DOMRADIO.DE: Sie haben vergangene Woche an der Konferenz "From Climate Crisis to Climate Resilience in Europe at Local and Regional Levels" in Wien teilgenommen. Die Tagung wurde von den Päpstlichen Akademien der Wissenschaften und der Sozialwissenschaften organisiert. Worum ging es bei der Konferenz?
Prof. Dr. Lamia Messari-Becker (Professorin für energieeffiziente Gebäudetechnik am Karlsruher Institut für Technologie): Kurz gesagt: Es ging darum, der Klimaanpassung mehr Gewicht in Politik und Finanzierung zu geben und insbesondere auf lokaler Ebene zu fördern – das allerdings über Weltregionen hinweg. Daher ist diese Konferenz Teil einer weltweiten Konferenzreihe mit Stationen unter anderem in den USA, Kenia und Brasilien.
Das Ganze hat einen tieferen Hintergrund. Die Initiative ging vom verstorbenen Papst Franziskus aus, die auch vom Papst Leo unterstützt wird.
DOMRADIO.DE: Welches Resümee ziehen Sie nach der Tagung?
Messari-Becker: Für ein Resümee ist es zu früh. Ausdrücklich erfrischend fand ich, dass die Diskussion lösungsorientiert war. Alle Beteiligten haben ihren Blick eingebracht. Mein Part als Bauingenieurin und Wissenschaftlerin war es, die Rolle des Bausektors, Handlungsebenen und konkrete Maßnahmen zu benennen.
DOMRADIO.DE: Die da wären?
Messari-Becker: Etwa der Schutz der kritischen Infrastruktur. Im Katastrophenfall, egal ob bei Hitze oder Überflutung, darf die Versorgung nicht zusammenbrechen, etwa Krankenhäuser oder Energie- und Wasserversorgung.
Oder Korrekturen im Städtebau: Hier brauchen wir mehr Grün, weniger Versiegelung, im besten Sinne eine Balance zwischen Grün, Blau und Grau. Es geht darum, unsere Lebensräume hitze- und wasserresilient umzubauen, hier ist das Stichwort Schwammstädte.
DOMRADIO.DE: Können Sie das kurz erklären?
Messari-Becker: Das sind Städte, die das Regenwasser durch grüne Flächen, Landschaftsplanung und einiges mehr dort aufnehmen, wo es anfällt, zunächst speichern und später abgeben und damit die Luft kühlen. Aber es ging unter anderem auch um Maßnahmen an und in Gebäuden, also Dinge, die Sie und ich tun können, wie zum Beispiel die Begrünung an Gebäuden und die Materialwahl. Es sind eigentlich einfache Prinzipien: Bauen mit der Natur und nicht gegen die Natur. Bauen mit dem Klima, nicht gegen das Klima.
DOMRADIO.DE: Die Konferenz wurde vom Vatikan organisiert. Wie wurde das bei der Veranstaltung deutlich?
Messari-Becker: Natürlich nicht nur durch die Anwesenheit hoher Geistlicher, sondern durch ihre inhaltlichen Beiträge, die stark auf Solidarität, Rücksicht auf unterschiedliche Bedürfnisse, Kooperation und Diskurs setzten. Kardinal Peter Turkson betonte etwa, dass der Kampf gegen die Klimakrise stets auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität mit den besonders unter dem rasanten Wandel leidenden Menschen sei.
DOMRADIO.DE: Finden Sie es richtig, dass sich die Kirche in den wissenschaftlichen Diskurs zu Fachthemen einbringt, wie etwa der Klimaerwärmung?
Messari-Becker: Ich finde, Glaube und Wissenschaft haben unterschiedliche Rollen, sind aber durchaus vereinbar. Religionsgemeinschaften sind meines Erachtens wichtige Partner einer sozialverträglichen ökologischen Entwicklung.
Wissen Sie, es gibt viele Gründe für Umwelt- und Klimaschutz oder Klimaanpassung: ökologische, ökonomische, soziale, ethische und selbstredend auch tief religiöse Beweggründe. Ich erinnere an das Wort von der Bewahrung der Schöpfung. Und ich finde, all diese Gründe haben auch ihre Berechtigung. Alle können am Ende dazu beitragen, dass uns gemeinsam ein Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit gelingen kann, der eben nicht mit Verzicht und Zwang einhergeht, sondern mit positiver und deshalb haltbarer Veränderung.
DOMRADIO.DE: Welche Wirkung erhoffen Sie sich von der Konferenz?
Messari-Becker: Ich wünsche mir, dass Klimaanpassung genauso adressiert wird wie der Klimaschutz und, dass sie Eingang in Politik und Wirtschaft findet. Ich hoffe, dass wir endlich damit beginnen, uns an den Anteil des Klimawandels anzupassen, der leider bleiben wird. Es geht nicht um ein "entweder … oder", sondern um ein "sowohl … als auch". Beide dienen dem Schutz von Mensch, Tier und Umwelt.
Das Interview führte Roland Müller
Prof. Dr. Lamia Messari-Becker (geboren 1973 in Marokko) ist Bauingenieurin, Nachhaltigkeitsexpertin und seit 2025 Professorin für energieeffiziente Gebäudetechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Bis 2024 war sie Professorin an der Universität Siegen und blickt auf internationale Bau- und Planungserfahrung zurück. Messari-Becker wurde als Vordenkerin 2024 ausgezeichnet. Sie ist Mitglied im Club of Rome und war Mitglied in zahlreichen Gremien, z.B. von 2016 bis 2020 im Sachverständigenrat für Umweltfragen (Kabinett Merkel III) und von 2017 bis 2022 im Expertenkreis Zukunft Bau (Kabinett Merkel III, Merkel IV und Scholz). Sie war 2024 Staatssekretärin im hessischen Wirtschaftsministerium. Weiteres unter www.messari-becker.de und https://egt.imb.kit.edu/