Lebensrechtlerin befürwortet "Marsch für das Leben"

"Hört zu und sprecht mit uns"

Der "Marsch für das Leben" in Berlin ist nicht unumstritten. Auch nicht innerhalb der beiden großen Kirchen. Alexandra Maria Linder ist Lebensschützerin und erklärt, warum sie ihn von verschiedenen Seiten instrumentalisiert sieht.

Autor/in:
Verena Tröster
Archivbild: Hölzerne Kreuze liegen übereinander auf der Erde vor dem Start der Demonstration "Marsch für das Leben" / © Gordon Welters (KNA)
Archivbild: Hölzerne Kreuze liegen übereinander auf der Erde vor dem Start der Demonstration "Marsch für das Leben" / © Gordon Welters ( KNA )

Himmelklar: Wann wurde dieses Thema Lebensschutz Ihr persönliches Thema? Erinnern Sie sich daran, wie das seine Anfänge nahm?

Alexandra Maria Linder / © Gordon Welters (KNA)
Alexandra Maria Linder / © Gordon Welters ( KNA )

Alexandra Maria Linder (Bundesvorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht): Ja, das war Anfang der 1990er-Jahre, als ich in Köln studiert habe. Da gab es eine große feministische Bewegung, an der ich sehr interessiert war, weil ich natürlich total emanzipiert sein wollte. Ich habe mich viel mit denen unterhalten und wir haben auch viele gemeinsame Punkte: gleiche Rechte, gleiche Bezahlung, keine Diskriminierung. 

Ich bin ja noch blond. Das Blondinen-Schema hat mich immer geärgert, dass mir manche Leute, wenn ich einen Vortrag hielt, erst mal nach zwei Minuten in die Augen geguckt haben und dachten: Mensch, sie kann ja wirklich sprechen. Später konnte ich damit sehr entspannt umgehen. Aber natürlich gab es Dinge, die mich maßlos geärgert haben, und ich fand die Feministen super. 

Himmelklar: Mit einer Ausnahme, nämlich beim Thema Abtreibung.

Linder: Ja, dann kam aber immer die Geschichte mit der Abtreibung. Und dann habe ich nachgedacht: Na ja, da ist ja jetzt noch ein zweiter Mensch dabei. Das ist ja embryologisch, biologisch längst nachgewiesen. Da brauchen wir gar nicht zu spekulieren oder eine Meinung zu haben. Die Embryologie hat uns das nachgewiesen. Wir waren noch nie so auf dem wissenschaftlichen Stand wie heute, dass das von Anfang an ein Mensch ist und nichts anderes. 

Und dann habe ich angefangen zu überlegen. In meiner Umgebung hatte ich Studentinnen, die schwanger geworden sind und nicht wussten, was sie tun sollen. Wir haben dann zusammen versucht, Hilfe zu finden. Ich habe in meiner Herkunftsfamilie Abtreibungen gehabt. Vor einem halben Jahr habe ich erst erfahren, dass meiner Mutter das auch angeboten worden war. Das wusste ich bis dahin überhaupt nicht, aber sie hat es zum Glück abgelehnt. 

Dann bin ich ins Nachdenken gekommen, wie weit der Feminismus gehen kann. Kann der so weit gehen, dass er dann anfängt, vielleicht andere Gruppen zu diskriminieren? Dass sie jetzt Männer furchtbar finden oder Kinder furchtbar finden? Oder wäre ein richtiger Feminismus nicht der, dass man sagt: Ich fordere alle Rechte, aber ich gewähre dann auch den anderen alle Rechte? Und dann bin ich zufällig, wenn man es Zufall nennen will, an eine Lebensrechtsorganisation geraten, von der ich gar nicht wusste, dass sie existiert, an die Alfa in Köln. Und da habe ich gedacht: Das ist interessant, die helfen den Frauen ja richtig. Da bin ich dann eingetreten und habe angefangen, auf der Straße zu diskutieren, was super spannend war. Damals ging das noch.  (…)

Alexandra Maria Linder

"Wir laden die Leute eigentlich immer ein: Kommt doch, hört zu und sprecht mit uns."

Himmelklar: Heute organisieren Sie als Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht den "Marsch für das Leben". Die Beteiligung daran, sagen Sie, wächst kontinuierlich. Woran liegt das?

Linder: Das ist so der öffentliche Ausdruck dessen, was gesellschaftlich zu tun ist. Da geht es um die relevanten Themen, um die wir uns kümmern. Das ist unsere Aufgabe. Jeder hat Themen, mit denen er sich befasst. Unsere Themen sind die bioethischen Themen. Durch die ganzjährige Arbeit von uns und unseren Vereinen haben wir ständig mit Betroffenen zu tun – mit Frauen im Schwangerschaftskonflikt, mit Familien, mit kleinen Kindern, die Probleme haben, mit Familien mit Kindern mit Behinderungen oder mit Hospizen. 

Wir sind das ganze Jahr in diesen Bereichen tätig, mit Hilfe, mit Informationen und mit Gesprächen. Das bringen wir dann einmal im Jahr in die Öffentlichkeit, um darauf hinzuweisen, wo es Dinge gibt, die zu tun sind. Wir haben immer tolle Leute auf dem Podium. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel eine Dame, die in Indien wohnt, einen indischen Pfarrer geheiratet hat und in Indien ein Haus für ledige Schwangere aufgebaut hat. Die haben ganz andere Probleme als wir. 

Es ist hochinteressant für uns, zu sehen und auch zu zeigen, was in anderen Ländern gemacht wird und wie dort die Haltung ist oder was wissenschaftlich gemacht wird, aber auch die positiven Geschichten zu zeigen. Welche Arbeit wird gemacht? Wem konnten wir helfen? Wo hat sich etwas zum Besseren für die Betroffenen entwickelt? Deswegen ist der "Marsch für das Leben" gerade für alle Menschen da, die an diesen Themen interessiert sind und auch in dieser Arbeit tätig sind. Vom Kindergarten für Kinder mit Behinderung bis ins Hospiz wird das ganze Jahr an diesen Themen gearbeitet. 

Und da zu sehen: Was wird daraus? Was können wir machen? Was ist Tolles gelaufen? Wo müssen wir noch was ändern? Das ist so das Konglomerat eines Jahres, und deswegen kommen immer mehr Leute, weil sie sehen, da geht es um die harten Themen, um die sich vielleicht andere Leute nicht richtig kümmern oder für die sie sich nicht so richtig interessieren.

Himmelklar: Gleichzeitig ist es ja eine emotional aufgeladene Veranstaltung. Sie werden von Gegenprotesten begleitet, von der Polizei geschützt. Woher kommt diese emotionale Aufgeladenheit Ihrer Meinung nach?

Linder: Das hat natürlich immer mit dem Lebensanfang und mit Schwangerschaft zu tun. Es ist eine ganz besondere Situation, in der zwei Menschen über etwa neun Monate sind. Damit hat jeder schon mal zu tun gehabt, etwa mit Schwangerschaft in der Familie oder mit Abtreibungen in der Schule. Das ist ein Thema, mit dem eigentlich jeder in seinem Leben schon zu tun gehabt hat, ob er jetzt selber Kinder hat oder selber eine Abtreibung hatte. Und das Emotionale kommt eigentlich nicht von unserer Seite. 

Wir versuchen das sehr sachlich und menschlich und vor allem – das ist uns wichtig – frei von Diffamierungen Andersdenkender (zu machen). Wir laden die Leute eigentlich immer ein: Kommt doch, hört zu und sprecht mit uns. Warum auf manchen Seiten dieser Hass ist, weiß ich nicht. Der ist aber, glaube ich, mittlerweile in der Öffentlichkeit überall. Wenn jemand sich hinstellt und sagt: "Ich bin gläubig", dann schlägt ihm teilweise auch Hass entgegen. Oder wenn jemand sagt, dass eine Familie aus Vater, Mutter und Kind besteht, und das ganz einfach als persönliche Meinung äußert, wird der ja auch mit Hass verfolgt. Ich nehme das gar nicht persönlich, sondern ich glaube, das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, in der die Diskussionskultur leider sehr nachgelassen ist. 

Himmelklar: Vielleicht kann es auch daran liegen, dass der "Marsch für das Leben" politisch unterlaufen und teilweise instrumentalisiert wird, von der AfD zum Beispiel, sodass man das Gefühl bekommen kann, dass da eine rechte Gesinnung herrscht?

Linder: Das ist ja Blödsinn. Den "Marsch für das Leben" gab es schon lange, bevor eine Partei wie die AfD überhaupt existierte. Die Lebensrechtsbewegung gibt es seit 40 Jahren. Wir machen immer unsere Arbeit. Es wird nicht unterlaufen, es wird nicht unterwandert. 

Gucken Sie sich unsere Veranstalter an, gucken Sie sich die Organisatoren an und die Leute, die auf dem Podium sind. Daran kann man eine Veranstaltung messen – und an der Menge der Teilnehmer und an der Gesinnung von 95 bis 99 Prozent der Teilnehmenden. 

Himmelklar: Ich habe immer dieses Bild im Kopf, wie Beatrix von Storch (AFD) 2014 das riesige Front-Transparent getragen und den Marsch zusammen mit Martin Lohmann angeführt hat, damals als Abgeordnete im Europaparlament.

Linder: Ja, das war ein Fehler in dem Sinne, dass wir grundsätzlich überparteilich und nicht konfessionell gebunden sind. Das war einfach ein Fehler, überhaupt einen Politiker, welcher Couleur auch immer, da so einzubinden. Aber da müssen Sie den Herrn Lohmann fragen, warum er das gemacht hat. Das war vor meiner Zeit. 

Ich bin seit 2017 Vorsitzende, und seitdem wir gesehen haben, dass Leute vorne am Banner laufen, die da aus vielen Gründen gar nicht hingehören, sorgen wir dafür, dass die Leute am Banner laufen, die wirklich diejenigen sind, die die ganze Arbeit leisten, die auf dem Podium sind und das ganze Jahr dafür arbeiten. Unsere Vorstände, unsere Jugend, das sind die Leute, die vorne ans Banner gehören. Und nicht irgendein Politiker, der unter bis zu 9.500 Leuten, die wir ja 2019 schon waren, irgendwo mitläuft und besonders auffällt, weil man den halt kennt. 

Ich kenne kaum jemanden aus diesen Massen von Menschen, die da kommen, außer den Lebensrechtlern, denen man über das Jahr begegnet. Es ist aber eine demokratische Veranstaltung und wir dürfen übrigens laut Versammlungsrecht niemanden ausschließen, der sich nicht irgendwie schlecht benimmt oder Leute anpöbelt. Das dürfen wir gar nicht machen in einer demokratischen Veranstaltung.

Alexandra Maria Linder

"Es ärgert mich, dass das [...] von mehreren Seiten instrumentalisiert wird."

Himmelklar: Ich höre da aber heraus, dass es Sie persönlich ärgert, dass die Veranstaltung so ein Bild bekommen hat? 

Linder: Ja, es ärgert mich, dass das tatsächlich von mehreren Seiten übrigens instrumentalisiert wird und das Ganze, was die Sache eigentlich ausmacht, wer das prägt und wer dahin geht, dann damit immer in den Hintergrund gestellt wird. Da sucht man sich dann immer einen Punkt heraus, der aber überhaupt kein "pars pro toto" (Teil fürs Ganze, d. Red.) ist, sondern irgendein Zufallsbild, das dann die ganze Sache in Misskredit ziehen möchte. 

Himmelklar: Das kann so einer Veranstaltung natürlich großen Schaden zufügen. 

Linder: Absolut. Wir können aber auch nicht verhindern, dass die Linke unseren "Marsch für das Leben" instrumentalisiert, um irgendwelche politischen Forderungen zu stellen. Das ist Demokratie. Damit müssen wir leben. Und wir können das auch, solange wir das Heft in der Hand haben und unsere Überparteilichkeit gewahrt ist. Und das ist ja so.

Darauf achten wir sehr streng, denn wir sind ja ein Lobbyverband, und ein Lobbyverband ist dafür zuständig, unter anderem auch den Bundestag mit Informationen und Anregungen zu beliefern. Das ist unsere Aufgabe und das kriegt jede Partei, die im Bundestag ist. Das ist Demokratie und das müssen wir dann auch machen. 

Himmelklar: Sie sagen, Sie sind politisch nicht gebunden. Sind Sie auch religiös nicht gebunden? 

Linder: Nein, wir arbeiten natürlich auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes und unserer Verfassung … 

Himmelklar:  und die Veranstaltung endet mit einem ökumenischen Gottesdienst? 

Linder: Nein, nicht mehr. Das war früher so. Übrigens war das immer separat. Die Demonstration endet eigentlich mit dem Zurückkommen vom Marsch zur Bühne. Und damals hat man, weil viele Leute sich das gewünscht haben, im Anschluss an die Veranstaltung, für die, die noch teilnehmen wollten, am selben Ort – früher war das auch in Kirchen und später dann auf der Bühne – einen ökumenischen Gottesdienst angeboten. 

Wir haben mittlerweile, weil sich das viele Leute wünschen, einen Reisesegen daraus gemacht, der kürzer ist, weil die Leute auch nach Hause müssen. Ich möchte eigentlich auch vielmehr eine säkulare Veranstaltung, aber ich möchte auch den Christen nicht verwehren, da hinzukommen. 

Himmelklar: Sie selbst sind Katholikin. 

Linder: Ich bin katholisch, ja. Ich bin aber ganz entspannt. Wir haben auch Muslime, die unsere Sache unterstützen. Wir haben Juden, die unsere Sache unterstützen. Und wir haben auch Atheisten, die unsere Sache unterstützen. Ich weiß bei vielen Leuten nicht, ob sie überhaupt einen Glauben haben. Das ist uns auch völlig egal. Wenn jemand unsere Satzung aufnimmt und sagt: "Ja, das vertrete ich, da mache ich mit", dann ist uns völlig egal, welche Konfession oder welche Herkunft er hat. 

Das ist ein Angebot nach dem Marsch, wo auch viele übrigens dann schon weggegangen sind, weil sie ihre Züge bekommen müssen. Aber da freut sich dann auch einfach mal so ein Weihbischof aus Berlin, wenn er dann auch noch etwas sagen darf, weil der in Berlin ja auch oft einen harten Stand hat. Ich gönne den Leuten das und es ist auch nichts Schlimmes. Ein Reisesegen ist ja nicht gegen jemanden, sondern für alle. Ein Muslim kann ja auch einen Reisesegen bekommen. Also ich bin da völlig entspannt. 

Himmelklar: Haben Sie selbst persönlich auch manchmal mit Anfeindungen zu kämpfen? 

Linder: Natürlich. Also ich bin, wenn ich die Anfeindungen zusammenfasse, rechtsextremistisch, fundamentalistisch, homophob, antifeministisch – allerdings ohne mich je gefragt zu haben oder mit mir gesprochen zu haben. Das macht die Sache sehr schwierig. Es gibt auch Menschen, die nicht mit mir sprechen wollen. Wir haben immer wieder angeregt, zum Beispiel mit den Abtreibungsexperten, die da sehr profiliert in der Öffentlichkeit sind, etwa mit Frau Szász aus Kassel oder mit Frau Hänel doch mal miteinander zu reden. 

Denn wir haben ja möglicherweise das gleiche Ziel. Wir wollen für die Frauen etwas Gutes tun. Vielleicht gibt es Mittel und Wege, dass wir da auch mal gemeinsam einen Weg finden und dass wir dann auch helfen können. Wenn sie zum Beispiel eine Frau haben, die gar nicht wirklich abtreiben will, dann könnten wir der dann helfen. Aber das ist immer abgelehnt worden, was wir sehr schade finden.

Das Interview führte Verena Tröster.

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Himmelklar (DR)
Himmelklar / ( DR )
Quelle:
DR

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