23-jährige DOMRADIO.DE-Volontärin kommentiert "Stadtbild"-Debatte

"Ich fühle mich instrumentalisiert!"

"Wir haben immer im Stadtbild noch dieses Problem", sagt Bundeskanzler Merz im Blick auf die Migration in Deutschland. Doch was genau ist das Problem für junge Frauen in unserem Land? Unsere jüngste Kollegin Debora Flock antwortet.

Autor/in:
Debora Flock
Stadtbild-Debatte / © Jennifer Brückner (dpa)
Stadtbild-Debatte / © Jennifer Brückner ( dpa )
Debora Flock (DR)
Debora Flock / ( DR )

Vor wenigen Wochen erst saß ich zwei verschreckten jungen Frauen in der Bahn gegenüber. Ich schätze sie auf sechzehn, vielleicht siebzehn. Ihnen drängte sich ein Mann nahezu auf. Im ersten Moment dachte ich, er müsse betrunken sein. Er wirkte unkoordiniert. Nach einigen Minuten war klar: Die fahrigen Hände streiften nicht ganz ohne Ziel Knie und Oberschenkel. Das hatte System. Auch die anderen Passagiere im Abteil waren aufmerksam geworden. Aber gesagt hat keiner was.

Was hier in der Bahn passiert, ist Teil eines größeren Problems. Die Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz zum "Problem im Stadtbild" spielt auf solche und ähnliche Situationen an. Die Lösung: mehr Rückführungen? Der Bundeskanzler betont, das Problem im Stadtbild könnten besonders die Töchter gut beschreiben. Wer sind denn "die Töchter", Herr Merz? Blonde junge Frauen wie ich? Oder ist auch eine junge Frau gemeint, deren Großeltern als Gastarbeiter nach Deutschland kamen und die sich immer noch täglich als "deutsch genug" beweisen muss? Fragen Sie auch diese Töchter, Herr Merz?

Was ist das Problem im Stadtbild? 

Ist das Problem die wachsende Armut, die Menschen in die Obdachlosigkeit treibt? Ich erinnere nur an Berichte von Studierenden, die in Wohnwagen oder Turnhallen kampieren, da sie keine Wohnungen in Uninähe fanden. Fragen Sie auch diese Töchter, Herr Merz? Geht es Ihnen um den Müll, die fehlenden Rampen, Aufzüge und vor allem – die fehlende Beleuchtung in Fußgängerzonen, Bahnstationen und auf Plätzen?

Oder geht es Ihnen um den Grund, weshalb Frauen nicht mit Kopfhörern joggen, nur mit Taschenlampe am Schlüsselbund das Haus verlassen und auf dem Heimweg telefonieren? Ich mache das alles. Wie häufig habe ich schon Telefonate geschauspielert, wenn ich alleine unterwegs war? Wie häufig habe ich mich umgesetzt in Bussen und Bahnen? Beim Betreten eines Raumes nach Ausgängen und möglichen Bedrohungen gesucht? Und wie häufig habe ich diese Bedrohungen gefunden – und die Ausgänge gebraucht?

Aber wissen Sie was, Herr Merz? 

Weggelaufen bin ich häufig nicht vor "Problemen im Stadtbild". Das Problem, weshalb ich über meine Schulter schaue, sind in erster Linie ältere Männer, oftmals deutschstämmige.

"Du Süße erinnerst mich an meine Enkelin. Komm, lass dich doch mal umarmen", wurde ich mit sechs oder sieben in der Bahn angesprochen. Ein Taxifahrer, der vor der Schule wartete, tätschelte mir die Wange und freute sich über die blonden Locken. Ein Fotograf machte Bilder in der Umkleide und bemerkte: "Die Backstage-Bilder sind einfach so schön natürlich" – keins davon tauchte später in der Cloud auf. Ihre Gemeinsamkeit? Sie alle hätten gut und gerne als harmlose deutsche Opis durchgehen können.

Auch der Mann aus der Bahn, dessen Hand schon wieder Richtung Knie des Mädchens wanderte, sah von außen mitteleuropäisch aus. Ebenso deutsch sahen die Mitfahrenden aus, die plötzlich alle ganz versunken in ihre Handys waren oder in die Aussicht aus dem Zugfenster. Mittlerweile war das Unbehagen deutlich zu spüren und zu sehen. Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten und mischte mich ein: "Die zwei fühlen sich unwohl. Können Sie bitte einen anderen Sitzplatz suchen?" – wenig erfolgreich.

Derjenige, der uns dann am Ende geholfen hat – und das auf absolut geniale Weise – war ein junger Mann, dem Akzent nach vielleicht ein Türke. Er deeskalierte die Situation, indem er den Mann aus der Bahn begleitete, und zwar noch bevor wir selbst aussteigen mussten.

Und der Bundeskanzler?

Friedrich Merz beklagt die "Miesmacherrhetorik" der AfD, die lieber Probleme beschreit, anstatt nach Lösungen zu suchen. Doch so viel anders kann ich seine pauschalisierenden Aussagen auch nicht nennen. Hat er tatsächlich gesagt, dass es ihm um Migranten im Stadtbild geht? Nein, er wälzt diese Aufgabe an die Töchter ab.

Ich fühle mich instrumentalisiert in diesem politischen Machtkampf. Wieder einmal sollen die Frauen erklären, was die Männer verbockt haben. Und die werden nur zu passiven Zuschauern eines Problems, das sie selbst erschaffen.

Herr Bundeskanzler, fragen Sie doch mal die Töchter! Und dann hören Sie bitte ganz genau hin. Wir haben viel zu sagen.

Über die Autorin: Debora Flock ist Volontärin bei DOMRADIO.DE, hat "Sprach- und Kommunikationswissenschaften in der globalisierten Mediengesellschaft" an der Uni Bonn studiert. 

Quelle:
DR

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