DOMRADIO.DE: Was macht die Linse denn aus?
Antje Peters-Reimann (Gartenhistorikerin): Die Linse zählt zur Familie der Hülsenfrüchtler und hat ganz wunderschönes, zartgrünes Laub. Man kann sich das wie kleine Fächer vorstellen, die in kleinen Ranken enden. Sie muss sich nämlich ein bisschen hochranken, um in die Höhe und ans Licht zu kommen. Sie hat ganz zarte, weiß-lila-schmetterlingsartige Blüten und wäre auch eine tolle Zierpflanze.
DOMRADIO.DE: Seit wann begleitet die Linse uns Menschen und welche Rolle spielt sie in der Bibel?
Peters-Reimann: Man könnte salopp sagen, dass es für uns Menschen kaum eine Zeit ohne Linse gibt. Im heutigen Irak gibt es eine Gegend, für die man nachweisen konnte, dass die Linse seit 9.000 Jahren angebaut wird. Die Linse kann aber auch in den biblischen Regionen bis ins dritte Jahrtausend vor Christus als Nutzpflanze zurückverfolgt werden.
DOMRADIO.DE: In welchen Bibelgeschichten kommt die Linse denn vor?
Peters-Reimann: Die Linse kommt relativ häufig in der Bibel vor, weil sie eine wichtige Nahrungspflanze ist. Viele kennen die Geschichte von Esau und Jakob. Esau war unterwegs und hatte sich wahrscheinlich auf der Jagd sehr verausgabt. Als er nach Hause kam, hatte sein Bruder Jakob einen leckeren Linseneintopf gekocht. Esau sagte dann zu seinem Bruder, dass er ihm etwas zu essen geben solle. Jakob entgegnete, dass er das aber nur unter der Bedingung tun würde, dass Esau ihm sein Recht als Erstgeborener verkauft. Denn Esau war der ältere und Jakob der jüngere Sohn. Esau wollte ihm sein Recht für den Linseneintopf verkaufen.
Das klingt ein bisschen harmlos. Aber als Erstgeborener hat man viel mehr geerbt und den Segen des Vaters bekommen. Jakob hat letztlich seinen hungrigen Bruder erpresst.
DOMRADIO.DE: War die Linse auch medizinisch relevant?
Peters-Reimann: Medizinisch war die Linse immer relevant. Allerdings waren sich die Ärzte in der Antike nicht so wirklich einig, ob die Linse eine Giftpflanze oder eine Heilpflanze ist. Die einen waren der Überzeugung, dass Linsengenuss sogar Tumore fördern könnte. Andere Ärzte schätzen die Linse als Hausmittel gegen Pocken. Später hat man gesagt, dass sie nur bekömmlicher ist, wenn man sie in Regenwasser kocht. Es war alles ein bisschen abstrus.
DOMRADIO.DE: Taucht die Linse auch im Brauchtum oder womöglich im Aberglauben auf?
Peters-Reimann: Sie taucht immer wieder als Liebesorakel auf. Wenn junge, unverheiratete Frauen auf der Suche nach einem Bräutigam waren, sollten sie ein Linsengericht kochen. Das sollten sie in einen Topf tun, den in einen Raum stellen und dann den Topf von außerhalb des Raums beobachten. Der erste junge Mann, der sich über das Linsengericht hermachte, würde dann der zukünftige Bräutigam sein. Also völlig absurd.
Und dann gibt es den Aberglauben: Wer am 24. Dezember Hülsenfrüchte isst, der wird im kommenden Jahr keine Geldsorgen haben.
DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie dieses wirklich fulminante Comeback der Linse?
Peters-Reimann: Die Linse galt sehr lange als "Arme-Leute-Essen" und wurde als piefig (altmodisch, steif) verschrien. Aber im Moment ist sie sehr, sehr trendy. Gerade in Currys und Salaten, aber natürlich auch im klassischen Linseneintopf mit oder ohne Wurst.
Ich denke, das Comeback hat die Linse, weil sie wirklich ein echtes Kraftpaket auf dem Teller ist. Sie ist voller Eiweiße und Kohlenhydrate. Das ist natürlich für Vegetarier und Veganer sehr interessant. Linsen auf dem Teller sind wirklich sehr gesund und auch noch unglaublich lecker.
Das Interview führte Hilde Regeniter.