Wer auf einen Blick verstehen will, wofür Leo XIV. steht, braucht nur auf seine Schuhe zu schauen. Seine Gesten, seine Kleidung sein Gesang - Alles am neuen Papst wurde in den vergangenen drei Monaten beobachtet und interpretiert. Am Ende sind es aber die schwarzen Lederschuhe, die am besten verdeutlichen, wofür Leo als Pontifex stehen will. Sie sind einfach, aber elegant. Ein bisschen Franziskus, ein bisschen Benedikt: Am Rande einer Audienz im Juli überreichte ihm ein römischer Schuster handgefertigte schwarze Mokassins. Der gleiche Schuhmacher, der auch die roten Schuhe von Benedikt XVI. lieferte.
Der deutsche Joseph Ratzinger hatte als Papst Benedikt XVI. (2005–2013) die Tradition der roten Lederschuhe als Teil der päpstlichen Garderobe zurückgebracht. Jorge Mario Bergoglio, sein Nachfolger, hat mit vielen Traditionen gebrochen – so auch mit den roten Schuhen. Stattdessen trug Papst Franziskus (2013-2025) bequeme schwarze Gesundheitstreter. Leo geht nun den Mittelweg: keine roten Edelschuhe, aber auch keine ausgetretenen Alltagsschuhe – sondern schlichte, doch elegante schwarze Lederschuhe.
Ein Brückenbauer
Dieser Kompromiss ist symbolisch für die ersten 100 Tage seines Pontifikats. Schon in seiner ersten Rede vom Mittelbalkon des Petersdoms setzte Robert Prevost Zeichen, die sowohl liberalen als auch konservativen Beobachtern sagen sollten: Ich bin hier, um Brücken zu bauen. So sprach er bereits in dieser ersten Ansprache davon, wie wichtig Synodalität und Mitbestimmung in der Kirche seien – ließ die Menge auf dem Petersplatz aber auch das Ave Maria beten und trug wieder das traditionelle rote Schultertuch des Papstes, auf das Franziskus stets verzichtete.
Brücken zu bauen, ist im Moment eine wichtige Aufgabe. Bereits aus dem Vorkonklave hieß es, dass die Stimmung zwischen den verschiedenen Lagern im Vatikan angespannt sei. Wie in Politik und Gesellschaft driften auch in der Kirche die verschiedenen Blasen immer weiter auseinander. Deshalb war es für die wahlberechtigten Kardinäle genau der richtige Weg, jemanden als Nachfolger Petri auszuwählen, der sehr vieles in sich vereint: westliche Welt (USA) und Entwicklungsländer (Peru), Vatikan-Insider (als Präfekt des Bischofsdikasteriums) und -Outsider (als Missionar), modern und traditionsbewusst.
Da ein Pontifikat – anders als die Wahlperiode eines Bundeskanzlers – nicht auf vier Jahre, sondern auf Dauer angelegt ist, lässt sich Leo auch Zeit, seine Ideen und Überzeugungen in die Tat umzusetzen. Auf die erste Reise und die erste Enzyklika warten wir noch, obwohl mit beidem in den kommenden Monaten zu rechnen sein dürfte.
Weltsynode soll weitergehen
Es gibt aber trotzdem kleine Gesten und Signale, die zeigen, dass Papst Leo den Kurs des Brückenbauers ernst meint. Er hat die Weltsynode, das große Reformprojekt seines Vorgängers Franziskus, aufgegriffen. Im Jahr 2028 soll es eine große Kirchenversammlung mit Stimmen aus aller Welt im Vatikan geben.
Bei einem Gespräch mit den Organisatoren der Synode hat der Papst verdeutlicht, wie wichtig die Mitbestimmung von Laien in der Kirche ist. Gleichzeitig hat er den erklärtermaßen konservativen ehemaligen Kurienkardinal Robert Sarah mit der Organisation einer wichtigen kirchlichen Feier in Frankreich beauftragt.
Sommerresidenz Castel Gandolfo wiederbelebt
Leo singt im Gottesdienst. Er hat als erster Papst seit vielen Jahren selbst die römische Fronleichnamsprozession angeführt. Ebenso kehrt er wieder an den päpstlichen Urlaubsort Castel Gandolfo zurück. Angedacht ist auch, dass Leo XIV. wieder die päpstliche Wohnung im Apostolischen Palast bezieht – was allerdings noch nicht umgesetzt wurde.
Dass er sich bislang noch nicht programmatisch zur Kirchenpolitik geäußert hat, lässt allerdings großen Raum für Interpretationen und Spekulationen. Kardinal Raymond Burke, der Papst Franziskus einst in einer offiziellen Anfrage der Häresie bezichtigte, freut sich, dass mit Papst Leo jemand mit Sinn für die Tradition in den Vatikan zurückkehrt. Der von Franziskus entlassene deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller nennt die Wahl von Robert Prevost sogar einen "Glücksfall" für die Kirche.
Offen für Reformen?
Gleichzeitig stellt der reformbemühte deutsche Kardinal Reinhard Marx die These auf, dass Papst Leo den Zölibat für verheiratete Priester öffnen könnte. Überhaupt kommen aus Deutschland viele Stimmen, die sich von Leo eine Offenheit für den in Rom kritisch beobachteten Synodalen Weg erhoffen bzw. vermuten. Bis jetzt hat sich der neue Papst zu diesem Thema noch nicht geäußert.
Es bleibt also Raum zur Spekulation – auch nach 100 Tagen des neuen Pontifikats. Was man aber definitiv jetzt schon sagen kann: Papst Leo ist bemüht, die gespaltenen Lager der Kirche wieder einander näherzubringen.
Für seinen Vorgänger Franziskus wurde es zur Lebensaufgabe, die festgefahrenen Strukturen von Kurie und Weltkirche aufzubrechen – was auch Spannungen und Kritik mit sich brachte. Ein Papst, der diese Gräben zu überwinden versucht, ist also genau das, was diese Zeit braucht. Und im besten Fall schafft er es damit nicht nur, innerkirchliche Signale zu senden, sondern auch ein Vorbild für die tief gespaltene Gesellschaft in Deutschland, Europa, Amerika und dem Rest der Welt zu werden.