DOMRADIO.DE: Montags bis Samstags gibt es im Franziskustreff das Frühstück für obdachlose Menschen. Sie nehmen insgesamt 50 Cent für Kaffee, Brotaufstriche, Käse, Wurst. Warum ist das Frühstück nicht ganz kostenlos?
Michael Wies (Kapuzinerbruder aus Frankfurt): Weil wir Menschen beteiligen möchten. Es hat etwas mit Würde zu tun, wenn Menschen am Tisch bedient werden und diese ihren Beitrag leisten können. Wir wollen eine Begegnung auf Augenhöhe, damit die Menschen sich als Teil der Gesellschaft fühlen.
DOMRADIO.DE: So ein Angebot spricht sich natürlich herum. Wie viele Menschen kommen da täglich zusammen?
Wies: Wir müssen leider feststellen, dass wir im letzten Jahr 45.000 Teller ausgegeben haben, also eine Steigerung um 3.000 Teller. Wir sehen deutlich, dass mehr Menschen unser Angebot in Anspruch nehmen.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt das Frühstücksangebot im Franziskustreff im Alltag der Betroffenen?
Wies: Für sie ist es eine wichtige Anlaufstelle, weil sie wissen, dass wir verlässlich da sind und sie morgens mit einem Frühstück und einem Kaffee gut in den Tag starten können.
DOMRADIO.DE: Können die Besucher dort denn auch für eine Weile sitzenbleiben?
Wies: Aufgrund der engen Raumverhältnisse in Frankfurt am Main müssen wir leider dafür sorgen, dass immer wieder ein Wechsel stattfindet. Wir haben mehr Gäste, als wir Plätze haben; in der Innenstand von Frankfurt sind das nur 24 Plätze. Wohnraum und Begegnungsraum ist hier knapp, deshalb haben wir eine 30-Minuten-Regel in unserem Gastraum. So erreichen wir allerdings auch alle Obdachlosen und von Armut und Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen.
DOMRADIO.DE: Dürfen die Menschen ihre Vierbeiner mitbringen?
Wies: Der Raum ist so klein, dass man über die Tiere stolpern könnte. Deshalb müssen die draußen bleiben. Wir haben aber eine Hundestation, an der man den Hund auch versorgt.
DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung hat das Ziel ausgerufen, Wohnungslosigkeit bis 2030 zu überwinden. Wie realistisch ist dieses Ziel aus Ihrer Sicht?
Wies: Das ist ein ehrgeiziges Ziel, das sehr viel Unterstützung des Landes und auch des Bundes benötigen wird. Eigentlich ist das eine kommunalpolitische Aufgabe. Aber wir sehen schon jetzt, wie überfordert die Kommunen sind, ihren anderen Leistungen nachzukommen. Deswegen braucht es viel Fantasie und einen starken politischen Willen auf allen Ebenen. Der einzelne Sozialhaushalt der Kommune wird dieses Ziel nicht schaffen, denn Wohnungsraum ist in der Rhein-Main-Region knapp. Hessen hat wieder steigende Obdachlosen- und Wohnungslosenzahlen.
Auch, wenn man auf den sozialen Wohnungsbau schaut, ist das ganz eindeutig. Die Studierendenzahlen steigen ebenfalls und damit die Zahl der Wohnungssuchenden. Mit Blick auf den Wohnungsmarkt sind obdachlose Menschen die schwächsten unserer Gesellschaft, die am wenigsten Chancen haben, eine Wohnung zu finden.
DOMRADIO.DE: Welchen Wunsch hätten Sie an die Bundesregierung, um dieses Ziel weiter voranzubringen?
Wies: Es wäre jetzt an der Zeit, dass Juristen drüber nachdenken, wie man Belegrechte für genau diese marginalisierte Gruppe von Menschen durchsetzen könnte. Es ist einmal versprochen worden, dass der Wohlstand kommt, aber in der Obdachlosen-Arbeit ist er nie angekommen. Es wäre gut, wenn die Juristen in den Regierungen nun darüber nachdenken, wie man einen Anspruch auf Wohnraum in Gesetze verpacken könnte.
Statt teure Übergangswohnungen oder Hostels zu organisieren, in die der Staat sehr viele Millionen reinbuttert, sollte gesicherter Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Das würde ich mir von der Bundesregierung wünschen.
DOMRADIO.DE: Sie übernehmen mit Ihrem Angebot im Grunde Aufgaben des Sozialstaates und haben Ihr Hilfsangebot mit der "Franziska-Werkstatt" erweitert. Wie bekommen die Menschen dort eine neue Perspektiven vermittelt?
Wies: Die Franziska-Werkstatt soll Menschen die Möglichkeit geben, im Arbeitsmarkt überhaupt wieder Fuß zu fassen. Unsere Sozialarbeiter bringen dort die Papiere des jeweiligen Gastes, der wieder arbeiten gehen möchte, in Ordnung. Wir haben diese Werkstatt errichtet, in der wir Kerzen produzieren, um die Menschen wieder zu einer Tagesstruktur und einem Tagesablauf zu befähigen.
Außerdem sollen die Menschen dort auch darüber nachdenken, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewerben. Im gastronomischen Bereich hatten wir zum Beispiel schon zwei Teilnehmer, die dadurch die Chance auf eine Bewerbung genutzt haben.
Wir wollen diesen Menschen erst einmal eine Chance geben, die sie woanders vielleicht nicht bekommen; weil die Papiere vielleicht nicht stimmen und alles lange dauert – dafür muss man einen langen Atem haben. Mit dieser Werkstatt wollen wir ein Zeichen setzen, dass Veränderung möglich ist, wenn man den Menschen Gerechtigkeit verschafft und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Fähigkeiten auszuspielen. Mit der Werkstatt wollen wir einen Raum dafür bieten.
Das Interview führte Tobias Fricke.