Die Straße nach Arkádi ist schmal. Kaum eine Handbreit trennt die Außenspiegel der Autos vom Mauerwerk der abgelegenen Dörfer. Die geschwungenen Straßen führen vorbei an Ziegenherden und Olivenhainen. Schwer vorstellbar, dass sie zu einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Kretas führen. Auf einem Hügel liegt schließlich das Kloster, umgeben von Pinien und einer sandfarbenen Mauer. Früh am Morgen ist es still vor dem Kloster, noch sind keine Touristenbusse angekommen.
Eine Katze huscht über den Parkplatz, streicht einem Touristenpaar um die Beine und verschwindet im Schatten eines Gebäudes, einem Säulengang ohne Dach. In seiner Mitte steht eine kleine Kapelle mit einem hölzernen Regal. Darin liegen, säuberlich aufgereiht, 64 Schädel. Sie erzählen vom Schicksal von über 800 Menschen, die an diesem Ort im kretischen Hinterland innerhalb weniger Stunden ums Leben gekommen sind – und mit ihrem Tod in die Geschichtsbücher eingingen.
Aufstand gegen die Osmanen
Im Jahr 1866 stand Kreta unter osmanischer Herrschaft. Der Handel im Mittelmeerraum florierte, und die Küstenstädte waren fest in der Hand des Osmanischen Reiches. Doch unter den griechisch-orthodoxen Bewohnern im Inselinneren wuchs der Widerstand. Immer wieder gab es gewaltsame Aufstände gegen die Herrscher.
Das Ziel der Revolutionäre: die europäischen Großmächte auf die Lage der Kreter aufmerksam zu machen, in der Hoffnung, sie würden sich auf die Seite der Aufständischen stellen. Ihr Vorbild war die Griechische Revolution etwa dreißig Jahre zuvor, bei der Frankreich, Großbritannien und Russland auf der Seite der Aufständischen gegen die Osmanen eingegriffen hatten.
Ein revolutionäres Komitee im Kloster
Bis nach Kreta hatte es die Unabhängigkeit damals nicht geschafft. Weiterhin herrschte auf der Mittelmeerinseln ein Pascha, Provinzgouverneur des Osmanischen Reiches. So gründeten die Kreter revolutionäre Komitees, die die Aufstände organisieren und die osmanischen Herrscher unter Druck setzen sollten. Eines dieser Komitees hatte seinen Sitz im Kloster Arkádi. Angeführt wurde es von niemand anderem als dem Vorsteher der Mönchsgemeinschaft: Abt Gabriel Marinakis.
Marinakis war erst 30 Jahre alt, als er zum "Hegumen" gewählt wurde und mit diesem Amt die wirtschaftliche und geistliche Leitung seines Klosters übernahm. Seit zehn Jahren war er Abt, als ihn im Sommer 1866 der Pascha in der nahen Küstenstadt Rethymno aufforderte, das revolutionäre Komitee aufzulösen und das Kloster Arkádi zu räumen. Schon einmal, nach dem Beginn der osmanischen Herrschaft über Kreta über 200 Jahre zuvor, hatten die Mönche das Kloster verlassen müssen. Ihr Besitz wurde geplündert, das Läuten von Glocken verboten.
Ein Abt als Revolutionsführer – das geht zu weit
In diesem Sommer wies Abt Marinakis die Forderung des Paschas zurück. Die geistliche Autorität seines Klosters solle sich der weltlichen Autorität der osmanischen Herrscher nicht beugen müssen – ein Prinzip, das die osmanische Verwaltung zu dieser Zeit nicht gänzlich ablehnte. Doch mit einem Abt, der als Revolutionsführer die geltende Ordnung infrage stellte, war die Duldung am Ende.
Im Oktober besuchte der griechische General Panos Koronaios das Kloster. Er erkannte die militärisch aussichtslose Lage und riet eindringlich zur Räumung. Doch Abt Marinakis blieb bei seiner Haltung. Er entschied, zu bleiben – aus Prinzip, aber auch, um all den Revolutionären Schutz zu bieten, die sich mit ihren Familien vor den osmanischen Truppen hinter die Klostermauern geflüchtet hatten.
Angriff auf Arkádi
Anfang November 1866 hatten sich schließlich über 900 Menschen in Arkádi verschanzt. Am Morgen des 8. November rückte ein osmanisches Heer an: 15.000 Soldaten und 30 Kanonen. Die letzte Aufforderung zur Kapitulation blieb unbeantwortet, dann begann der Angriff.
Zwei Tage lang kämpften die beiden Lager erbittert. Am 9. November fiel das Westtor des Klosters. Die Soldaten stürmten den Hof und richteten ein Blutbad an. Die letzten Überlebenden zogen sich in das Munitionslager am hinteren Ende des Klostergeländes zurück. Einen Ausweg gab es von dort nicht mehr.
Der Überlieferung zufolge soll es der Widerstandskämpfer Konstantinos Giaboudakis gewesen sein, der den Entschluss fasste, der Belagerung und dem Leben der Eingeschlossenen ein Ende zu setzen. Er zündete das Schießpulver an, das im Magazin lagerte. Die Explosion war so stark, dass nicht nur die verbliebenen Aufständischen, sondern auch zahlreiche Angreifer starben.
Beifall von Hugo und Garibaldi
Victor Hugo, der große Sympathie für die kretische Revolution hegte, schrieb in einem Brief, den die Zeitung Le Figaro veröffentlichte:
"Die schreckliche Tat, die Explosion, kommt den Besiegten zu Hilfe; das Sterben wird zum Triumph, und dieses heldenhafte Kloster, das wie eine Festung kämpfte, endet wie ein Vulkan."
In ganz Europa sorgte das Geschehen für Aufsehen. Der italienische General Garibaldi lobte den Mut der Kreter. Französische Intellektuelle organisierten Spendenaktionen. In den USA wurde gar über eine Anerkennung der kretischen Unabhängigkeit diskutiert.
Dreißig Jahre sollte es noch dauern, bis Kreta seine Unabhängigkeit erreichte. Und doch sind das Kloster Arkádi und Abt Gabriel Marinakis bis heute untrennbar mit diesem Weg verbunden.
Ruß an den Wänden erinnert an die Katastrophe
Heute leben nach eigenen Angaben sieben Mönche im Kloster Arkádi. In der Hauptsaison besuchen täglich Hunderte Touristen die Anlage, fotografieren den Kreuzgang rund um die Klosterkirche und die Katzen, die im Schatten der Mauern liegen.
Von der Zerstörung aus dem November 1866 ist nicht mehr viel zu sehen. Wer aber links an der Klosterkirche vorbeigeht, kann noch erahnen, wie es den Opfern der Katastrophe von Arkádi ergangen sein mag. Das alte Pulvermagazin ist bis heute ohne Dach geblieben. An den Wänden ist der schwarze Ruß der Explosion bis heute sichtbar. Dort, wo Kerzen an die Opfer erinnern, hängt eine kleine Inschrift:
"Hier entzündete sich die Flamme und leuchtete von einem Ende Kretas zum anderen. Es war die Flamme Gottes, in der die Kreter sich für die Freiheit geopfert haben."