Jumilla kennt inzwischen fast die ganze Welt. Es ist eine kleine Stadt in der autonomen Region Murcia. Es ist die erste Stadt in Spanien, in der muslimische Feiern verboten wurden. Weil von solchen Verboten auch rechtsextreme Parteien in anderen Ländern träumen, war die internationale mediale Berichterstattung darüber enorm.
Jumilla steht in Spanien auch für einen Streit der katholischen Kirchen mit dem Chef der rechtsextremen Vox-Partei, der dieses Verbot angetrieben hatte: Santiago Abascal. In Spanien leben weit über eine Million Muslime bisher weitgehend friedlich mit den Katholiken zusammen. Einige Wochen davor war es aber in der gleichen autonomen Region Murcia, in dem Ort Torre Pacheco, zu einer Auseinandersetzung zwischen Migranten und spanischen Einwohnern gekommen, deren Bilder ebenfalls um die ganze Welt gingen.
Spanien war von diesen Szenen bisher weitgehend verschont geblieben. Das Ereignis, das durch Rechtsradikale in den sozialen Medien angeheizt worden sein soll, hat den rassistischen Diskurs von Vox weiter angeheizt und ihre Umfrageergebnisse enorm verbessert. Die katholische Kirche aber hat sich ganz klar dagegen positioniert: Wer Rassist ist, könne kein Christ sein, sagte ein Bischof. Und auch die spanische Bischofskonferenz (CEE) kritisiert die Entscheidung der Stadt Jumilla und ließ verlauten: "Die Einführung dieser Einschränkungen aus religiösen Gründen ist eine Diskriminierung, die in demokratischen Gesellschaften nicht vorkommen darf". Abascal hatte mit dem Angriff der CEE nicht gerechnet und konterte, dass die Kirche damit wohl von Pädophiliefällen in ihren eigenen Reihen ablenken wolle.
Spaniens Kirche will keinen Krieg gegen Muslime
Die Vorgänge zeigen, wie lebendig Kirche in Spanien noch ist im gesellschaftlichen Diskurs. Trotz einiger Skandale in den vergangenen Jahren bleibt das Land in der katholischen Welt und in der Mission eine bedeutende Instanz. Laut dem katholischen argentinischen Nachrichtendienst AICA ist es das Land mit den meisten Missionaren weltweit. Rund um den Globus gibt es rund 1,4 Mrd. Katholiken in der Welt, wie aus dem Statistischen Jahrbuch der Kirche 2024 hervorgeht. Spanien sei weiterhin eine bedeutende Stimme, die von der lateinamerikanischen Einwanderung profitiere, die noch zu den wenigen praktizierenden Katholiken im Land gehöre, wie die CEU-CEFAS-Studie von der gleichnamigen katholischen Privatuniversität in Madrid hervorhebt.
Alle Hoffnung liegt auf Afrika, die Spanier missionieren dort am stärksten
Die Spanier konzentrieren ihre Missionsarbeit nun auf Afrika, wo es noch viel Arbeit zu leisten gibt. Auch deswegen will die Kirche keinen Ärger mit den Marokkanern, welche die stärkste muslimische Gemeinde in Spanien bilden. Die zunehmend schwarzafrikanischen Migranten sind zudem für die katholische Kirche potenzielle neue Gottesdiener. Über Caritas und andere kirchliche Sozialdienste tritt sie an diese heran. Deswegen wäre ein Konfrontationskurs mit den Migranten nicht zielführend.
Schon an den Schulen versucht die Kirche, die Kinder der Einwanderer für sich zu gewinnen: Mehr als 1,5 Millionen Schüler besuchen über 2.500 katholische Schulen in Spanien. An den 17 katholischen Universitäten Spaniens studieren 148.000 Studenten, viele von ihnen kommen inzwischen auch aus der ganzen Welt, wie die CEU-Studie darlegt. Auch die Klöster und Kirchen könnten ohne den Nachwuchs aus Afrika kaum noch überleben. Der kommt aus den Missionen oder durch Einwanderung.
Weniger katholische Sakramente
Die spanische Kirche braucht frisches Blut: Laut dem spanischen Meinungsforschungsinstitut CIS bezeichnen sich nur noch 18,7 Prozent der Spanier als praktizierende Katholiken, obwohl sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit dem katholischen Glauben identifiziert. Der Anteil getaufter Babys und Kinder, die ihre Erstkommunion empfangen, ist von 99 Prozent im Jahr 1971 auf aktuell unter 50 Prozent gesunken, wie aus der CEU-CEFAS-Studie hervorgeht. Auch die Zahl der kirchlichen Trauungen geht stark zurück.
Zudem fehlt es den Kirchen an Personal. Das Durchschnittsalter der Geistlichen liegt in Spanien bei über 65 Jahren, verglichen mit 35 Jahren im Jahr 1960. Im akademischen Jahr 2023/24 wurden landesweit nur 143 Seminaristen aufgenommen und 79 neue Priester geweiht, obwohl jährlich mindestens 300 weitere nötig gewesen wären. Spanien ist zwar das Land mit der weltweit höchsten Zahl katholischer Missionare, aber auch hier sind es inzwischen im Vergleich zu vor 10 Jahren rund ein Viertel weniger.
Image der katholischen Kirche ist in Spanien wesentlich besser als in Deutschland
Das geringe praktizierende Christentum in Spanien hat jedoch eher mit Bequemlichkeit als mit einem Imageproblem der Katholischen Kirche zu tun. Die weltweiten Missbrauchsskandale im Umfeld der Kirche haben in der spanischen Gesellschaft für wesentlich weniger Kritik gesorgt als zum Beispiel in Deutschland. Noch immer sind Hunderte Fälle nicht aufgeklärt und die spanischen Medien berichten kaum darüber. Der Wohlstand der Spanier ist gestiegen und damit sind die katholischen Pflichten in den Hintergrund gerückt, impliziert die Studie der Madrid-Universität. "Dafür ist auch die Macht der Kirche innerhalb der Wirtschaft, Presse und Politik immer noch zu groß", sagt der Autor und Journalist Ignacio Cembrero, der vor einem zunehmenden Rassismus im Land warnt: "Wenn ich Artikel über den Islam schreibe, spüre ich in den Kommentaren den zunehmenden Hass." Teilweise komme dieser auch aus den ultrakonservativen Reihen der Kirche, welche nicht durch die Bischofskonferenz repräsentiert werden.
Die Autonome Gemeinschaft mit der höchsten Religionszugehörigkeit pro 100.000 Einwohner war im Jahr 2023 Navarra, wo sich auch der universitäre Sitz der in Spanien bedeutenden Prälatur Opus Deí befindet. Auch im benachbarten Baskenland ist die Kirche sehr präsent, genauso wie im südlichen Andalusien, wo der Glaube durch viele Feiern und Prozessionen wachgehalten wird. Geld dafür gibt es genug. Die Bürger können bei der Einkommenssteuererklärung zwischen einer Pflichtspende von 0,7 Prozent ihrer Steuern an soziale Einrichtungen oder der Kirche wählen. Trotz des weltweiten Imageverlusts der Katholischen Kirche sind in Spanien allein ihre steuerlichen Einnahmen gemäß der CEU-Studie um 34 Prozent von 267 Millionen Euro im Jahr 2015 auf 358 Millionen Euro im Jahr 2023 gestiegen. Ein Rekord.