DOMRADIO.DE: Es gibt eine eigene Währung. Es gibt eigene Stadtregeln. Es gibt das Grundgesetz. Es gibt Arbeit und Freizeit. Wie sieht so ein normaler Tag in der Kinderstadt aus?
Carolin Boot (Ehrenamtliche Diözesanleiterin der Katholischen Jungen Gemeinde in Köln): Es ist wie eine ganz normale Stadt. Die Kinder gehen morgens in die Stadt rein, können sich einen Job aussuchen bei der Agentur für Arbeit und gehen dann in den Betrieb, den sie sich ausgesucht haben. Sie müssen dann auch erst mal schauen, was sie anbieten, was sie produzieren oder verkaufen möchten und wie teuer das Ganze sein soll? Sie können sich auch aussuchen, dass sie nicht arbeiten gehen möchten und lieber Freizeit genießen möchten. Dann können Sie sich zum Beispiel eine Pizza kaufen. Das können die Kinder ganz frei entscheiden. So wie sie gerade Lust haben.
DOMRADIO.DE: Kinder können einen Wunschjob angeben, aber es gibt keine Garantie, dass sie den auch kriegen. Der Job kann sich innerhalb der Woche dann auch ändern. Das ist so eigentlich nicht realistisch. Was steckt dahinter?
Boot: Es geht vor allem darum, dass Kinder sich ausprobieren können und auch mal einen Job austesten können, den sie sonst nicht unbedingt als Erstes wählen würden. Wenn ein Job mal nicht verfügbar ist, gibt es immer die Möglichkeit, einen anderen Job zu machen. So können die Kinder ausprobieren, wie es vielleicht ist, eine Arbeit zu verrichten, die sie normalerweise nicht gerne machen würden.
DOMRADIO.DE: Wie gelingt es, dass sich so knapp hundert Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren für eine Woche selbst verwalten?
Boot: Das funktioniert total gut. Es gibt ein Stadtparlament und ein Bürgermeisterinnen und Bürgermeister-Team, das sich damit auseinandersetzt, was gerade gut funktioniert und wo man noch einmal anpassen muss. Die bringen dann Vorschläge mit. Jeden Tag gibt es den Rat aller Kinder, wo die Kinder zusammenkommen und gemeinsam noch einmal über Dinge entscheiden, was geändert werden muss, damit alles besser funktioniert.
DOMRADIO.DE: Die KJG-Kinderstadt ist schon ein Erfolgsprojekt. Es gibt sie seit fünfzehn Jahren. Warum ist dieses Konzept für die Kids so wichtig?
Boot: Es ist ein super Angebot, das anders ist als die Angebote, die es sonst gibt. Auf einer Ferienfreizeit geht es viel um Spiel und Spaß, aber in der Kinderstadt kann man noch etwas lernen und Berufe ausprobieren für das spätere Leben. Man kann auch Geschlechterstereotype überwinden. Es gibt sehr viele Mädchen, die zum Beispiel die Feuerwehr austesten. Da bringt die Kinderstadt einfach super viel mit. Das sehen wir auch in den Rückmeldungen der Eltern. Die sagen, dass Kinder auch viel mehr verstehen, was Inflation ist.
DOMRADIO.DE: Rund einhundert ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind in der nächsten Woche auch mit dabei in Wuppertal. Was ist deren Aufgabe?
Boot: Sie versuchen, die Kinder ein wenig anzuleiten. Am Anfang noch mehr als gegen Ende der Woche. Die Kinder können sich zum Beispiel auch als Meisterin oder Meister in einem Betrieb ausbilden lassen und dann selbst die Regie übernehmen. Aber die HelferInnen und Helfer versuchen dort einfach zu unterstützen und sie noch mal ein bisschen an die Hand zu nehmen, wie Dinge gemacht werden sollten und was noch alles gemacht werden könnte.
DOMRADIO.DE: Ich stelle mir das folgendermaßen vor. Wenn einhundert Kinder rund um die Uhr eine Woche zusammenleben, bleiben möglicherweise Probleme und Streit nicht aus. Gehört das auch zum Konzept? Kompromisse eingehen, Verständnis füreinander haben.
Boot: Vor allem im Stadtparlament werden viele Diskussionen geführt, um den anderen Kindern Möglichkeiten aufzuzeigen. Das Ziel ist, eben gemeinsam einen Kompromiss zu finden. Kompromisse gehören auf jeden Fall dazu. Das ist in einer normalen Gesellschaft auch der Fall, dass man einfach aufeinander zugehen muss und nicht unbedingt seine Meinung durchbringen kann. Es muss eine gemeinsame Lösung gefunden werden.
DOMRADIO.DE: Besuch wird nächste Woche dann von außerhalb erwartet. Politikerinnen und Politiker, Vertreterinnen und Vertreter aus Gesellschaft und Kirche. Was können die Älteren von den Kindern dann noch lernen, im besten Fall?
Boot: Die Kinder entwickeln gemeinsam Visionen, wie eine Stadt und eine Gesellschaft aussehen kann. Da passieren Dinge, die es sonst im echten Leben gar nicht geben würde, weil direkt irgendjemand sagen würde, nein, das funktioniert nicht. Die Kinder testen das einfach aus. Das ist etwas, das man mitnehmen kann.
DOMRADIO.DE: Sie haben schon Erfahrungswerte. Wie nachhaltig ist die Kinderstadt, was nehmen die Kinder mit in den Schulalltag, der ja dann auch irgendwann wieder weitergeht?
Boot: Die Rückmeldungen der Eltern zeigen, dass die Kinder sich viel mehr mit politischen Themen beschäftigen. Themen wie Inflation. Sie stellen sich Fragen, wie man sein Geld verdient, was Steuern sind. Da haben sie danach ein deutlich größeres Verständnis als vorher. Sie interessieren sich viel mehr dafür, was eben auch in der Gesellschaft passiert und worüber diskutiert wird.
DOMRADIO.DE: Das wird in der Schule gar nicht so gelehrt. Ist das ein Problem, dass Sie eigentlich in dieser Kinderstadt jetzt schon mehr mitbekommen vom wahren Leben als später in der Schule?
Boot: Ich glaube nicht, dass das ein Problem ist, weil die Kinder ja dann einfach auch ihre Ideen und Visionen mitbringen können. Wenn das dann mal unter Freundinnen und Freunden oder in der Schule Thema wird, können sie eben von sich selbst erzählen, wie das war, als sie in der Kinderstadt gearbeitet haben.
Das Interview führte Carsten Döpp.