Vatikan-Journalistin Allen ordnet Papst-Aussagen in Interview ein

"Leo hält viele Überraschungen für uns bereit"

Elise Ann Allen ist die erste Journalistin, die Leo XIV. interviewt hat. Wie sie den Papst überzeugen konnte, mit ihr zu sprechen, verrät sie im Interview mit DOMRADIO.DE. Dabei geht sie auch auf die Stimmung bei den Gesprächen ein.

Autor/in:
Roland Müller
Vatikan-Korrespondentin Elise Ann Allen vom Online-Portal "Crux" im Gespräch mit Papst Leo XIV. / © Elise Ann Allen (privat)
Vatikan-Korrespondentin Elise Ann Allen vom Online-Portal "Crux" im Gespräch mit Papst Leo XIV. / © Elise Ann Allen ( privat )

DOMRADIO.DE: Papst Leo XIV. gilt als medienscheu. Wie konnten Sie das Kirchenoberhaupt davon überzeugen, Ihnen ein Interview zu geben?

Elise Ann Allen (Vatikan-Korrespondentin für das US-amerikanische Online-Portal "Crux"): Ich denke, dafür gibt es mehrere Gründe. Es ist so, dass es recht wenige US-Amerikaner an der vatikanischen Kurie gibt – Robert Prevost war als Präfekt des Bischofsdikasteriums einer von ihnen. Deshalb haben sich unsere Wege in Rom bereits einige Male gekreuzt, doch wir kannten uns schon vor seiner Zeit im Vatikan. Als Prevost noch Bischof in Chiclayo in Peru war, haben wir uns einmal dort getroffen. Ich würde nicht sagen, dass wir uns gut kennen, aber wir sind uns vor seiner Papstwahl schon mehrfach begegnet. Das hat bei der Interview-Anfrage sicher geholfen. 

Elise Ann Allen

"Meine Anfrage hat sich aber sicherlich von den anderen Gesuchen um ein Interview abgehoben."

DOMRADIO.DE: Welche weiteren Gründe gibt es noch?

Allen: Ich nehme an, dass Leo nach seiner Wahl zum Papst viele Interviewanfragen bekommen hat. Aber er ist sehr vorsichtig, wenn es um diese Dinge geht. Meine Anfrage hat sich aber sicherlich von den anderen Gesuchen um ein Interview abgehoben: Ich wollte kein hartes Interview mit ihm führen und war auch nicht auf der Suche nach einem Scoop, also einer exklusiven Sensationsmeldung – auch wenn das Interview mit Leo natürlich ein Scoop ist. Ich habe das Interview im Rahmen meines Buches über den neuen Papst geführt. Leo bekam dadurch also die Möglichkeit, sich der Öffentlichkeit umfassend zu präsentieren. 

Natürlich haben schon viele Autoren Bücher über ihn geschrieben, aber durch die Gespräche mit mir bekam er die Möglichkeit, seine Geschichte korrekt darzustellen. Außerdem konnte er im Gespräch mit mir einige der Fragen beantworten, die sich viele mit Blick auf ihn stellen. Ich glaube, das hat ihm gefallen – genauso wie der Umstand, dass das Buch zuerst auf Spanisch in Peru herausgegeben wird. 

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie den Papst bei den Interviewsitzungen erlebt?

Allen: Wir haben uns zweimal für jeweils etwa anderthalb Stunden getroffen. Er war beide Male die ganze Zeit sehr entspannt, was mich etwas überrascht hat. Nach den ersten Fragen haben wir in einen sehr guten Gesprächsrhythmus hineingefunden, sodass es sich schnell nicht mehr wie eine Interviewsituation anfühlte, sondern wie ein normales Gespräch. Ich habe den Papst als sehr ehrlich und wahrhaftig in seinen Antworten erlebt. Natürlich hat er nicht alles gesagt, was er hätte sagen können. Aber er versuchte so transparent zu sein, wie er es als Papst eben sein kann. Das habe ich als erfrischend erlebt. So war es auch früher, wenn man mit ihm gesprochen hat, Mich freut, dass sich das seit seiner Wahl nicht verändert hat. 

DOMRADIO.DE: Robert Prevost hat sich Ihrer Wahrnehmung also nicht verändert, seit er Papst geworden ist?

Allen: Ganz genau, er hat sich überhaupt nicht verändert. Warum sollte er auch? Er ist immer noch er selbst: eine sehr offene und ehrliche Person – genauso, wie ich ihn zuvor kennengelernt habe.

Elise Ann Allen

"Er wird seine eigene Version eines Papstes sein. Es wäre nicht fair, Leo mit Franziskus oder anderen Vorgängern zu vergleichen."

DOMRADIO.DE: Bis zu Ihrem Interview mit Leo war er für viele Beobachter eine Art Blackbox. Das hat sich nun etwas geändert. Was für ein Papst wird Leo XIV. sein?

Allen: Er wird seine eigene Version eines Papstes sein. Es wäre nicht fair, Leo mit Franziskus oder anderen Vorgängern zu vergleichen. Es gibt sehr viele Entscheidungen von Papst Franziskus, die Leo weiterführen wird, etwa die Bemühungen um Synodalität oder eine offene Haltung gegenüber queeren Menschen. Er plant auch, mehr Frauen im Vatikan und in der Kurie in Führungspositionen zu bringen. Das sind einige "heiße Eisen", bei denen Leo in Kontinuität mit Franziskus steht. Das macht Leo nicht, weil er einfach Franziskus nachfolgen will oder so etwas, sondern weil er von diesem Kurs überzeugt ist. Seine Zeit in Lateinamerika spielt da sicher eine wichtige Rolle, denn Robert Prevost ist stark von der lebendigen und gemeinschaftlichen Erfahrung von Kirche geprägt, wie sie dort gelebt wird. Das verbindet ihn übrigens mit Franziskus. 

DOMRADIO.DE: Wie unterscheidet sich Leo von seinem Vorgänger?

Allen: Er wird die Reformen seines Vorgängers fortsetzen, aber auf seine eigene Art und Weise. Der Stil von Leo wird unterschiedlich sein: Franziskus war etwas impulsiver, aber Leo mag es eher ruhig. Er nimmt sich gerne Zeit zum Zuhören, Reflektieren und Nachdenken, bevor er Entscheidungen trifft. 

Franziskus konnte außerdem sehr deutlich und direkt sein, doch Leo ist nicht so harsch. Er wird Dinge etwas höflicher, sanfter und vorsichtiger ausdrücken. Das wird einen großen Unterschied machen, denke ich. Leo wird versuchen, der Kirche Einheit und Gemeinschaft zu geben. Ihm ist bewusst, dass die Polarisierungen in Kirche und Gesellschaft stark zugenommen haben. Er sieht es als seine Pflicht, das Gemeinsame zu stärken – dazu wurde er von den Kardinälen im Konklave gewählt. Er wird versuchen, die aufgeheizte Stimmung abzukühlen. 

Papst Leo XIV. / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Leo XIV. / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: In Ihrem Interview kritisiert der Papst Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare. War Deutschland damit gemeint?

Allen: Deutschland ist nicht das einzige Land in Nordeuropa – diesen Ausdruck hat Leo verwendet –, in dem diese rituellen Segensfeiern stattfinden. Das trifft etwa auch auf die Niederlande oder Belgien zu. Sicherlich hat Leo dabei aber auch an Deutschland gedacht. Ich nehme es aber nicht so wahr, dass er etwas anderes als sein Vorgänger tut: Franziskus hat einen Brief an die Kirche in Deutschland geschrieben und es wurden Gespräche der deutschen Bischöfe mit den Leitern einiger vatikanischer Dikasterien initiiert. 

Ich verstehe die Segenserklärung "Fiducia supplicans" auch als ein Zugehen auf einige Ortskirchen, in denen es einen offeneren Umgang mit Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare in Form eines Rituals gibt. Franziskus wollte diese Tendenzen dadurch einhegen, dass er sagte: Man soll keine Beziehungen segnen, aber sehr wohl Menschen. Leo hat in unserem Interview zu diesem Thema nichts anderes als Franziskus gesagt. 

Elise Ann Allen

"Er hat keine Angst, starke und auch überraschende Entscheidungen zu treffen, falls nötig."

DOMRADIO.DE: Wie wird Leo die Kirche leiten – und wird er es anders als Franziskus tun?

Allen: Ich denke, es ist nicht gut, Päpste miteinander zu vergleichen. Aber es gibt einiges, das Leo von Franziskus unterscheidet: Sein Stil und seine Sprache, zum Beispiel. Wenn man auf seine Art der Führung schaut, wird Leo sehr klar auf Zusammenarbeit setzen. Franziskus zog es vor, alleine zu handeln. Es ist kein Geheimnis, dass er dem System Kurie misstraute und versuchte, es zu umgehen. Leo wird mit diesem System und durch dieses System arbeiten – er wird es jedenfalls versuchen. Aber auf keinen Fall wird er impulsive Entscheidungen treffen. Leo nimmt sich Zeit, um zu entscheiden – aber dann mit voller Überzeugung. 

Er hat keine Angst, starke und auch überraschende Entscheidungen zu treffen, falls nötig. Mich hat etwa sehr überrascht, dass er in unserem Interview das Wort "Genozid" im Zusammenhang mit der Situation in Gaza benutzt hat. Dieses Wort hat dem Vatikan in der Vergangenheit schon mehrfach Schwierigkeiten bereitet. Aber ich denke, er hat sich sehr gut überlegt, ob er den Ausdruck in diesem Zusammenhang benutzten sollte. Ich glaube, Leo hält viele Überraschungen für uns bereit. Man sollte seine ruhige Ausstrahlung nicht unterschätzen. 

Das Interview führte Roland Müller.

Leo XIV.: Das Leben von Robert Francis Prevost bis zur Papstwahl

Die Medien sind in Aufregung um den neuen Papst: War er Bischof in den USA? Oder in Peru? Wie kam er in den Vatikan? Zeit für eine Übersicht.

Der neue Papst Leo XIV. aus den USA ist als Ordensmann in Rom, in der vatikanischen Kurie und der Weltkirche zuhause. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Stationen seines Lebens vor der Wahl:

 Kardinal Robert Francis Prevost ist der neue Papst, Leo XIV. / © Riccardo De Luca/AP (dpa)
Kardinal Robert Francis Prevost ist der neue Papst, Leo XIV. / © Riccardo De Luca/AP ( dpa )
Quelle:
DR

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