Ob "Großer Gott, wir loben dich" oder "Schalalalala" - gesungen wird in der Kirche wie im Stadion. Zwischen beiden Arten von Gesang gibt es dabei tatsächlich Gemeinsamkeiten, wie der Musikwissenschaftler Joachim Thalmann der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Nürnberg zum Bundesligastart sagte. So bewegten sich Fangesänge oft im selben Tonbereich wie gregorianische Choräle, nämlich rund um den Ton C1. "Das liegt daran, dass beides oft von Männern gesungen wird und das eine Lage ist, in der die meisten Männer gut singen können", so der emeritierte Professor für Musikwissenschaft.
Auch das Phänomen der Kontrafraktur - eine bekannte Melodie mit einem neuen Text zu versehen - sei bei Fußball-Gesängen wie bei Kirchenliedern vorhanden, so Thalmann weiter. So liege etwa dem Karfreitags-Klassiker "O Haupt voll Blut und Wunden" ein umgedichtetes weltliches Lied zugrunde. Ähnlich verhalte es sich, wenn Fußballfans ihre Anfeuerungsrufe auf leicht mitzusingende Melodien von Kinderliedern, Karnevalsschlager oder Hits aus Rock und Pop dichteten. In beiden Fällen diene dies der Verbreitung und dem Wiedererkennungswert. Auch manche Vereinshymnen bedienten sich dieses Prinzips.
Singen verstärkt Gemeinschaftsgefühl
Elemente wie Gesang, Tanz, Maskierung und Narkotikum ließen sich schon bis in die Naturreligionen zurückverfolgen, so Thalmann weiter. Diese Dinge gebe es auch im Stadion, etwa die Fangesänge, La-Ola-Wellen, Fanschals und Bier. Gottesdienste wie Sportveranstaltungen seien besondere Zeiten abseits des Alltags. Bei beidem entstehe ein Gefühl der Gemeinschaft, das durch das Singen verstärkt werde. "In einem Gottesdienst erleben wir, dass wir unser irdisches Dasein mit allen Macken und Kanten irgendwie leichter annehmen können. Erstens, weil wir merken, dass wir alle im selben Boot sitzen, und zweitens, weil wir eine Ahnung von dem bekommen, wie es besser sein könnte."
Etwas Ähnliches erlebten Fans im Stadion: "Mit dem Unterschied, dass sich unten auf dem Platz eine große Lotterie abspielt." Es gelte aber: "Wenn man ein gutes Spiel gesehen hat, baut einen das auf. Man kommt stärker aus dem Stadion raus, als man reingegangen ist." Fußballspiele erfüllten heute oft die Funktion, die früher Gottesdienste gehabt hätten: "Sie sind eine Art gesellschaftlicher Blitzableiter und sorgen dafür, dass die Leute eine Woche lang wieder aufrecht durchs Leben gehen können."