Credo-Reihe: Woran NRW-Minister Karl-Josef Laumann wirklich glaubt

"Wir Christen müssten mehr Fackel für diese Welt sein"

Auch Glaubende haben Zweifel. Trotzdem halten sie sich an etwas fest, das ihnen Kraft gibt und sie trägt – jenseits aller Dogmen und Glaubenssätze. So hilft dem CDU-Politiker bei seinem persönlichen Credo die katholische Soziallehre.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Karl-Josef Laumann / © Ralph Sondermann (Land NRW)
Karl-Josef Laumann / © Ralph Sondermann ( Land NRW )

DOMRADIO.DE: Herr Minister Laumann, wie stellen Sie sich Gott vor, und wann wird er für Sie erfahrbar?

Karl-Josef Laumann (CDU) / © Caroline Seidel (dpa)
Karl-Josef Laumann (CDU) / © Caroline Seidel ( dpa )

Karl-Josef Laumann (Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen): Ich stelle ihn mir in jedem Fall als einen liebenden und nicht als einen strafenden Gott vor, wie er früher in der katholischen Kirche oft gepredigt wurde. Ich glaube auch nicht an die Hölle. In meiner Vorstellung hat Gott die Menschen im Blick, und daher glaube ich, dass man nie alleine ist, wenn man gläubig ist. Das gibt mir ein gutes Gefühl. 

Wann genau Gott für mich erfahrbar wird, kann ich nicht klar definieren. Für mich als Christ gehört es dazu, dass ich am Sonntag in die Kirche gehe, weil ich mich damit Gott ein ganzes Stück näher fühle. Es gibt sicher Sonntagsmessen, in denen ich mich mehr angesprochen fühle, dann gibt es welche, die mir gar nichts sagen. Das hängt auch davon ab, in welcher Stimmung ich selber gerade bin. Manchmal geht es mir aber auch, zum Beispiel bei langen Zugfahrten, so, dass ich in eine Gedankenwelt eintauche, die mir ein Gefühl von Gottes Gegenwart vermittelt. 

Und dann sind mir vor allem Begegnungen wichtig. Gerade als Sozialminister lerne ich sehr viele Menschen kennen, die sich um andere kümmern oder sie sogar bis in den Tod begleiten, wie zum Beispiel hoch engagiertes Pflegepersonal in Krankenhäusern, Alteneinrichtungen, auf Palliativstationen oder in Hospizen. Viele dieser Menschen erlebe ich als große Menschenfreunde. Ob ich in ihnen immer gleich Gott begegne, kann ich nicht sagen. Aber für mich ist das Entscheidende, dass man Menschen mag, Interesse, Zugewandtheit – und wo nötig – Fürsorge zeigt. Eine solche Motivation, mitmenschlich zu handeln, beruht oft auf einer religiösen Überzeugung und hat für mich immer auch etwas mit Gott zu tun.

DOMRADIO.DE: Gab es schon Situationen, in denen Sie mit Gott gehadert oder Ihren Glauben infrage gestellt haben? Und wenn ja, was hat Ihnen da geholfen?

Laumann: Persönlich habe ich zum Glück noch keine Tragödie erlebt, die mich an Gott hätte zweifeln lassen. Wenn die eigenen Eltern im hohen Alter sterben, ist das etwas anderes, als wenn man zum Beispiel ein Kind verliert. Solche schrecklichen Erfahrungen sind mir – und hoffentlich bleibt es dabei – bisher erspart geblieben. Und deshalb habe ich auch noch nie mit Gott gehadert. Natürlich aber stelle auch ich mir Fragen wie: Warum lässt Gott zu, dass menschenverachtende Diktatoren Macht bekommen oder ein Mann wie Putin für unermessliches Leid sorgt? Warum lässt Gott zu, dass dieses immense Elend im Gaza-Streifen kein Ende nimmt – mal ganz unabhängig von der besonderen deutsch-israelischen Beziehung oder dem entsetzlichen Blutbad, das die Hamas angerichtet hat. Oder schon als Kind habe ich mich im Religionsunterricht gefragt: Warum hat Gott Hitler zugelassen? 

Karl-Josef Laumann

"Trotz allem habe ich die Vorstellung, dass Gott auf uns Menschen und auf mich aufpasst und der Zuspruch seines ‚reichen Segens’, wie wir ihn uns oft gegenseitig wünschen, ein Zeichen dafür ist, dass Gott einen im Blick hat."

Insofern kann ich mir angesichts der furchtbaren Bilder von Leid und Zerstörung schon vorstellen, dass man mit Gott hadert. Erst recht, wenn sich im persönlichen Umfeld eine Katastrophe ereignet. Und ich habe ehrlich gesagt keine richtigen Antworten auf diese Fragen, weil das alles aus meiner Sicht nicht richtig sein kann. Auch kein Seelsorger oder Priester konnte mir das bisher bis ins Letzte schlüssig erklären. Aber deswegen habe ich nie meinen Glauben infrage gestellt. Wer bin ich, als einzelner Mensch Gottes Wirken und Weisheit allumfassend erklären zu können? Trotz allem habe ich die Vorstellung, dass Gott auf uns Menschen und auf mich aufpasst und der Zuspruch seines „reichen Segens“, wie wir ihn uns oft gegenseitig wünschen, ein Zeichen dafür ist, dass Gott einen im Blick hat.

DOMRADIO.DE: Die Freude am Mitgestalten der Gesellschaft, Ihr soziales Engagement und die Leidenschaft für Politik haben Sie zu Ihrem Beruf gemacht, obwohl Sie zunächst Maschinenschlosser gelernt und als solcher auch gearbeitet haben. Wie sehr greift in Ihrem Alltag der Kompass Ihres katholischen Glaubens? Darf er bei politischen Entscheidungen überhaupt eine Rolle spielen?

Laumann: Das tägliche Beten, das Nachdenken über Gott und die Welt, zum Beispiel wenn ich morgens früh aufwache, gehört für mich ganz selbstverständlich dazu, womit ich nicht unbedingt das Aufsagen ritueller Gebete meine. Und auch der Sonntagsgottesdienst ist für mich ein selbstverständliches Ritual. Meistens besuche ich die Messe in dem Dorf, in dem ich jetzt seit 68 Jahren lebe. Für mich ist das wichtig und gut, zumal ich noch in einer Zeit groß geworden bin, in der diese Sonntagskultur wesentlicher Bestandteil der Woche war.

Karl-Josef Laumann

"Ich bin Christdemokrat, und wir Christdemokraten wollen die Gesellschaft aus dem großen Schatz der katholischen Soziallehre heraus gestalten."

Entsprechend spielt der christliche Kompass in meinem Alltag eine große Rolle. Ohne Frage. Ich bin Christdemokrat, und wir Christdemokraten wollen die Gesellschaft aus dem großen Schatz der katholischen Soziallehre heraus gestalten. Die katholische Soziallehre ist eigentlich eine Antwort darauf, wie man eine Gesellschaft so gestalten kann, dass es möglichst vielen Menschen auf dieser Erde gut geht und man nicht unbedingt erst auf den Himmel warten muss, damit Gerechtigkeit herrscht. Dafür kann man streiten, und da bin ich auch nicht neutral: weder hier im Ministerium noch in der Partei noch in der Gesellschaft. Wenn man dann aus der christlichen Soziallehre heraus Politik macht, gibt es ein paar Grundsätze, wovon der bedeutsamste ist, dass der Mensch immer wichtiger ist als die Sache. Der Mensch ist Dreh- und Angelpunkt dessen, was wir hier machen – und nicht das System. Sprich: Das System muss für die Menschen da sein und nicht umgekehrt. Um es an einem Beispiel deutlich zu machen: Unsere Krankenhäuser dürfen kein Selbstzweck sein, sondern müssen den kranken Menschen helfen.

DOMRADIO.DE: Nochmals zugespitzt gefragt: Welche Rolle spielt für Sie bei dem, was Sie tun, Gott?

Laumann: Was meine Funktion, meinen Glauben und Gottesbezug angeht, denke ich schon oft darüber nach: Wirst Du Deiner Sache gerecht? Von daher ist Gott für mich immer präsent. Ein Mensch, der wie ich schon über einen langen Zeitraum politisch mitgestalten darf und ja auch viel Verantwortung hat, muss sich am Ende des Tages auch selbst gegenüber Rechenschaft ablegen und selbstkritisch fragen: Hast Du das vernünftig gemacht? Diese Frage geht mir schon durch den Kopf, und ich würde sie mir ohne religiösen Hintergrund vermutlich so nicht stellen. Letztlich müssen wir unser Leben vor Gott verantworten. Ich glaube, dass Gott viel Verständnis für unsere Versäumnisse aufbringt, aber wir dennoch verantwortlich für unser Handeln in dieser Welt sind und eines Tages dann auch Rede und Antwort stehen müssen.

DOMRADIO.DE: Wie sehr wirkt sich das, was Sie tun, auf Ihren Glauben aus? Und umgekehrt: Wie notwendig ist der Glaube für Ihr Selbstverständnis, aber auch Ihr Wirken in Kirche und Politik?

Laumann: Mein Glaube hat mich, aber auch meinen Blick auf die Welt und die Menschen geprägt. Er ist Teil meiner Persönlichkeit und spielt in meinem Leben eine große Rolle. Es gab sogar eine Zeit, in der ich darüber nachgedacht habe, Priester zu werden. Da ich in eine katholische Familie hineingeboren wurde, war es ganz selbstverständlich so, dass das Christlich-Katholische mich geprägt hat. Es gehört zu mir, und ich mag die Liturgie, das Hochamt oder wie wir eine Fronleichnamsprozession, Ostern und Weihnachten feiern. Wie mich mein Beruf prägt, so haben mich auch meine Religion und der Glaube geprägt, selbst wenn ich die Amtskirche durchaus auch mal kritisch sehe.

Karl-Josef Laumann

"Ich mache mir schon Gedanken, warum eine AfD-Politik in der Bevölkerung so verfängt und warum es so viele Menschen gibt, die meinen, unser bewährtes demokratisches System beenden zu wollen."

Natürlich gehen mir viele Themen und Probleme, die wir in unserem Land haben, durch den Kopf. Dazu gehört, dass die zunehmende Säkularisierung unserer Gesellschaft inzwischen weit fortgeschritten ist – wobei ich daran nicht alle Missstände festmachen will. Aber wenn wir mehr Leute hätten, die bestimmte Grundwerte vertreten, dann hätten wir auch bestimmte Entwicklungen nicht. Ich meine damit etwa die AfD, die mit einer christlichen Werteorientierung – und das will ich einmal ganz klar sagen – überhaupt nicht vereinbar ist. Gerade in einem Land, in dem wir vor über 90 Jahren schon mal so etwas erlebt haben, müssen wir wachsam sein. Mein Großvater, Jahrgang 1888, war ein überzeugter Anhänger der Zentrumspartei. Er erzählte mir immer, wie schleichend das damals ging. Hier müssen wir auf der Hut sein, dass wir diesen Demagogen nicht noch einmal auf den Leim gehen. 

Ich mache mir schon Gedanken, warum eine AfD-Politik in der Bevölkerung so verfängt und warum es so viele Menschen gibt, die meinen, unser bewährtes demokratisches System beenden zu wollen. 

DOMRADIO.DE: Was können Sie tun? 

Laumann:  Wir werden diese Entwicklung nicht aufhalten können, indem wir Kerzen anzünden und beten. Jedenfalls nicht nur. Wir müssen mit unseren Überzeugungen dagegenhalten und in einer nachvollziehbaren Sprache sagen, wie wir uns diese Gesellschaft vorstellen. Und ich glaube, dass am Ende eine christlich geprägte Gesellschaft nach wie vor sehr attraktiv ist, wenn man nur richtig erklärt, worum es dabei geht: Es geht darum, dass wir eine solidarische Gesellschaft fördern, dass man aufeinander Rücksicht nimmt und dass Stärkere mehr schultern als die Schwachen. Wir müssen als Christen deutlich machen, dass unsere Politik auch für Menschen attraktiv ist, die sich das vom Evangelium her nicht mehr vorstellen wollen oder können. Deshalb darf Religion meiner Meinung nach auch nicht allein Privatsache sein, so dass Christen in der Öffentlichkeit mit der eigenen Überzeugung hinterm Berg halten. Wir müssten mehr Fackel für diese Welt sein. Das heißt nicht, dass wir mit einem Heiligenschein herumlaufen müssen, aber man sollte uns doch mehr anmerken, warum wir so sind, wie wir sind.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Quelle:
DR

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