DOMRADIO.DE: Sie leben als deutscher Priester in Japan. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an jene Tage in Hiroshima und Nagasaki vor 80 Jahren denken?
Pfarrer Marco Quint (Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Japan): Ich bin seit vier Jahren der Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Japan. Wenn ich an meine vier Jahre zurückdenke, denke ich an die eine oder andere Reise, die ich mich nach Hiroshima und Nagasaki führte.
Da kommen viele Erinnerungen hoch. Besonders beeindruckend finde ich, dass vor gut einem Jahr in Hiroshima ein völlig neues Museum eröffnet worden ist. Das thematisiert die Geschichte des Atombombenabwurfs auf diese beiden Städte in beeindruckender Weise, wie finde ich.
DOMRADIO.DE: Die junge Generation hat den Abwurf vor 80 Jahre und die Zeit danach nicht miterlebt. Wie wird in Japan, besonders, was die jungen Leute angeht, an diese Atombombenabwürfe erinnert?
Quint: Mit dem Museum auf jeden Fall. Zudem gibt für alle Schüler in ganz Japan mindestens einmal im Ablauf ihrer schulischen Ausbildung eine Reise nach Hiroshima. Somit hat die heutige Jugend, die noch in der Schule und im Studium steht, auf jeden Fall Hiroshima und die Orte des Atombomenabwurfs und so auch das Museums kennengelernt.
Das hat sich sehr zu vorherigen Generationen geändert. Lange Zeit haben die Menschen nach Hiroshima versucht, das Ereignis zu verdrängen. Sie sind darüber nicht ins Gespräch gekommen. Heutzutage ist das fester Bestandteil einer schulischen Ausbildung eines japanischen Schülers.
DOMRADIO.DE: Wie blickt die Kirche auf die Erinnerungskultur?
Quint: Die japanische Bischofskonferenz veröffentlicht zum Beispiel jedes Jahr eine sehr intensive Friedensbotschaft in die japanische Gesellschaft und in die Weltgesellschaft hinein.
Diese Friedensbotschaft wird tatsächlich gehört, obwohl nur ein Prozent der heute in Japan lebenden Bevölkerung Christen sind. Die Botschaft der Katholiken, die in der Minderheit noch die größte Mehrheit ist, wird sehr stark gehört.
DOMRADIO.DE: Letzte Woche hat der US-Präsident angeordnet, dass Atom-U-Boote wohl mutmaßlich Richtung Russland geschickt werden sollen. In vielen Ländern wird nuklear aufgerüstet. Auf dem Japanischen Meer gibt es wieder zahlreiche Militäraktionen. Wie wird das in Japan gerade vor dem Hintergrund der Geschichte wahrgenommen?
Quint: Im letzten Jahr ist auch das deutsche Militär mit einem Boot durch die japanische See gefahren. Das wird in der Bevölkerung sehr wahrgenommen. Sie wird immer wieder in Erinnerung rufen, dass sie Japan als eine Friedensnation sieht.
Anders als die Politik fordert die Bevölkerung ein Abrüsten. Mit dem Slogan "Nie wieder Krieg" – die Bischöfe machen daraus ein "Nie wieder Hiroshima, nie wieder Nagasaki" – tritt ein großer Teil der Bevölkerung für diese Friedensthematik und Friedensethik ein.
Die Politik hält sich dort ein bisschen bedeckt. Sie möchte zum Beispiel dem großen Abkommen nicht beitreten, das sich für die Abrüstung atomarer Energie einsetzt. Denn mit dem atomaren Schutzschirm halten die US-amerikanischen Streitkräfte auch Japan sicher.
DOMRADIO.DE: Was kann die Kirche in Köln, Tokio und weltweit tun, um der Friedensbotschaft Jesu Glaubwürdigkeit und Stimme zu verleihen?
Quint: Die japanischen Bischöfe haben in diesen Tagen eine sehr große Aktion gestartet. Vom 5. bis zum 10. August findet eine große Pilgerreise zu den beiden Orten Hiroshima und Nagasaki statt.
Angelehnt ist das an das große Pilgerthema des Heiligen Jahres, das gerade in Rom stattfindet. Dort heißt es "Pilgrimage of Peace", also "Pilger des Friedens".
Ich finde sehr beeindruckend, dass die japanischen Bischöfe eine große Delegation von US-amerikanischen Bischöfen eingeladen haben, nach Japan zu kommen, um an diesen beiden Orten, in diesen beiden Städten Nagasaki und Hiroshima, große Friedens-Gottesdienste zu halten.
Dort finden auch Gedenkmessen, Friedensgebete und interreligiöse Veranstaltungen statt. Es ist also zweierlei: Zum einen immer das Gebet und zum anderen das aktive Auseinandersetzen und Teilen mit anderen Religionen und Konfessionen, um darüber miteinander ins Gespräch zu kommen.
Das Interview führte Oliver Kelch.