Bei der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda stand erneut ein Thema im Zentrum, das die katholische Kirche in Deutschland seit Jahren umtreibt: der fortschreitende Mitgliederschwund und das sinkende gesellschaftliche Interesse an Religion. Der Pastoraltheologe Jan Loffeld vertritt die These, dass sich diese Entwicklungen in Europa nicht mehr aufhalten ließen.
Loffeld, der im niederländischen Tilburg Praktische Theologie lehrt, war zu einem Studientag bei den deutschen Bischöfen eingeladen. "Es ist die Annahme, dass in jedem Menschen die Frage nach Gott schlummert und es lediglich guter Methoden bedarf, diese zu wecken." Davon könne die Kirche heute nicht mehr ausgehen. Für viele sei der christliche Glaube zu einer Art "open-source” geworden, an der man sich nach Belieben bedienen könne, ohne aber selbst Verpflichtungen einzugehen. Eine These, die nachdenklich stimme – und zugleich schmerze, wie Kardinal Rainer Maria Woelki im Gespräch mit DOMRADIO.DE zugibt.
"Das tut weh", sagt der Kölner Erzbischof offen, "denn ich bin überzeugt, dass das Evangelium für jeden Menschen von Relevanz ist." Die christliche Botschaft sei schließlich nicht nur spirituelle Theorie, sondern spreche jedem Menschen eine unveräußerliche Würde zu: "Der Mensch ist Ebenbild Gottes – das ist eine Zusage, die jedem Menschen gilt." Umso schmerzlicher sei es, wenn diese Botschaft immer weniger Gehör finde.
Zeichen der Hoffnung
Offenbar gibt es aber auch Zeichen der Hoffnung: In seiner Predigt bei der Bonifatiusvesper in Fulda hob Bischof Heinrich Timmerevers hervor, dass gerade in Ostdeutschland die Zahl der Taufen steigt – ein unerwartetes Signal in einer Region, die als besonders säkular gilt. Timmerevers ist Bischof des Bistums Dresden-Meißen. "Manchmal sind es Familienmitglieder, Arbeitskollegen, Freunde, die mit einer großen Offenheit und Zugewandtheit den fragenden und suchenden Menschen begegnen und mit ihnen eine Wegstrecke gemeinsam gehen", predigte er am Mittwochabend: "Sie sind unverzichtbare Stützen auf dem Weg zur Taufe, sie geben Anteil an ihrem eigenen Leben, an ihrem Glaubensleben, geben Zeugnis von ihrer Hoffnung."
Auch im Erzbistum Köln beobachtet Woelki solche Entwicklungen: "Wir haben eine Vielzahl von Taufen, gerade bei jungen Erwachsenen." Besonders beeindruckt zeigt er sich vom Engagement der Jugend bei der Eucharistischen Konferenz "kommt und seht" im Juni dieses Jahres: "Das war keine Veranstaltung von oben, sondern wurde von vielen jungen Menschen organisiert und getragen."
Für Woelki ist dies ein klares Zeichen: Es gibt eine Generation, die sich bewusst mit Glaubensfragen auseinandersetzt – oft sogar gegen den gesellschaftlichen Mainstream. "Ich höre von Eltern, dass ihre Kinder Bücher von Joseph Ratzinger oder Kardinal Kasper lesen. Das zeigt: Christ zu sein, kann heute wieder eine Form von bewusster Abgrenzung sein – gegen eine konsumorientierte Lebenskultur, die viele Fragen offenlässt."
Mit Neuevangelisierung neue Wege gehen
Genau hier setzt für Woelki auch die Aufgabe der Kirche an: Neuevangelisierung bedeute nicht, alte Muster zu wiederholen, sondern neue Wege zu gehen, um Menschen wieder mit dem Glauben in Berührung zu bringen. Und das gehe nur in Gemeinschaft. "Es braucht Erfahrungsorte, wo Menschen – auch solche, die Gott verloren haben oder nie kennengelernt haben – etwas spüren können von dieser Botschaft."
Konkret bedeutet das für ihn: eine Kirche, die nicht primär auf Abgrenzung oder Kritik setzt, sondern auf Aufbau, Dialog und Glaubwürdigkeit im Alltag. "Gott reißt nicht nieder, er baut auf", so Woelki. Dies müsse auch das Leitbild kirchlichen Handelns sein: "Wir müssen als Kirche so leben und arbeiten, dass es dem Aufbau der Gemeinschaft dient – innerhalb der Kirche und in der Gesellschaft."
"Pastorale Schwerpunktsetzung" im Erzbistum Köln
Das Erzbistum Köln hat sich deshalb vor kurzem zu einer sogenannten "pastoralen Schwerpunktsetzung" entschlossen, die genau diese Punkte in den Fokus setzen will. Anstelle durch die Bank zu streichen, werden explizit Orte und Projekte gefördert, wo der Glaube wachsen kann, zum Beispiel in den Bereichen Jugend und Bildung.
Die Herausforderungen seien groß, räumt der Kardinal ein – aber das dürfe nicht entmutigen. Denn wer an die Kraft der Botschaft glaube, müsse auch überzeugt davon sein, dass sie weiterhin Menschen berühren könne. Der Weg der Kirche in der säkularisierten Gesellschaft sei kein einfacher, "aber er lohnt sich".