Warum eine evangelische Theologin in der Seelsorge auf Lamas setzt

"Sie lehren uns Vertrauen"

Beliebte Therapietiere sind die sanftmütigen Lamas aus Südamerika längst. Dass sie auch Gottes Liebe verkörpern und neue Zugänge zum Glauben bringen, erzählt Deutschlands erste "Lama-Pfarrerin" Ulrike Schaich in ihrem neuen Buch.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Lamapfarrerin Ulrike Schaich / © Ulrike Schaich (privat)
Lamapfarrerin Ulrike Schaich / © Ulrike Schaich ( privat )

DOMRADIO.DE: Was macht Lamas aus, was sind das für Tiere? 

Ulrike Schaich (Inhaberin der Innovationspfarrstelle Schöpfungsspiritualität):  Lamas stammen aus den Andengebieten in Südamerika und sind sogenannte Neuweltkameliden, also Kameltiere. Als Distanztiere brauchen sie immer ein wenig Luft um sich herum, damit sie sich wohlfühlen. Sie sind also eigentlich gar keine Streichetiere. 

DOMRADIO.DE: Warum geht denn den meisten Menschen sofort das Herz auf, wenn sie auf Lamas treffen? 

Schaich: Lamas sind mit ihrem flauschigen Fell einfach attraktiv anzuschauen und anzufassen. Was die Menschen sofort anspricht, ist auch der bewusste Blick dieser Tiere. Wer sich einem Lama gegenüber stellt und es ansieht, wird feststellen, wie bewusst es zurückschaut, ohne zu blinzeln.  Da fühlt sich der Mensch einfach direkt angesprochen. 

DOMRADIO.DE: Sie leben seit Jahren mit Ihrer Familie und einer kleinen Lama-Herde in Reutlingen und sagen, dass die Tiere Ihnen einen neuen spirituellen Weg eröffnet haben. Wie denn? 

Schaich:  Tiere - egal ob Lama oder Pferd, Katze, Hund oder Maus - sind einfach sie selbst, unter allen Umständen. Wir Menschen dagegen müssen uns immer wieder neu finden, uns immer wieder neu fragen, wer wir eigentlich sind. Indem Tiere ihr Dasein selbstverständlich nehmen, nehmen sie uns mit ins Selbstverständliche hinein. 

Mit Lamas unterwegs / © Ulrike Schaich (privat)
Mit Lamas unterwegs / © Ulrike Schaich ( privat )

Das ist etwas sehr Schönes, das uns direkt und ganzheitlich anspricht. Wenn ich als Pfarrerin auf der Kanzel stehe und eine Predigt halte, sage ich natürlich auch: "Gott liebt dich, so wie du bist. In deinem Wesenskern bist du angenommen und geliebt". Damit kann ich den Kopf ansprechen, bei vielen Menschen auch das Herz. Aber wenn wir Tieren gegenüberstehen, erleben wir das noch einmal auf eine grundlegendere Art und Weise. 

DOMRADIO.DE:  2021 hat die evangelische Kirche mit Ihnen zum ersten Mal eine Pfarrerin für die Seelsorge mit Lamas angestellt.  Was machen Sie als Lama-Pfarrerin? 

Schaich:  Offiziell heißt diese halbe Pfarrstelle "Innovationspfarrstelle für Schöpfungsspiritualität". Das trifft den Kern meiner Arbeit gut und die Lamas sind meine wichtigsten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Wir sind viel draußen unterwegs mit Gruppen, zum Beispiel mit Konfirmandengruppen. Dann nehmen die Lamas uns mit in ihre Lebenswelt und lassen uns Menschen entdecken, dass es natürlich auch unsere Lebenswelt ist. Im Gegenüber mit den Lamas verstehen wir, dass Mensch und Natur nicht voneinander getrennt sind, sondern dass wir ein Teil der Natur sind. Wir Menschen sind zum Beispiel den Lamas viel ähnlicher als Lamas Ähnlichkeiten mit einer Heuschrecke haben. 

Ulrike Schaich

"Die Tiere können uns auf besondere Weise das Evangelium verkünden."

Lamas helfen uns, die Verwandtschaft in der Schöpfungsfamilie zu erkennen. Wir machen auf der Lama-Wiese auch Bibelarbeit. Von der Struktur her läuft die genauso ab wie sonst im Gemeindehaus – mit festem Eingangs- und Schlussteil sowie einem beweglichen Mittelteil. Wobei der bewegliche Mittelteil auf der Wiese tatsächlich bewegt ist, wenn wir mit den Lamas und zum Beispiel einer biblischen Geschichte unterwegs sind. Vielleicht sprechen wir dann über Bileams Eselin oder Franz von Assisi und den Wolf. Diese Texte wirken anders, wenn wir sie draußen und im Beisein der Tiere hören.  Ich würde sagen, die Tiere können uns auf besondere Weise das Evangelium verkünden, weil sie eben dieses "Du bist geliebt, Du bist angenommen" ganz selbstverständlich leben.

DOMRADIO.DE: Sie bieten auch Lama-Gottesdienste an ...

Schaich: Dazu treffen wir uns auf der Lama-Wiese und beantworten erst einmal die wichtigsten Fragen: Was sind das für Tiere? Spucken sie mich an? Kann ich sie streicheln? Ist das geklärt und hat sich eine erste Selbstverständlichkeit im Umgang eingestellt, können wir ein Lied singen und ein Gebet sprechen.  Danach bekommt jeder Mensch ein wenig Zeit, die Wiese für sich zu entdecken, das Gegenüber und Miteinander mit den Tieren zu entdecken. Jeder kann sich öffnen, die eigene Seele und das eigene Herz aufhalten und schauen, was hier und jetzt werden will. Was nehme ich wahr, was nehme an und mit? Auf ein Zeichen hin kommen alle wieder zusammen und können sich über das austauschen, was sie erlebt haben. Wir geben vielleicht noch ein paar Erklärungen und schließen ab mit Gebet und Segen. Im Grunde ist auch ein Lama-Gottesdienst ein ganz klassischer Gottesdienst. 

Mit Lamas unterwegs / © Ulrike Schaich (privat)
Mit Lamas unterwegs / © Ulrike Schaich ( privat )

DOMRADIO.DE: Was für ein Moment zwischen Menschen und Lamas hat Sie besonders bewegt? 

Schaich:  Bei einem kirchlichen Treffen habe ich einmal mit zweien meiner Lamas Workshops angeboten. Die Leute waren interessiert, fanden das spannend und ein bisschen exotisch. Wie immer bei so einem Erstkontakt haben sich einige das Ganze erst einmal aus sicherer Entfernung angeschaut. Mir sind gleich zwei Männer aufgefallen, die sich auffällig im Hintergrund gehalten haben, ganz offensichtlich wollten sie kein Tier führen.  

Ulrike Schaich

"Der Mann konnte sich entspannen, das war für mich wirklich bewegend."

Als wir dann aber eine Weile unterwegs waren und sich gezeigt hatte, dass so eine Wanderung gar nicht gefährlich ist und niemand angespuckt wird, haben sich auch diese beiden dazu durchgerungen, einmal die Lamas zu führen. Sie waren sehr vorsichtig, haben die Leine mit spitzen Fingern angefasst. Einer hat sogar die Luft angehalten und ist ganz starr losgegangen. Aber mein Lama ist einfach im sogenannten Passgang neben ihm hergelaufen, in diesem ganz ruhigen und kräftesparenden Gang, der uns Menschen mit hineinnimmt in die Bewegung. Ich habe dann beobachtet, wie der Mann sich immer mehr entspannte. Hatte er erst noch ganz starr geradeaus geguckt, fragte er irgendwann, ob es in Ordnung sei auch mal nach links und rechts zu schauen. Ich habe ihm geantwortet, dass es für sein Tier an der Leine sogar beruhigend ist zu sehen: "Oh mein Mensch passt auf!" Der Mann konnte sich entspannen, abwechselnd das Tier und die Umgebung angucken und endlich loslassen.  Das war für mich wirklich bewegend, wie da ganz langsam ein wunderbar harmonisches Nebeneinander- und Miteinandergehen entstanden ist. 

DOMRADIO.DE: Was können wir Menschen von Lamas lernen, gerade auch in spiritueller Hinsicht? 

Schaich:  Wir können lernen, uns nicht so viele Sorgen zu machen. Wir können Demut und Vertrauen lernen. Wir können lernen, dass wir geliebt sind, dass wir angenommen sind. Wir können lernen, wie es sich anfühlt, zu lieben und geliebt zu werden. Im Zusammenhang mit Tieren ist ja immer schnell von Liebe die Rede. Viele Menschen fragen mich auch, ob meine Lamas mich denn lieben. Da kann ich nur antworten, dass ich nicht weiß, was Liebe für Lamas bedeutet, sondern höchstens, was Liebe für Menschen sein kann. Was ich aber weiß, ist, wie es sich anfühlt, wenn ein Lama mir vertraut. Und Vertrauen und Liebe liegen sehr nah beieinander. Dieses "Ich vertraue dir, ich gehe mit dir mit, auch wenn es jetzt vielleicht gruselig wird" der Lamas hängt von unserer inneren Haltung ab. 

Lamapfarrerin Ulrike Schaich / © Ulrike Schaich (privat)
Lamapfarrerin Ulrike Schaich / © Ulrike Schaich ( privat )

Die Tiere interessieren sich nicht dafür, wie viel Geld wir haben, ob wir Markenklamotten tragen oder ob Kinder in der Schule eine Arbeit verhauen haben. Das alles ist völlig belanglos für sie. Entscheidend ist für sie dagegen das Gefühl, das ich ihnen gegenüber jetzt und hier habe. Und wenn das Lama feststellt, dass es mir vertrauen kann und gerne mit mir geht, kann ich wiederum den Menschen sagen: "Schau mal, so schwer ist das gar nicht! Und das ist genau das, was Gott dir auch sagt: 'Du kannst mir vertrauen. Und wenn ich sage, ich liebe dich, kannst du mir das auch glauben!'"

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Mehr zum Buch von Pfarrerin Ulrike Schaich

Quelle:
DR

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