DOMRADIO.DE: Worum ging es bei dem Studientag? Was haben Sie den Bischöfen erzählt?
Prof. Dr. Jan Loffeld (Professor für Praktische Theologie in Utrecht): Der Studientag steht in einer Reihe von Treffen. 2021 gab es bereits einen Studientag zu den Kirchenaustritten, die damals stark gestiegen waren – auch im Zusammenhang mit der MHG-Studie. Bei dieser Vollversammlung wurde die Beteiligung der DBK an der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung beschlossen. Die Vorstellung der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung folgte dann in der Frühjahrsvollversammlung 2024 in Augsburg.
Nun konnte man also voraussetzen, dass die Ergebnisse bekannt sind. Sie zeigen, dass die vertikale Dimension des Glaubens – Himmel, Erlösung, Offenbarung, der personale Gott – für die meisten Deutschen keine Lebensführungsrelevanz mehr besitzen.
Es ist ein Ergebnis, das zeigt, dass nicht nur die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, sondern weitere internationale Studien, wie zum Beispiel Studien aus den USA, in eine ähnliche Richtung gehen.
Daran anknüpfend haben wir jetzt aus fundamentaltheologischer, pastoraltheologischer und pastoralpraktischer Perspektive Konsequenzen gezogen. Wir haben gefragt, was das für unser Bild einer Kirche, die Sakrament für die Einheit mit Gott und für die Vereinigung der Menschheit in einer säkularen Gesellschaft sein will, bedeutet?
DOMRADIO.DE: Heißt das, dass die Kirche sich neu erfinden muss?
Loffeld: Das wäre mir zu revolutionär. Es geht nicht um ein Neuerfinden. Die Kirche ist in der Gesellschaft nach wie vor ein verlässlicher Ort. Denken Sie an den Kölner Dom. Viele Menschen gehen hindurch – nicht alle zum Beten – aber er verweist auf den Himmel.
Wir müssen nicht das Produkt oder das Produkt-Image verändern. Die Empirie zeigt, dass das nichts bringen würde. Die Frage müsste vielmehr lauten, welche Kirche wir in einer Gesellschaft sein wollen, in der viele das Angebot der Kirche nicht brauchen, ablehnen oder es ihnen egal ist. Das ist eine andere Gesellschaft als die, in der viele Priester und Bischöfe ausgebildet wurden oder die sie vor Augen hatten, als sie sich für ihr Engagement entschieden haben.
DOMRADIO.DE: Empirische Daten zeigen, dass Gott den Menschen egal ist. Sie sprechen vom religiösen Indifferentismus. Ist das auch eine Chance für die Kirche?
Loffeld: Ob es eine Chance für die Kirche ist, weiß ich nicht. Für das Evangelium ist es das aber schon. Die Kirche ist funktional dem Evangelium gegenüber. Es geht darum, dass Menschen Jesus Christus kennenlernen und in ihm ihr Lebensglück finden können. Es geht nicht darum, die Institution um ihrer selbst willen zu erhalten. Das ist eine Chance für das Evangelium und für eine Kirche, die diesem Evangelium dienen will.
In erster Linie ist das eine Fundamentalanfrage an unsere Konzepte, weil wir bisher davon ausgegangen sind, dass jeder, wenn er lange genug nachdenkt oder lebt, irgendwann darauf kommen wird, dass das Christentum die beste Option seines oder ihres Lebens ist.
DOMRADIO.DE: Muss dafür auch das christliche Menschenbild neu justiert werden?
Loffeld: Wir müssen generell die christliche Anthropologie neu bedenken. Heute haben wir von Gottes Potenzialität und Disposition gesprochen. Das sind Versuche, die Gottverwiesenheit des Menschen – in der Theologie sprechen wir vom Desiderium Naturale - neu zu denken.
Diese hat zwei Pole: Zum einen die Souveränität Gottes. Wen er ruft, haben wir nicht in der Hand. Und zum anderen die Freiheit des Menschen, diesem Ruf zu antworten. Auch Menschen, die nie von Gott gehört haben, dürfen nicht einfach als defizitär bezeichnet werden. Das fordert theologische Reflexion und pastorale Konsequenzen.
DOMRADIO.DE: Früher sprach man von "anonymen Christen". Ist das heute noch sinnvoll?
Loffeld: Nein, das war ein Konzept aus einer anderen gesellschaftlichen Situation. Heute ist diese Situation die Regel, nicht die Ausnahme. Zu sagen "ihr seid eigentlich alle Christen“, wäre vereinnahmend. Das entspricht nicht der Lebensdeutung der Menschen. Wenn ich in den Niederlanden, wo ich lebe, bei der Nachbarschaftshilfe sagen würde "ihr lebt das Evangelium, ihr seid anonyme Christen", würde ich mich lächerlich machen.
Wir müssen akzeptieren, dass Menschen anders glücklich sind. Zugleich bleibt im Glauben eine Verbundenheit mit allen bestehen – vielleicht eher stellvertretend durch die Kirche.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Bischöfe während des Studientags erlebt?
Loffeld: Sehr aufmerksam. Ich habe sie als lernbereit wahrgenommen. Sie sehen den Studientag als theologische Lerneinheit. Wir Wissenschaftler sind beauftragt, Dinge zu lesen, zusammenzustellen und auf den Punkt zu bringen. Dies war die Schnittstelle, an der die Bischöfe davon profitieren konnten und ich hatte den Eindruck, dass sie das auch wollten.
Das Interview führte Roland Müller.