Staatssekretär Saathoff betont Bedeutung von Menschenwürde in Politik

"Wir müssen Zivilgesellschaften stärken"

Wie können kirchliche Hilfswerke und Politik zusammen Gutes erreichen? Bei einem Kongress des Hilfswerkes Renovabis hat darüber Staatssekretär Johann Saathoff gesprochen. Er will die internationale Zusammenarbeit intensivieren.

Autor/in:
Johannes Schröer
Johann Saathoff / © Arne Immanuel Bänsch (dpa)
Johann Saathoff / © Arne Immanuel Bänsch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wenn man auf die aktuellen Krisen unserer Zeit schaut, könnte man sich fragen: Zählt in der Welt nur noch die Macht des Stärkeren?

Johann Saathoff (Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung): Das würde ich nicht sagen. Allerdings erlebe ich in vielen Begegnungen, dass Menschen dazu neigen, sich zurückzuziehen und eher abzuschalten. Das Leid, das man über die unterschiedlichen Medien sieht, ist nur schwer zu ertragen für die Menschen. Es hinterlässt ein Gefühl der Hilflosigkeit.

Doch ich möchte an dieser Stelle sagen: Resignieren ist genau das, was wir bei diesen Gefühlen eben nicht machen dürfen. Es ist unsere Verantwortung, uns für die Menschen und zwar für die Würde jedes einzelnen Menschen einzusetzen. Die Menschenwürde ist unantastbar. Das ist der Grundsatz unserer Verfassung, und doch ist er verletzlich. Die oberste Priorität des BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Anm. d. Red.) ist es, ein Leben in Würde für alle Menschen zu ermöglichen. Da geht es darum, den Kampf gegen den Hunger und gegen Ungleichheit zu führen. Da geht es um Gerechtigkeit im Hinblick auf Bildung, Gesundheit und Klimawandel. Und da geht es natürlich auch um ein Leben in Sicherheit – hier in Deutschland, aber auch überall in der Welt. 

Menschenwürde ist grundsätzlich unser Leitprinzip. Das heißt, konsequent die Perspektive der Betroffenen einzunehmen und die Würde jeder und jedes Einzelnen zu schützen und diese auch zu fördern.

Johann Saathoff

"Kirche spielt eine große Rolle in der Frage der moralischen Orientierung."

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt Religion? Welche Rolle spielt die Kirche im Einsatz für die Menschenwürde? 

Saathoff: Sie spielt eine große Rolle in der Frage der moralischen Orientierung. Auch bei mir im Wahlkreis spielt die Kirche eine große Rolle und auch im internationalen Kontext ist sie sehr wichtig, nicht zuletzt in der Entwicklungszusammenarbeit. Sie ist für uns ein wichtiger Partner in der deutschen Entwicklungspolitik.

Die Kirchen genießen besonderes Vertrauen bei den Menschen. Sie sind nah dran an den Bedürfnissen, Hoffnungen, Ängsten und Sorgen. Sie geben ihnen in politischen und in gesellschaftlichen Debatten eine Stimme. Sie sind auch in entlegenen Regionen präsent und haben Zugang zu Bevölkerungsgruppen, die schwer zu erreichen sind.

DOMRADIO.DE: Für Sie als Parlamentarischer Staatssekretär im BMZ ist die Situation angesichts all der Probleme, die wir in Deutschland haben und der finanziellen Kürzungen auch nicht einfach. Fühlen Sie sich da am Ende der Prioritätenliste?

Symbolbild Entwicklungshilfe in Afrika / © Domagoj Ruzicka (shutterstock)
Symbolbild Entwicklungshilfe in Afrika / © Domagoj Ruzicka ( shutterstock )

Saathoff: Um das vorweg zu sagen: Das BMZ ist handlungsfähig und die Zivilgesellschaft bleibt ein zentraler und unverzichtbarer Partner der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Natürlich machen die Kürzungen im BMZ-Haushalt unser Leben nicht leichter. Sie betreffen die Förderung zivilgesellschaftlicher und kirchlicher Projekte. Man kann sagen, dass Entwicklungspolitik derzeit in Deutschland viel Gegenwind erfährt, weil populistische Stimmen versuchen, nationale Interessen gegen unser internationales Engagement auszuspielen. 

Ich erlebe jeden Tag bei meiner Arbeit, dass wir rechtfertigen müssen, was wir tun. Aber das mache ich dann auch gerne. Denn wir können mit sehr guten Argumenten rechtfertigen, was wir tun. Wenn Menschen sich Zeit nehmen und zuhören, merken sie schnell, dass es nicht so ist, wie manche suggerieren, dass wir einfach nur Geld verschenken. Das ist ganz klar nicht der Fall.

Unsere Entwicklungspolitik ist daran ausgerichtet, dass wir gemeinsam miteinander wachsen. Es ist kein Gegensatz. Unser entwicklungspolitisches Engagement ist ein Gebot der Menschlichkeit und liegt zugleich im ureigenen Interesse Deutschlands. 

Es gibt einen Trend, Entwicklungszusammenarbeit in Frage zu stellen und nationalistisch zu denken. Diesen Trend können wir als BMZ nicht alleine stoppen. Wir brauchen Partner und Gleichgesinnte. Nur gemeinsames Engagement ermöglicht es, sich den öffentlichen Debatten zu stellen und für unsere gemeinsamen Ziele in Deutschland und weltweit einzutreten. 

DOMRADIO.DE: Wenn man überall "America First" hört oder sieht, dass nationale Interessen in den Vordergrund gestellt werden, erkennt man genau das Gegenteil einer Denkweise, die von Menschenwürde und Nächstenliebe geprägt ist. Warum ist es Ihrer Meinung nach so wichtig, ein Menschenbild zu fördern, das eben von Menschenwürde und Nächstenliebe geprägt ist?

Johann Saathoff

"Zivilgesellschaften sind ein unverzichtbares Element der Demokratie."

Saathoff: Dieses "Make me great again" macht mir große Sorge. Vor allem macht mir Sorge, dass man sich nur auf sich selbst fokussiert und wieder in nationale Egoismen zurückzieht. Ich bin überzeugt, dass wir nur durch internationale Zusammenarbeit die großen globalen Herausforderungen lösen können. So schützen wir die Lebensgrundlagen aller Menschen und letztlich auch die jedes einzelnen Staates. 

Die großen Herausforderungen liegen auf der Hand: die Bekämpfung der Klimakrise, der Abbau von Ungleichheiten, der Einsatz für Gerechtigkeit, der Kampf gegen Hunger und das Engagement dafür, dass Menschen in Sicherheit leben können.

Das sind internationale Herausforderungen, denen wir uns gemeinsam stellen müssen. Gleichzeitig werden Zivilgesellschaften zunehmend zurückgedrängt. Wir nennen dieses Phänomen "Shrinking Spaces". Dem müssen wir aktiv entgegenwirken. Dafür setzen wir uns ein. 

Dazu muss sichergestellt werden, dass Partizipation und Inklusion Geltung verschafft wird. Und wir müssen Zivilgesellschaften stärken. Wir merken, dass Zivilgesellschaften in einigen Ländern der Welt zunehmend in Schwierigkeiten geraten. Dagegen müssen wir arbeiten. Zivilgesellschaften sind ein unverzichtbares Element der Demokratie. 

Es kommt auch auf eine Führungsrolle Europas bei den globalen Herausforderungen wie Armut, Klimawandel und Migration an. Deswegen ist es wichtig, dass wir eine stärkere Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit den Nachbarländern, insbesondere Osteuropa, haben. Dann können wir auf Rechtsstaatlichkeit, auf die Unterstützung von Geflüchteten und auf die Bekämpfung von "Shrinking Spaces“ gemeinsam hinarbeiten. Wenn wir das im internationalen Kontext tun, ist "Make me Great Again" am Ende vielleicht nur eine vorübergehende Erscheinung, gegen die wir wirksam vorgehen können.

Entwicklungshilfe ist vor allem in Afrika gefragt / © Riccardo Mayer (shutterstock)
Entwicklungshilfe ist vor allem in Afrika gefragt / © Riccardo Mayer ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Hunger in der Welt, Flüchtlingskrisen, Millionen Menschen auf der Flucht, Kriege, die auch in Europa immer näherkommen und der Klimawandel: All das stellt große Herausforderungen dar. Woraus schöpfen Sie Hoffnung für die Zukunft?

Saathoff: Es ist eine Situation, die einen manchmal verzweifeln lässt. Ich möchte dazu beitragen, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. In einem Interview wurde ich neulich gefragt, warum es für mich ausreiche, die Welt nur ein kleines bisschen besser zu machen. Ich glaube, dass wir eine wunderbare Welt hätten, wenn überall auf der Welt Menschen wären, die die Welt ein kleines bisschen besser machen. Es bräuchte viel mehr solcher Menschen.

Neben all den hoffnungslosen Meldungen, die uns immer wieder erreichen, gibt es auch viele Erfolgsgeschichten. Mit internationaler Zusammenarbeit haben wir große Fortschritte erzielt. Wir konnten Menschen in Sicherheit bringen, ihnen Bildung ermöglichen und erleben oft Dankbarkeit. Viele sagen uns, dass das deutsche entwicklungspolitische Engagement ihrem Land, ihrer Region oder einzelnen Menschen wirklich geholfen hat. Jede dieser Rückmeldungen sehe ich als Auftrag, in diese Richtung weiterzuarbeiten.

DOMRADIO.DE: Kann man also mit Menschenwürde Politik machen? 

Saathoff: Man muss mit Menschenwürde als Grundmotiv Politik machen. Nächstenliebe und Menschenwürde sind unmittelbar miteinander verbunden. Ich wünsche mir Politikerinnen und Politiker, die das nicht aus den Augen verlieren, sondern all ihre Entscheidungen an ihrem moralischen Grundkompass ausrichten. Menschenwürde sollte dabei nicht nur als Verfassungsauftrag gelten, sondern auch Teil der eigenen Erziehung sein.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR

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