernde Muttergottes dargestellt ist, und den Gast-Altar mit Maria und dem Jesuskind. Hier stünden sich Geburt und Tod in einem theologisch-existenziellen Zwiegespräch gegenüber.

Cranach-Triegel-Altar / © Rico Thumser (epd)
Cranach-Triegel-Altar / © Rico Thumser ( epd )

Camerlengo Franco Reale erinnerte an die konfessionellen Spannungen, die vor rund einem halben Jahrtausend in der Frühphase der Erzbruderschaft in Deutschland herrschten. "Dass wir diesen Altar jetzt in ökumenischer Verbundenheit gastfreundschaftlich aufnehmen, ist eine ganz wunderbare Sache für uns als katholische Gemeinde."

Organisatorisch passe die Leihgabe auch deshalb, da die Vorbereitungen für die fälligen Sanierungsmaßnahmen auf dem Gelände gerade abgeschlossen seien und man in den nächsten Wochen den Förderantrag stellen wolle, so der Jurist. Dafür hatte der Deutsche Bundestag bereits vor Jahren 16 Millionen Euro bewilligt.

Aufbau, Beleuchtung, Versicherung

Für Aufbau und Beleuchtung des Naumburger Altars kommt der Campo Santo auch mit Hilfe einer eigenen Stiftung auf. Die Versicherungssumme von rund zwei Millionen Euro teilt er sich mit den Vereinigten Domstiftern Naumburg. Und die Transportkosten übernahm das Land Sachsen-Anhalt.

Campo Santo Teutonico (Deutscher Friedhof) im Vatikan

Blick auf den Campo Santo Teutonico / © Anastasia Prisunko (shutterstock)
Blick auf den Campo Santo Teutonico / © Anastasia Prisunko ( shutterstock )

Der "Deutsche Friedhof" neben St. Peter befindet sich an der Südseite des Vatikanischen Hügels und ist seit dem 14. Jahrhundert als "Campo Santo Teutonico" bekannt. Es ist die älteste deutsche Nationalstiftung in Rom auf dem Gelände des neronischen Zirkus bei St. Peter, in dem 64 n. Chr. die ersten römischen Christen als Märtyrer starben.

Quelle:
KNA