DOMRADIO.DE: Was sind Jesiden?
Jürgen Neitzert (Franziskanerbruder und Seelsorger): Die Jesiden gehören zu einer sehr alten monotheistischen Religion, die einst vor allem unter Kurden und im Westen des Iran verbreitet war. Durch die Islamisierung wurden sie zur religiösen Minderheit.
Sie glauben an einen Gott, der sieben Engel erschaffen hat, die die Welt lenken. Der wichtigste unter ihnen ist der Pfau-Engel "Tausi Melek". Das ist die ganz kurze Fassung.
DOMRADIO.DE: Sie engagieren sich für Menschen, die vor dem IS aus der Region im Nordirak fliehen mussten. Welche Projekte und Aktionen haben sie begleitet?
Neitzert: Gemeinsam mit Pfarrer Meurer haben wir uns damals für die Jesiden eingesetzt. Ich kenne sie seit 2010, als wir noch in Vingst lebten. Schon damals haben wir ihnen Raum gegeben, etwa durch die Organisation eines Friedhofsfeldes in Köln, auf dem ausschließlich Jesiden beerdigt werden können.
Als 2016 der Baba Sheikh, das religiöse Oberhaupt der Jesiden, nach Köln kam, haben wir ihm auch die Kirche in Vingst zur Verfügung gestellt, damit er dort seine Gemeinschaft treffen konnte. Meine Gemeinschaft hat außerdem mehrfach Kirchenasyl für Jesiden angeboten und ich organisiere immer wieder auch Kirchenasyl, damit jesidische Geflüchtete nicht abgeschoben werden.
DOMRADIO.DE: Ist es nicht selbstverständlich, dass Jesiden in Deutschland Asyl bekommen?
Neitzert: In den 1960er-Jahren kamen die ersten Jesiden aus der Türkei nach Deutschland, vor allem nach Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und in andere Bundesländer, und so sind nach und nach immer mehr Jesiden gefolgt.
Heute lebt etwa ein Viertel der weltweit rund eine Million Jesiden in Deutschland, also etwa 250.000 Menschen. Besonders viele kamen in den letzten Jahren nach dem Massaker im Nordirak.
DOMRADIO.DE: Haben Jesiden keinen Schutz vor Abschiebung?
Neitzert: Anfangs schon, und wir haben es zum Teil auch mitbewirkt, dass es zum Beispiel hier in Nordrhein-Westfalen immer wieder zeitlich begrenzte Abschiebestopps für jesidische Frauen und Kinder gab, etwa für zwei Mal drei Monate. Aber eine einheitliche Regelung auf Bundesebene fehlte.
Stattdessen kommt es immer wieder vor, dass man versucht, Jesidinnen und Jesiden in die Länder zurück abzuschieben, über die sie in den Schengen-Raum eingereist sind, etwa nach Bulgarien oder Lettland.
DOMRADIO.DE: Sie haben sich dafür eingesetzt, dass Jesidinnen und Jesiden nicht in sogenannte Drittstaaten abgeschoben werden. Warum war das so wichtig?
Neitzert: Jesidinnen und Jesiden müssen in Gemeinschaft leben. Es gehört zu ihrer religiösen Pflicht, untereinander zu heiraten und nicht außerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft. Das funktioniert aber nur, wenn sie in größeren Gruppen zusammenleben können. Kleine, verstreute Gruppen haben kaum Überlebenschancen.
Gleichzeitig sind Jesiden sehr integrationsbereit. Viele engagieren sich schnell beruflich, arbeiten zum Beispiel als Friseure oder betreiben Kioske. Ich bin überzeugt, dass sie für unser Land ein Gewinn sind.
DOMRADIO.DE: Sie haben das Kirchenasyl erwähnt, ist Ihnen eine Erfahrung besonders im Gedächtnis geblieben?
Neitzert: Ja, wir hatten einmal einen jungen Jesiden bei uns im Kirchenasyl, der suizidgefährdet war. Wir haben ihn in meiner Gemeinschaft aufgenommen und mittlerweile hat er ein Bleiberecht erhalten. Das war ein gutes Ergebnis.
Ich erinnere mich auch an eine Beerdigung hier im Viertel. Ein junger Jeside war in einem Baggersee ertrunken, und zur Trauerfeier kam extra jemand aus Oldenburg, der die Zeremonie leitete. Seitdem stehe ich mit ihm in gutem Kontakt. Er begleitet viele der religiösen Rituale der Jesiden.
Ich hoffe sehr, dass Jesiden weiterhin viele Möglichkeiten bekommen, hier bei uns zu leben. Denn im Nordirak, besonders in der Region um das Sindschar-Gebirge, ist die Lage für sie bis heute schwierig, genau dort, wo das Massaker stattfand.
Das Interview führte Hilde Regeniter.