DOMRADIO.DE: Wie hat es angefangen? Welcher der Vorgänger von Leo XIV. hatte schon Popstar-Potenzial?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Das gab es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder mal. Ich denke an Benedikt XIV. oder Pius IX. Aber so wie wir Popstars heute begreifen, brauchen wir gar nicht weit in die Vergangenheit zurückzugehen.
Das war vor allem bei Johannes Paul II. zu beobachten. Der hatte einen Pop-Idol-Charakter bei verschiedenen Menschengruppen. Das war bei den normalen Gläubigen, die Audienzen besuchten, aber besonders bei Ordensschwestern. Ordensschwestern haben doch sehr fanatisch auf ihn reagiert.
DOMRADIO.DE: Das lag auch an der Möglichkeit, bei den Audienzen dabei zu sein. Das fing auch unter Johannes Paul II. an, oder?
Nersinger: Ja, zumal die Audienzen jetzt auf dem Petersplatz stattfanden. Nach Rom kam ein immer größeres Publikum, das den Papst sehen wollte.
Es war ein außergewöhnlicher Papst, der erste nicht italienische Papst seit vielen Jahrhunderten. Er war ein Papst aus dem Osten. Deswegen kamen viele Leute aus den Ländern des damaligen Ostblocks. Das hatte etwas Besonderes an sich.
DOMRADIO.DE: Diese Nähe hat jedoch auch ihre gefährlichen Seiten, oder?
Nersinger: Das große Attentat auf Johannes Paul II. am Fatima-Tag wäre fast tödlich ausgegangen. Die Situation war sehr heikel und zeigte, dass diese Begeisterung, die dem Papst entgegenschlägt, auch eine Schattenseite hat.
Vor allem auf Plätzen oder dort, wo man ihn nicht so einfach schützen kann. Im Grunde hat niemand gedacht, dass das jemals passiert. Aber es ist passiert und es hat sich gezeigt, dass in den darauffolgenden Jahren, Jahrzehnten und auch Pontifikaten Situationen kamen, die bedrohlich für den Papst waren.
DOMRADIO.DE: Leo XIV. scheint die Nähe zu den Menschen zu genießen. Wie schützt man den Papst vor der Menschenmenge, wenn er in die Menschenmenge geht?
Nersinger: Ja, das ist eine gute Frage. Wir haben auf dem Petersplatz noch eine gewisse Kontrolle. Wir haben Zugänge zur Audienz, die bewacht und kontrolliert werden. Aber selbst da ist es gefährlicher geworden. Denn man muss bedenken: Diese Kontrollen der Zugänge sind nicht mehr 100-prozentig gewährt wie früher.
Man kann zum Beispiel Waffen und alles Mögliche aus Plastik durch einen 3D-Drucker herstellen. Man kann das nicht mehr so kontrollieren und hat nicht mehr die souveräne Hoheit über die Sicherheit wie früher.
Je mehr das Volk auf den Papst zuströmt, wenn man das so salopp sagen kann, umso schwieriger wird das. Beim Weltjugendtag habe ich auch gedacht, es kann sich jemand eingeschlichen haben.
Das kann auch jetzt bei den Begegnungen des Papstes passieren, wenn er auf die Menge zugeht oder wenn er zu seiner Residenz in Castel Gandolfo fährt. Das sind Bereiche, die nicht mehr in dem Maße kontrolliert werden können, wie wir das vom Petersplatz zum Beispiel gewohnt sind.
Als ich das erste Mal sah, dass die Menge dem Papst Kuscheltiere und andere "Geschosse" zuwarf, dachte ich, dass es eine hübsche Idee ist. Dann habe ich gesehen, dass das immer mehr und auch sehr heftig wurde. Einmal ist es sogar "geknallt".
Wenn Puppen oder andere Gegenstände "knallen", ist das für den Papst gefährlich. Das ist auch für seine Begleitung und für den Fahrer gefährlich. Man weiß auch nicht, was noch alles geworfen werden kann. Das ist etwas, was wir das Berufsrisiko eines Papstes nennen müssen.
DOMRADIO.DE: Dem Papst ist die Gefahr in der Situation sicherlich bewusst. Er hat auf der anderen Seite auch die Verantwortung seinem Amt gegenüber. Was für ein Amtsverständnis steckt für Sie dahinter?
Nersinger: Damit tun wir uns, glaube ich, alle schwer. Wir verlangen vom Papst eine Einschätzung, die sagenhaft schwierig ist. Auf der einen Seite muss er sich den Gläubigen zeigen und ihnen nah sein. Er hat nicht nur eine Verantwortung gegenüber seinem Amt, sondern auch gegenüber den Leuten, die ihn umgeben.
Dazu zählen der Fahrer des Papamobils, aber auch der Sekretär und die Sicherheitsleute, die ihn begleiten. Das alles in Einklang zu bringen, darum beneide ich den Papst nicht.
Das Interview führte Bernd Hamer.