DOMRADIO.DE: Zusammen mit dem evangelischen Bischof Christian Stäblein haben Sie zum ökumenischen Gebet in die Sankt-Hedwigs-Kathedrale eingeladen. Warum ist es wichtig, einen solchen Jahrestag zu begehen?
Erzbischof Dr. Heiner Koch (Erzbistum Berlin): Die Erinnerung ist gerade an diesem Tag sehr lebendig. Sie ist für uns bedrückend lebendig, weil die Aussicht auf einen Frieden nicht gegeben ist. Wir hoffen auf alle kleinen und großen Schritte, dass sie zu einem Frieden führen, und doch sind wir auch voller Angst und Sorge.
Wir wollen das tun, was wir als Christen tun können. Wir laden zu einem gemeinsamen Gebet ein. In erster Linie für die Opfer, die Toten, die Verletzten und die Verwundeten. Wir laden dazu ein, unsere Sorgen und Hoffnungen auf einen Frieden auf den Altar zu legen und Gott anzuvertrauen. Das ist das Größte, was wir als gläubige Christen tun können.
DOMRADIO.DE: Ein Gedenken an alle Opfer, an die Leidtragenden wird das heute. Wie groß ist Ihre Hoffnung auf Frieden?
Koch: Die Hoffnung ist da, auch wenn es so viele Argumente gegen Hoffnung gibt. Aber es gibt eine Hoffnung! Zum einen, weil wir glauben, dass Gott da ist und wirkt. Zweitens, weil es bei allen Völkern und Kriegsparteien Menschen gibt, die den Frieden wollen.
Außerdem wegen der Einsicht, dass der Friede in Zukunft über diesen Krieg hinaus zwischen den Völkern im Nahen Osten, sowie in der ganzen Welt nur dann eine Chance hat, wenn Menschen aufeinander zugehen und sich zuhören. Zuhören, obwohl alles dagegen spricht, Schritte des Friedens zu wagen. Ich weiß, dass es diese Menschen gibt. Das ist unsere Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Der 7. Oktober 2023 hat das Leben auch für Jüdinnen und Juden in Deutschland verändert. Seitdem haben viele Angst. Viele fühlen sich bedroht. Sie werden angefeindet. Was können wir weiterhin leisten im Kampf gegen Antisemitismus bei uns im Land?
Koch: Man muss diese furchtbare Verquickung, die da entstanden ist, benennen. Man muss sie klar sehen und ihnen in den kleinsten Anfängen widersprechen. Wir haben in unserer eigenen Geschichte gelernt, dass es manchmal zu spät ist, dagegen aufzustehen, wenn so eine Gewalt wie der Nationalsozialismus entsteht. Wehret den Anfängen! Geht hochachtungsvoll, wertvoll miteinander um.
Antisemitismus ist eine furchtbare Tradition durch die Jahrhunderte hindurch, ein Verbrechen. Wir wollen alles tun, dass es das in unserem Land nicht mehr gibt. Wir wollen so auch einen kleinen Beitrag zum Frieden dort leisten, in dem wir respektvoll, achtungsvoll miteinander umgehen, auch wenn wir unter dem Leid des in Palästina herrschenden Kriegs furchtbar mitleiden. Das darf nicht zum Antisemitismus führen. Hass – von jeder Partei auf jede Partei – ist kein Weg zur Zukunft, ganz im Gegenteil.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für die Zukunft im Nahen Osten, aber auch hier bei uns in Deutschland?
Koch: Zunächst einmal den Mut, Schritte zu setzen, die dem Frieden dienen und eine politische Lösung zu finden. Eine Lösung, die die Waffen schweigen lässt und das Leid der Menschen, das Elend, das dort herrscht, um der Kinder, der Erwachsenen und der Verletzten willen, beendet.
Das Zweite ist, dass wir hier in Deutschland alles tun müssen, um aufeinander zuzugehen und miteinander zu gehen. Gerade in Berlin merke ich das immer wieder, wo Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenleben und eine unterschiedliche emotionale Nähe zu den kämpfenden Parteien haben. Auch wenn es vielleicht schwerfällt und jeder seine Leidensgeschichte mit hineinbringt, weil viele Familien von dem Leid getroffen sind, müssen wir aufeinander zugehen. Das wird der erste Schritt für uns hier sein, dass wir einander zuhören und trotzdem Zeichen des Friedens setzen – vielleicht auch schon heute.
Zu unserem Gottesdienst laden wir alle ein. Es ist keine politische Demonstration, sondern wir wollen uns Gott anvertrauen, klagen und weinen und auf Gott hoffen. Wir hoffen, dass Gott für die Menschen, die Willens sind – trotz unterschiedlicher politischer Einstellungen – eine Möglichkeit ist, mit hohem Respekt gegenüber dem anderen Frieden zu schließen.
Das Interview führte Carsten Döpp.