Mit 127 Metern Höhe, 126 Metern Länge und 68 Metern Breite gehört sie fortan zu den größten religiösen Bauten der Welt. Man darf es so sagen: Rumänien kann Erlösung durchaus brauchen. Die Politik ist weitgehend verkeilt, der Kampf gegen die grassierende Korruption im Land eine Dauer- und Mammutaufgabe. Das Land hat turbulente Monate hinter sich: einen aufreibenden Präsidentenwahlkampf, den Rücktritt des Regierungschefs und zuletzt eine ziemlich zerbrechliche Koalitionsregierung ohne klare Mehrheiten.
Dazu kommen eine handfeste Haushaltskrise und eine von wirtschaftlichen Umwälzungen frustrierte Bevölkerung, die von einem tiefen Misstrauen gegenüber der Politik geprägt ist. Doch diese triste Lage ist sicher nicht der einzige Grund, warum am Wochenende etwa zehntausend Menschen aus dem ganzen Land zur Eröffnung der "Kathedrale der Erlösung des Volkes" in die Hauptstadt pilgerten, viele von ihnen mit Bussen. Staatsoberhaupt Nicusor Dan, Ministerpräsident Ilie Bolojan und die moldauische Präsidentin Maia Sandu kamen ebenso wie Mitglieder der einstigen Königsfamilie und ehemalige Staatsoberhäupter.
Fünf Stunden, live übertragen
Auch das Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie wohnte der vom rumänisch-orthodoxen Patriarchen Daniel geleiteten Zeremonie bei: der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel. Die Weihe selbst begann mit drei Lesungen aus dem Evangelium durch Daniel und Bartholomaios sowie Metropolit Teofan von der Bukowina in der Vorhalle der Kirche. Der gesamte, mehr als fünf Stunden dauernde Gottesdienst mit der Segnung der Mosaiken wurde live vom rumänischen Sender Trinitas TV übertragen.
Dass nicht alle Oberhäupter der orthodoxen Nationalkirchen anwesend waren, liegt an einer anhaltenden innerorthodoxen Krise. Der Streit um die Anerkennung einer von Moskau unabhängigen Nationalkirche der Ukraine machte das Fest der Kircheneröffnung in Bukarest auch zu einem kirchendiplomatischen Stresstest. Wie nicht anders zu erwarten, wich der zum mächtigen Moskau hinneigende Teil der Weltorthodoxie der Begegnung mit dem ukrainefreundlichen Bartholomaios I. aus. Schließlich hatte man dem traditionellen Ehrenoberhaupt von rund 300 Millionen orthodoxen Christen weltweit schon 2019 die eucharistische Gemeinschaft aufgekündigt.
Von der Idee zum Bau: 150 Jahre
Die Idee zum Bau einer neuen rumänischen Nationalkirche war bereits mehr als 150 Jahre alt, bestand schon unter König Karl I.
(1866/81-1914). Die bisherige Kathedrale Sankt Konstantin und Helena aus der Mitte des 17. Jahrhunderts war ursprünglich eine Klosterkirche und wurde erst spät zur Bischofskirche. Mit ihren nur rund 500 Plätzen war sie schon lange viel zu klein. Mit der Gründung des rumänischen Patriarchats 1925 wurde sie zwar zur Hauptkirche des Landes, aber im Grunde stets als Provisorium empfunden.
Vor allem der national gesinnte Patriarch (1919/25-1939) und Ministerpräsident Miron Cristea verfolgte die ehrgeizige Vision eines Neubaus. Er soll auch den Namen geprägt haben: Kathedrale der Erlösung des Volkes. Bis der Wunsch nach einem Neubau als "Symbol der rumänischen Seele" realisiert werden konnte, waren allerdings zunächst der Zweite Weltkrieg sowie vier harte Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft zu überwinden. Nach der Wende von 1989/90 trieb der greise Patriarch Teoctist I. (1986-2007) das Projekt entschlossen voran, ebenso wie sein Nachfolger, Patriarch Daniel (74).
Gegenwind vom Bürgermeister
2004 erhielt das Patriarchat fünf Hektar Land für den Bau. Allerdings focht der damalige Oberbürgermeister und spätere Staatspräsident Traian Basescu die Umsiedlung gerichtlich an; die Kirche musste sich einen anderen Bauplatz suchen: auf dem Arsenalhügel, in unmittelbarer Nähe des Parlaments. Gut sieben Jahre nach der Grundsteinlegung 2010 erfolgte 2018 die Weihe der Kathedrale an die Auferstehung Christi und den heiligen Andreas, der am Beginn des Christentums in der Dobrudscha das Evangelium verkündete. Laut Kirchenangaben war die Nationalkathedrale da schon zu 96 Prozent fertiggestellt. Fehlte noch die Innenausstattung.
Die "Kathedrale der Erlösung des Volkes" mit ihrer Raumfläche von 7.200 Quadratmetern und 600 Fenstern hat eine ähnliche Symbolkraft wie die Hauptkirche der serbischen Orthodoxie, die Ende 2017 geweihte Kuppelkirche Sankt Sava in Belgrad. Insgesamt wurden 25.000 Quadratmeter mit Mosaiken und Fresken gestaltet. Zwei große Mosaik-Ikonen am Eingang zeigen die Apostel Andreas und Philippus. Die Ikonostase mit mehr als 400 Quadratmetern Gesamtfläche ist nach Kirchenangaben die größte der Welt.
270 Millionen Euro
Rund 270 Millionen Euro hat der Bau laut jüngsten Medienberichten gekostet. Nach Angaben des rumänischen Patriarchats stammen rund drei Viertel davon vom Staat sowie von Stadtrat, Kommunen und Landkreisen. Für den Innenausbau mit prachtvollen Mosaiken setzte man auf Großspender und Patenschaften sowie auf Eigenmittel des Patriarchats. Kritik gab es nicht nur an den hohen Kosten. Die Kirchenleitung hatte auch einen ursprünglich moderneren Entwurf des Architekten Augustin Ioan verworfen und einen traditionellen Kirchenbau beauftragt.
Fortan soll die Kathedrale als geistiges und kulturelles Zentrum des Landes dienen. Die letzten Arbeiten sollen bis 2027 abgeschlossen sein. Der Baukomplex in der Nähe des rumänischen Parlamentspalastes umfasst auch zwei Mehrzweckhallen für je 1.000 Personen, zwei Pilgerherbergen sowie eine Suppenküche. Und einen Superlativ hat Rumäniens Nationalkathedrale dem Kölner Dom schon 2016 abgejagt: In der Innsbrucker Gießerei Grassmayr wurde die größte freischwingende Glocke der Welt gegossen, mit einem Durchmesser von 3,35 Metern und 25,2 Tonnen Gewicht. Der "Decke Pitter" in Köln bringt es "nur" auf
3,22 Meter und 24 Tonnen.