Deutschsprachige Gemeinde hilft Betroffenen in Lissabon nach Unglück

"In der Muttersprache da sein"

Lissabon steht unter Schock nach einem schweren Unfall der Standseilbahn. Unter den Opfern sind auch Menschen aus Deutschland. Die deutschsprachige evangelische Gemeinde leistet Seelsorge bei den Betroffenen, erklärt Susanne Burger.

Autor/in:
Johannes Schröer
Menschen betrachten die entgleiste Standseilbahn in Lissabon / © Armando Franca/AP (dpa)
Menschen betrachten die entgleiste Standseilbahn in Lissabon / © Armando Franca/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie kann die deutschsprachige evangelische Gemeinde in der Situation helfen?

Susanne Burger (Vorstandvorsitzende der evangelischen deutschsprachigen Gemeinde Lissabon): Die deutsche Botschaft in Lissabon hat uns um Hilfe gebeten. Das ist auch schon in ähnlichen Fällen vorher passiert. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit, was soziale Angelegenheiten angeht, wenn deutschsprachige oder deutsche Bürger involviert sind. 

Unsere Pastorin Christina Gelhaar ist im Augenblick im seelsorgerischen Einsatz. Ich bin nicht befugt, in die Einzelheiten zu gehen, aber es gibt auch deutschsprachige Betroffene, die hier vor Ort seelsorgerisch von uns betreut werden. Frau Gelhaar ist unterwegs. Sie ist im Hospital, um dort Hilfe für Betroffene und auch für Familienangehörige zu leisten, die inzwischen eventuell schon vor Ort sind.

Lissabon: Eine Frau legt Blumen an der Stelle ab, an der eine Straßenbahn für Touristen entgleist ist / © Armando Franca/AP (dpa)
Lissabon: Eine Frau legt Blumen an der Stelle ab, an der eine Straßenbahn für Touristen entgleist ist / © Armando Franca/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sind demnach Deutsche unter den Opfern?

Burger: Ich kann hier etwas zitieren, was auch in den portugiesischen Medien schon mehrfach genannt und bestätigt wurde. Ein deutscher Familienvater könnte gestern getötet worden sein. Die Frau und Mutter eines 3-jährigen Jungen liegt schwer verletzt im kritischen Zustand im Krankenhaus. Der Junge selbst ist leicht verletzt.

DOMRADIO.DE: Wie reagiert Lissabon, wie reagiert Portugal?

Burger: Portugal reagiert schwer geschockt. Das Land ist in Trauer. Eine Staatstrauer ist angeordnet worden. Alle Gebäude sind auf Halbmast beflaggt. Die Menschen, wann immer man sie auf der Straße trifft oder im Gespräch ist, sprechen das sofort an. Wir sind schwer getroffen. 

Wir befinden uns in einem touristischen Land im Hochsommer. Anfang September ist eine Zeit, in der Lissabon mit Touristen aus aller Welt überflutet ist und die Menschen sind schwer geschockt. So ein Unglück hat es noch nie gegeben. Auf jeden Fall nicht mit einer sogenannten Standseilbahn oder einer Straßenbahn.

Rettungskräfte arbeiten an der Stelle, an der die Standseilbahn in Lissabon entgleist ist.  / © Xun Wei/XinHua/dpa (dpa)
Rettungskräfte arbeiten an der Stelle, an der die Standseilbahn in Lissabon entgleist ist. / © Xun Wei/XinHua/dpa ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sind die Bahnen weiterhin im Betrieb?

Burger: Sämtliche Standseilbahnen sind sofort außer Betrieb genommen worden. Im Augenblick läuft nichts mehr. Die Untersuchungen laufen auf Hochtouren. Das Gebiet ist weiträumig abgesperrt. An dem Platz Praça dos Restauradores am unteren Bereich dieser Unfallstelle gibt es wohl eine Stelle, an der mittlerweile Blumen und Kerzen abgelegt werden können. 

Am Donnerstagmorgen war das noch nicht der Fall. Da haben wir versucht, Kerzen und Blumen aufzustellen, da war aber kein Vorwärtskommen, weil alles mit Absperrbändern markiert war. Die Polizei versucht das großräumig abzusperren. Die Stadt ist voller Menschen.

Susanne Burger

"Was wir machen können, ist vor Ort zu sein." 

DOMRADIO.DE: Was kann Seelsorge bei so einem Unglück leisten?

Burger: Seelsorge ist in erster Linie, da zu sein und vor allem auch in der Muttersprache da zu sein. Wenn so unvorstellbare Situationen auftauchen oder Betroffene von so einem Unfall überrascht und aus dem Leben gerissen werden, brauchen sie die Möglichkeit zu sprechen und sich auszutauschen. 

Was wir machen können, ist vor Ort zu sein. Was Christina Gelhaar macht, ist vor Ort zu sein und auf Deutsch mit den Menschen zu reden, eventuell auch zu übersetzen. Dazu gehört auch, wo es gewünscht ist, mit den Menschen zu beten.

DOMRADIO.DE: Kann das gemeinsame Beten in so einer Situation helfen?

Burger: Das ist für uns als Kirchengemeinde ein wesentlicher Punkt, aber nicht der einzige. Nicht jeder Mensch ist kirchlich geprägt oder religiös. Das ist völlig in Ordnung. Seelsorge ist erstmal, für die Menschen da zu sein, sie vorzufinden in dem Stadium, in dem sie gerade sind und ihnen das zu geben, was sie gerade brauchen. 

Wenn jemand offen ist für ein Gebet oder ein Lied, was gemeinsam gesungen wird, machen wir das. Manchmal reicht es schon, sich in den Arm zu nehmen, einander an den Händen zu halten, zu schweigen und einfach da zu sein.

Susanne Burger

"Wir empfangen die ganze Welt mit offenen Armen." 

DOMRADIO.DE: Die Standseilbahn in Lissabon ist nicht irgendeine Bahn, sondern eine bekannte Touristenattraktion. Was kann so ein Unfall für das Selbstverständnis der Stadt bedeuten?

Burger: Die Elevador da Glória ist eine Mischung aus einer Seilbahn und einer Straßenbahn. Davon gibt es mehrere in der Stadt. Sie ist schon seit dem 19. Jahrhundert in Betrieb und eine der großen Touristenattraktionen der Stadt. Portugal lebt vom Tourismus und die Portugiesen sind sehr gastfreundliche Menschen. Wir empfangen die ganze Welt mit offenen Armen. 

Das bedeutet erstmal ein großer Schock, eine große Trauer und Unverständnis. Wie konnte so etwas passieren? Die Menschen hoffen, dass sich der Unfall aufklärt. Es herrscht hier eine große Hilfsbereitschaft. Mittwochabend waren Videos im Fernsehen und in den sozialen Medien im Umlauf.

Es wurde Folgendes gezeigt: Kurz nachdem das Unglück passiert ist, war dieser Ort in eine große Rauchwolke gehüllt. Viele Menschen, auch junge Männer, sind sofort angerannt gekommen, um zu helfen. Diese Hilfsbereitschaft war sofort da. Ich glaube, das Land muss sich erstmal sammeln und verstehen, was passiert ist. Es muss alles aufarbeiten. Wir helfen so gut, wie wir können und hoffen, dass so etwas nie wieder passiert. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR

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