DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie die ersten 100 Tage von Papst Leo? Hat er Ihre Erwartungen erfüllt, überrascht oder enttäuscht?
Irme Stetter-Karp (Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken / ZdK): Ich sehe vor allem, dass er den weltweiten Synodalen Prozess konsequent fortsetzt. Den Prozess hatte sein Vorgänger ins Werk gesetzt. Papst Leo XIV. steht zur Synodalität und hält Kurs.
Das macht mich erstmal froh. Es ist eine gute Ermutigung für uns in Deutschland, unseren synodalen Weg weiterzugehen und auch die Früchte unserer Arbeit zu ernten. Gemeinsam beraten und entscheiden ist der Weg der katholischen Kirche im 21. Jahrhundert. Davon bin ich überzeugt.
Mit mir sind viele gespannt, wie Papst Leo nun im Detail die dringend notwendigen Reformen in der Kirche angeht.
DOMRADIO.DE: Wenn wir darauf gucken, wie er aufgetreten ist in diesen letzten Monaten, hat man in den Medienkommentaren gelesen, dass Leo sehr bedacht wirkt, fast blass oder langweilig im Vergleich zu Franziskus. Waren die anfänglichen Erwartungen möglicherweise zu euphorisch oder braucht es noch etwas Geduld?
Stetter-Karp: Erwartungen an einen neuen Papst werden immer hoch sein, gerade in dieser weltpolitisch insgesamt kritischen Lage und auch mit den vielen Fragen und Spannungen innerhalb der katholischen Kirche, so auch bei Papst Leo.
Ich denke, wir müssen ihm Zeit lassen. Es gilt ihn weiter zu beobachten. Irgendwann wird seine erste Enzyklika kommen und dann wissen wir mehr über die Schwerpunkte seines Pontifikats. Meiner Meinung nach ist zunächst eine gewisse Offenheit und Geduld gefragt.
DOMRADIO.DE: Sie haben schon die Weltsynode angesprochen. Als Laienvertretung beobachten Sie die möglichen Reformen innerhalb der römisch-katholischen Weltkirche mit besonderem Augenmerk. Konnten Sie erste Hoffnungszeichen vernehmen?
Stetter-Karp: Ich will den Weg kurz skizzieren oder mindestens so markieren. Am Anfang hatten wir eine Ungleichzeitigkeit der Prozesse, die die Weltsynode lange geprägt haben. In Deutschland hat der Prozess 2019 begonnen. Damals stellte die deutsche Bischofskonferenz an das ZDK die Frage, ob wir mit den Bischöfen diesen Weg gehen wollen. Erst später hat Papst Franziskus den weltweiten Prozess begonnen.
Diese beiden unterschiedlichen Anfangszeitpunkte und auch Geschwindigkeiten haben die Kommunikation - zum Teil auch Nicht-Kommunikation - zwischen dem Vatikan und der Deutschen Kirche geprägt. Das Tempo erschien uns jedoch aufgrund der Entscheidung die systemischen Ursachen von Missbrauch anzugehen notwendig.
Aus meiner Sicht ist das besser geworden. Das hängt auch mit veränderten Führungspersönlichkeiten in einzelnen Dikasterien zusammen. Wir sind auf einem guten Weg der Verständigung. Wir hoffen, dass wir noch in diesem Jahr die Entscheidung für ein stetiges Gremium treffen können.
DOMRADIO.DE: Das heißt, dass sich das Verhältnis zwischen dem Vatikan und der katholischen Kirche in Deutschland etwas mehr entspannen könnte und dass sich die Bischöfe weniger rechtfertigen müssten, als in der Vergangenheit. Papst Leo hat auch John Newman zum Kirchenlehrer erhoben. Newman betonte besonders den Stellenwert von Laien. Außerdem hat Leo eine Frau für ein Führungsamt im Dikasterium für Ordensangelegenheiten ernannt. Sind das symbolische Zeichen für Reformwille?
Stetter-Karp: Wie gesagt, ich möchte mich mit irgendwelchen abschließenden Bewertungen zurückhalten. Ich finde, dass jemand auch in sein Amt kommen muss. Man muss einer Persönlichkeit mit so herausfordernden Aufgaben Zeit lassen das Amt zu prägen.
Wir erwarten innerkirchlich ein straffes Tempo bezüglich des Abbaus von Klerikalismus und ein Ende der Diskriminierung von Frauen bei den Weiheämtern. Ich würde sagen, wir erwarten Synodalität als Anforderungsprofil an Bischöfe - insbesondere an Bischöfe, die neu ins Amt kommen.
Der Wandel der Kirche drängt aus unserer Sicht. So sehr ich sehe, dass Vermitteln wertvoll ist, ist es gleichzeitig wahr, dass der Wandel mit Beschwichtigung in alle Richtungen sicher nicht kräftig gestaltbar ist.
Deshalb haben wir Erwartungen. Gleichzeitig sehen wir die herausfordernden Aufgabe vor denen Leo steht. Ich sehe Anzeichen für Leos Reformwillen. Inwieweit die Anzeichen tragen werden und zu strukturellen Schritten führen, kann ich noch nicht sagen.
DOMRADIO.DE: Vertreter des ZDK-Präsidiums hatten schon die Gelegenheit, Papst Leo zu treffen. War das ein Gespräch, das ihren Eindruck und Hoffnung bestätigt?
Stetter-Karp: Meine Kolleginnen und mein Kollege aus dem Präsidium des ZDK sowie Generalsekretär Mark Frings waren sehr glücklich nach dem Gespräch mit Papst Leo. Unmittelbar danach haben sie mir geschrieben, dass sie einen sehr wachen aufmerksamen - damals noch Kardinal Prevost - erlebt haben.
Er wusste damals schon sehr gut über die Situation der Kirche in Deutschland Bescheid. Er kannte auch unsere Schritte im synodalen Weg. Mich als Präsidentin des ZDK hat besonders gefreut, dass er unsere gesellschaftspolitische Arbeit wertgeschätzt hat, insbesondere unsere Positionierung in Migrationsfragen.
Das Interview führte Elena Hong.