DOMRADIO.DE: König Charles ist offiziell weltliches Oberhaupt der anglikanischen Kirche, während der Erzbischof von Canterbury, oder jetzt die Erzbischöfin, das geistliche Oberhaupt ist. Ist Charles so etwas wie der Papst der Anglikaner?
Reverend Christopher Easthill (Anglikaner, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland, ACK): Nein, aus zweierlei Hinsicht nicht. Erstens ist die Funktion von Charles als weltkirchliches Oberhaupt eine Funktion, die sich ausschließlich auf die Kirche von England bezieht, die nur ein kleiner Teil der anglikanischen Gemeinschaft ist. Und auch dort ist seine Funktion, die es seit der Reformation gibt, nicht nur zeremoniell. Man merkt, dass er das sehr ernst nimmt, deswegen gibt es auch diesen heutigen Gottesdienst. Nichtsdestotrotz, ist er nur formal der weltliche Leiter der Kirche.
Diese formale Funktion haben wir gerade gesehen bei der Ernennung der neuen Erzbischöfin von Canterbury. Eine kirchliche Kommission hat einen Vorschlag gemacht, das ist in der Kirche erarbeitet worden. Dieser eine Vorschlag ist ihm vorgelegt worden, den hat er akzeptiert und dann hat er Sarah Mullally nominiert.
DOMRADIO.DE: Wie ist denn das bei Ihnen? Schlagen da jetzt als Anglikaner und als Ökumene-Vertreter zwei Herzen in Ihrer Brust?
Easthill: Ich empfinde das natürlich als Anglikaner und auch als Engländer als ein historisches Ereignis heute. Es hat mich sehr gefreut, das zu sehen, auch als Ökumeniker. Es sind auch nicht nur der Papst und der König am heutigen Gottesdienst beteiligt. Auch der Erzbischof von York ist dabei, das ist der Zweite in der kirchlichen Hierarchie in England, der während der Zeit der Vakanz viele Vertretungsfunktionen übernommen hat.
Es ist also wirklich ein echter ökumenischer Gottesdienst. Ich sehe darin auch ein positives Zeichen. Als Sarah Mullally als Erzbischöfin ernannt oder nominiert worden ist, wurde mir die Frage gestellt, ob das den Dialog mit der katholischen Kirche beeinträchtigen wird. Ich habe gesagt: Ich glaube nicht, wir haben schon vorher Bischöfinnen und Priesterinnen und Diakoninnen gehabt.
Ich glaube, das zeigt auch, dass diese Bereitschaft, gemeinsam für die wichtigen Themen Einheit und Bewahrung der Schöpfung zu beten, immer noch gilt. Diese beiden Themen, Einheit und Bewahrung der Schöpfung, sind für mich als ACK-Vorsitzender wiederum auch sehr wichtig. Das sind für uns auch zwei große Schwerpunkte.
DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist dieser gemeinsame Gottesdienst heute für die Ökumene?
Easthill: An einer so prominenten Stelle im Vatikan, in der Sixtinischen Kapelle, ein Gebet zu haben mit einem Vertreter, dessen Vorgänger – damals Heinrich VIII. – die Kirche aus der Bindung zu Rom genommen hat, ist einfach ein riesiges Versöhnungszeichen.
Und Versöhnung heißt ja, die Unterschiede, die sich über die Zeit entwickelt haben, zu akzeptieren und sie vielleicht sogar zu feiern, weil wir da viel Positives drüber gewonnen haben. Gleichzeitig wird das Gemeinsame gesehen. Versöhnung ist für mich als Ökumeniker immer eine gute Sache. Der Gottesdienst heute ist definitiv auch ein Zeichen dafür.
DOMRADIO.DE: Gab es in der Geschichte schon ähnliche ökumenische Gesten zwischen der anglikanischen und der römisch-katholischen Kirche?
Easthill: Die Mutter von Charles, Königin Elisabeth, hat ja bereits 1961, als erste Monarchin damals überhaupt, den Vatikan besucht, bei der offiziellen Staatsvisite. Das ist ja heute auch eine Staatsvisite, keine kirchliche Visite. Kurz danach und über die Jahre sind immer wieder Erzbischöfe von Canterbury da gewesen und haben mit dem jeweiligen Papst gebetet. Und ich glaube, Ringe ausgetauscht. Es hat viele Zeichen zwischen unseren Kirchengemeinschaften gegeben in Bezug darauf, was wir gemeinsam haben.
Und es gab auch gemeinsame Arbeiten und einen gemeinsamen Einsatz für den Frieden. Ich denke an die Reise vom Papst Franziskus mit dem damaligen Erzbischof Justin Welby und den leitenden Geistlichen der schottischen Kirche im Südsudan. Da hat man sich gesagt: Wir vertreten hier drei große Kirchen, lasst uns gemeinsam auftreten, lasst uns gemeinsam einsetzen für den Frieden. Es gibt also sehr viel, was wir getan haben.
DOMRADIO.DE: In Deutschland arbeiten viele Kirchen bereits eng zusammen. Was können Rom und Canterbury vielleicht von der ökumenischen Praxis hierzulande lernen?
Easthill: Unsere ökumenische Praxis hier in Deutschland ist bedingt durch die Geschichte von zwei großen Kirchen geprägt. Geografisch verteilt über Deutschland ist mal die eine und mal die andere Kirche die große. Es gibt aber auch sehr viele kleinere Kirchen. Unsere ökumenische Praxis hier in Deutschland nennen wir multilateral: Wir binden viele verschiedene Kirchen ein und suchen nach Gemeinsamkeiten und gemeinsamen Themen in einer Vielfalt von Kirchen.
Ich glaube, immer wenn es solche "Elefantentreffen" zwischen zwei Großen gibt, ist es sehr wichtig, dass auch diese kirchliche Vielfalt nicht vergessen wird. Wenn wir etwa fehlendes Wachstum beklagen, dann finden wir häufig in kleinen Kirchen Ideen oder positive Erfahrungen, von denen wir auch lernen können, wie man zum Beispiel neue Schichten oder junge Leute ansprechen kann.
DOMRADIO.DE: Die Erzbischöfin von Canterbury wurde erst vor wenigen Wochen gewählt. Nun gibt es in Ihrer Kirche darüber einigen Unmut. Das geht sogar so weit, dass sich eine Reihe von Teilkirchen der anglikanischen Weltgemeinschaft abgespalten haben, weil sie die Führung einer Frau offenbar nicht akzeptieren. Wie blicken Sie da auf Ihre Kirche? Wird sich das wieder einrenken?
Easthill: Das Schreiben, das herauskam, ist von einem einzigen Primas, von einem Leiter der Kirche von Ruanda, unterschrieben worden. Er ist auch der Vorsitzende dieser konservativen Untergruppierung. Ob sich andere Provinzen, so nennen wir unsere selbstständigen Kirchen innerhalb der anglikanischen Gemeinschaft, dem anschließen, hat sich nicht gezeigt. Es war jedenfalls nicht so, dass alle gleich gesagt hätten, das wollten sie schon immer, sie seien voll mit dabei. Das Schweigen ist schon interessant.
Ich gehe dennoch davon aus, dass sich einige dem anschließen. Aber zumindest was Ruanda betrifft, gegebenenfalls vielleicht auch Nigeria, wenn sie da mitmachen, entspricht es der heutigen Realität. De facto nehmen sie heute schon nicht mehr an den Treffen innerhalb der Anglikanischen Gemeinschaft teil. Ich blicke mit großer Trauer darauf.
Ich finde, eine Stärke der anglikanischen Gemeinschaft war es immer, dass wir sehr unterschiedliche, teilweise widerstrebende Flügel und Meinungen trotzdem in einer Kirche haben halten können und uns trotzdem gegenseitig als Christen akzeptiert und auch Kommunion gefeiert haben.
Es macht mich traurig, dass wir das nicht tun können. Und ich sehe persönlich in den Differenzen keinen Grund, warum es zu dieser Trennung kommt. Ob Sarah Mullally da der Grund war oder einfach eine gute Ausrede, das werden wir mal sehen. Aber was genau passiert, wer sich wirklich lossagt und versucht, eine eigene Gemeinschaft zu bilden, das steht noch gar nicht fest.
Das Interview führte Marcus Poschlod.