Caritas-Fotoprojekt in Rheinberg zeigt die Schönheit des Alters

"Ältere Menschen brauchten dringend mehr Öffentlichkeitsarbeit"

"Das Leuchten des Alters" nennt Johannes Bichmann seine ungewöhnlichen Fotoporträts von Seniorinnen und Senioren, die er in all ihrer Lebensfreude zeigt. Vor der Kamera schneiden sie Grimassen und blühen dabei nochmals geradezu auf.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Caritas-Mitarbeiterin Martina Schültingkemper mit einem der "Fotomodelle". (Caritas Rheinberg)
Caritas-Mitarbeiterin Martina Schültingkemper mit einem der "Fotomodelle". / ( Caritas Rheinberg )

"Ach, du grüne Neune", entfährt es einer Besucherin, etwa Anfang 70. "Die sehen aber lustig aus! Und gar nicht alt. So albern erlebe ich sonst nur meine Enkeltochter." Neugierig bleibt die Passantin vor den Fototafeln im Einkaufszentrum "Rheinberg-Galerie" mitten in Gladbachs City stehen und ergründet, was es mit den vielen überwiegend fröhlich dreinschauenden Gesichtern auf sich hat. "Das ist aber mal eine pfiffige Idee, da hätte ich gerne mitgemacht", kommentiert sie noch und liest aufmerksam die Schilder, die die notwendigen Erläuterungen zu dieser ansprechenden Foto-Ausstellung liefern. "Wenn ich in ein paar Jahren auch noch so drauf bin, kann Altwerden so schrecklich ja nicht sein."

Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Initiative hatte der Caritasverband für den Rheinisch-Bergischen Kreis, der auf das Projekt des Fotografen Johannes Bichmann aus Bad Zwischenahn aufmerksam geworden war. Denn Bichmann porträtiert seit 2011 auf diese recht charmante Weise ältere Menschen – und nun sind es also die Besucherinnen und Besucher der Bergisch Gladbacher Caritas-Seniorenbegegnungsstätten "Treffpunkt Annahaus" und "Mittendrin", die hier im Erdgeschoss der vierstöckigen Shopping Mall den Blickfang bilden. Um ihnen die Scheu vor der Kamera zu nehmen und zu witzigen Posen zu animieren, nutzt der 38-Jährige eine eigenwillige Methode, indem er seine "Foto-Objekte" während des Shootings immerzu in ein Gespräch verwickelt und Anweisungen zum Albernsein gibt. Die Ergebnisse verblüffen dann mitunter die Beteiligten selbst am meisten. "So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr", hört Bichmann dann nicht selten, wenn jemand seine anfänglichen Vorbehalte aufgegeben und gegen eine zögerliche Lust, sich auf diese Aktion einzulassen, eingetauscht hat. "Irgendwann sitzen dann alle um mein mobiles Studio herum", erzählt er sichtlich amüsiert, "und klatschen Beifall, wenn der nächste von ihnen an der Reihe ist."

Johannes Bichmann

"Echte Schönheit ist doch nichts, was ab einem gewissen Alter aufhört oder verschwindet. Im Gegenteil: Jede Phase im Leben hat ihre eigene Schönheit."

Bichmann hat sich in den letzten 15 Jahren auf das Fotografieren von Altenheimbewohnern oder Besuchern von Seniorentreffs spezialisiert. Er schildert, wie er zunächst beim Betreten einer Einrichtung auf große Skepsis, Misstrauen, mitunter auch Ablehnung stoße. Wozu brauche ich in meinem Alter noch Fotos? Das sei eines der häufigsten Argumente. Oder: Da gibt es doch niemanden mehr, dem ich ein Bild von mir schenken könnte. Auch die Selbsteinschätzung "Ich bin doch nicht mehr schön" werde oft ins Feld geführt. "Dabei", so erklärt der Foto-Profi, "ist echte Schönheit doch nichts, was ab einem gewissen Alter aufhört oder verschwindet. Im Gegenteil: Jede Phase im Leben hat ihre eigene Schönheit", ist er überzeugt. Und: "Unfotogen gibt es nicht, nur schlechte Fotografen."

Der Fotograf Johannes Bichmann hat sich auf das Fotografieren älterer Menschen spezialisiert.  (Caritas Rheinberg)
Der Fotograf Johannes Bichmann hat sich auf das Fotografieren älterer Menschen spezialisiert. / ( Caritas Rheinberg )

Apropos Schönheit: Da kennt sich Bichmann berufsbedingt aus. Denn "Schönheit" bzw. attraktive Menschen hat er lang genug fotografiert, zumal er, als er in dem Business angefangen hat, ein paar Jahre als Fashion-Fotograf auf den Philippinen gearbeitet und dort vor allem Models in Bikinis vor Traumkulissen angebildet hat. "Doch von dieser Oberflächlichkeit wollte ich weg, etwas Wirksames machen." Die Modefotografie sei finanziell zwar lukrativ, die Arbeit selbst für ihn aber nicht herausfordernd genug. "Man lichtet den ganzen Tag schöne Menschen ab und hat ein Team um sich, das sich um Dinge wie Make-up kümmert. Aber nach einiger Zeit war mir klar, dass ich Menschen nachhaltiger ins rechte Licht setzen will – nämlich gerade diejenigen, die in unserer Gesellschaft nicht im Fokus stehen: Menschen am Rande, die ansonsten häufig vom sozialen Leben ausgeschlossen werden: alte, behinderte oder geflüchtete Menschen." 

Auch auf der Straße lebende Jugendliche hat Bichmann schon vor die Linse bekommen, solche Begegnungen als Bereicherung erlebt und nicht nur als berufliche Erfahrung verbucht. Der 38-Jährige beschreibt sich selbst als Fotografen aus Leidenschaft. Und genau die habe ihm bei der Modefotografie gefehlt, meint er. Für ihn sei Fotografieren kein technischer, sondern ein zwischenmenschlicher Beruf, bei dem es viel um Interaktion und primär um spannende Begegnungen gehe. 

Viele Anfragen von den Kirchen

Seine Kreativität nutzt Bichmann dazu, einen authentischen Blick, wie er sagt, auf die Menschen zu werfen und die ganze Persönlichkeit ins Zentrum zu rücken. Inzwischen ist aus diesem Ansatz ein Langzeitprojekt geworden, für das er viel Anerkennung bekommt, vor allem von den Kirchen oder christlichen Trägern, die immer wieder Anfragen an ihn richten. "Am Anfang gibt es meist ein paar Anlaufschwierigkeiten. Aber wenn mir ältere Menschen dann eine Weile zuschauen und merken, dass das Ganze riesigen Spaß macht und es bei diesen Aufnahmen locker zugeht – Duzen gehört zum Prinzip – tauen sie doch immer mehr auf und wollen dann doch mitmachen. Im Herzen sind wir schließlich alle noch Kinder, egal wie alt wir sind." Daher lasse er die Menschen vor der Kamera auch Faxen machen und albern sein. "Dabei fällt dann oft die Maske", beobachtet Bichmann, der seine Shootings als eine Fototherapie versteht, in der Stereotype aufgebrochen würden. Trotzdem geht es ihm in jedem Moment auch um Respekt und Würde – bei allem Übermut.  

Johannes Bichmann

"Jeder und jede bekommt dieselbe Chance und kann daraus machen, was er will: böse schauen, überrascht sein, die Augenbraue hochziehen oder nach Herzenslust Blödsinn machen."

Entstanden sind auch diesmal wieder beeindruckende Porträts älterer Menschen, denen die Lebensfreude ins Gesicht geschrieben steht und die scheint’s den Schalk im Nacken haben. So jedenfalls könnte man meinen, wenn man sich die Ausstellung anschaut. "Der Johannes hat das so toll gemacht und ist super auf uns eingegangen", schwärmt Hilga Schütze, die zweimal in der Woche an Yoga-Kursen im "Mittendrin" teilnimmt. Nun steht sie sich selbst vis-à-vis gegenüber, betrachtet ihr eigenes Konterfei auf einer der 65 mal 65 Zentimeter großen Holztafeln und freut sich über das Ergebnis. Immerhin ist es eines von insgesamt 100 Fotos, die Bichmann innerhalb von fünf Minuten von ihr geschossen hat. Für jedes "Model" nimmt sich der Fotograf gleich viel Zeit, auch die Anweisungen sind dieselben. "Jeder und jede", lacht Bichmann, "bekommt dieselbe Chance und kann daraus machen, was er will: böse schauen, überrascht sein, die Augenbraue hochziehen oder nach Herzenslust Blödsinn machen." Er sei immer wieder neu fasziniert, welch tollen Beruf er doch habe und welche Kreise seine Fotos – auch die "Quatschbilder" – mittlerweile zögen. Letztlich sei die Beteiligung enorm gewesen, resümiert auch Martina Schültingkemper, die den Fachdienst Offene Altenarbeit der Caritas Rhein-Berg leitet, sichtlich begeistert. "Wir hätten nicht damit gerechnet, dass so viele mitmachen würden."

Eine Besucherin beim aufmerksamen Betrachten der Porträts in der Rheinberg-Galerie. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Eine Besucherin beim aufmerksamen Betrachten der Porträts in der Rheinberg-Galerie. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Die Seele herauskitzeln

"Ich bin kein Leidensvoyeur und führe niemanden vor. Im Gegenteil, statt Defizite stelle ich Ressourcen dar; das, was jeder hat – nämlich Ausstrahlung und Freude am Leben, wenn manchmal auch versteckt. Denn Altsein bedeutet nicht, mit einem Fuß im Grab zu stehen", erläutert Bichmann zu seiner Motivation. Mit jedem seiner Bilder setzt er hinter einen solchen Satz ein Ausrufezeichen. "Ich habe inzwischen ein gutes Bauchgefühl und kann die Seele aus den Menschen herauskitzeln", sagt er. Nicht umsonst firmiert er mit seinem Fotostudio unter "Soul Photo".  

Den Erfolg, den er dabei hat, sieht er auch als Verpflichtung, sich für andere einzusetzen. Denn das hat er früh gelernt. "Ich hatte eine tolle Beziehung zu meiner Oma, die eine weise Frau war. Und in meiner Familie, die sich immer sozial engagiert hat, habe ich gelernt, wie wichtig es ist, zusammenzuhalten und mit anderen zu teilen." Nun sei es für ihn an der Zeit, von diesen glücklichen Erfahrungen etwas zurückzugeben. "Denn wenn ich bei einem Shooting erleben darf, wie ich die Menschen aktivieren und vielleicht sogar begeis­tern kann, dann spüre ich, wie sich ihre Freude auch auf mich überträgt. Und dann bin ich zutiefst dankbar für meinen Beruf." 

Johannes Bichmann

"Mit meinem Engagement will ich die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass ältere Menschen nach wie vor ein Recht auf Sichtbarkeit haben."

Darüber hinaus versteht er seine Arbeit auch als ein politisches Statement, mit dem er sich für gesellschaftliche Teilhabe und Wertschätzung alter Menschen einsetzt und gleichzeitig für ein tolerantes Zusammenleben. "Gerade ältere Menschen haben keine Lobby, dabei brauchten sie dringend mehr Öffentlichkeitsarbeit", betont er. Altsein dürfe nicht auf Altersarmut, Alterseinsamkeit oder Pflegenotstand reduziert werden. "Altwerden und Altsein können auch der Beginn eines neuen Lebensabschnitts sein und sollten nichts mit Ausgrenzung zu tun haben. Mit meinem Engagement will ich die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass ältere Menschen nach wie vor ein Recht auf Sichtbarkeit haben, gerade weil in einem Pflegealltag der persönliche Kontakt allein schon aus Zeitmangel nicht mehr wirklich vorgesehen ist." Aus solchen technokratischen Abläufen wolle er mit "Das Leuchten des Alters" herausrütteln und die Statistik vermenschlichen. "Schließlich geht es doch um echte Seelen, und die dürfen wir nicht verkümmern lassen."

Die Wanderausstellung "Das Leuchten des Alters" ist noch bis zum Wochenende in der Rheinberg-Galerie in Bergisch Gladbach zu sehen. Vom 18. bis 25. Januar werden die Seniorenporträts von Johannes Bichmann außerdem im Eingangsbereich des Altenberger Doms ausgestellt.

Quelle:
DR

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