Eigentlich sind es idyllische Waldhänge, die die Bahnstrecke im schwäbischen Riedlingen nahe Biberach einrahmen. Doch am frühen Sonntagabend endete hier für die Fahrgäste des Regionalexpress 55 eine Horrorfahrt. Die Bilder vom Unglücksort sind schwer zu ertragen. Vor Ort wird klar, welche gewaltigen Kräfte hier gewirkt haben müssen.
Zwei der vier Waggons sind komplett entgleist, ineinander verkantet und aufeinandergeschoben. Ein etwa fünf mal fünf Meter großes, quadratisches Zugteil mit zwei Fenstern ist den Abhang hochgeschleudert worden und hat sich an einen Baum gepresst. Bis auf wenige Meter lässt die Polizei mehrere Dutzend Journalisten und Kameraleute am Montag bis hierhin - bis zum Band mit der Aufschrift "Polizeiabsperrung".
Kran soll Waggons auseinanderziehen
Bei dem Unglück starben nach Polizeiangaben drei Menschen: der Lokführer, ein weiterer Mitarbeiter der Zuggesellschaft und ein Reisender. Darüber hinaus wurden mindestens 41 Menschen verletzt; darunter sind auch Schwerverletzte, wie es hieß. Die Rettungskräfte brachten die Verletzten in der Nacht in umliegende Kliniken.
Der Unfallort bleibt großräumig abgesperrt, der Bahnverkehr ist eingestellt. Am Montagnachmittag wurde ein Kran erwartet, der die Waggons "auseinanderziehen" sollte, wie es Sven Vrancken, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Ulm, beschreibt.
Hangrutsch nach Starkregen wohl Ursache
Ursache des Zugunglücks war offenbar ein Erdrutsch. Wegen des Starkregens an der Unfallstelle lief mutmaßlich ein Abwasserschacht über, wie die Polizei mitteilt: "Das Wasser löste einen Erdrutsch im Böschungsbereich zu den Gleisen hin aus, was wiederum wohl die Entgleisung verursachte."
Der Regionalexpress war am Sonntagabend auf der Bahnstrecke zwischen Sigmaringen und Ulm entgleist. Die Bundespolizei in Stuttgart und das Polizeipräsidium Ulm wurden gegen 18.10 Uhr informiert.
Politiker vor Ort
Am Sonntagabend war bereits der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) an den Unglücksort gereist. Am Montag waren Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) vor Ort. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erklärte auf der Plattform X: "Das Zugunglück im Kreis Biberach bestürzt mich." Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, drückte ebenfalls seine Trauer und sein Entsetzen aus. Er dankte den Rettungskräften und Notfall-Seelsorgeteams: "Danke, dass Sie da sind."
Das Notfallseelsorge-Team aus Biberach war am Sonntagabend mit 16 Personen vor Ort. Betreut wurden Angehörige von Fahrgästen, Anwohner des Riedlinger Ortsteils Zell, in dem das Unglück passierte, aber auch Einsatzkräfte, wie Iris Espenlaub berichtet, die Leiterin der Notfallseelsorge Biberach.
"Bandbreite an Reaktionen"
Bei solchen "komplexen Schadenslagen" gebe es "die ganze Bandbreite an Reaktionen", sagt Espenlaub. Manche heulen, andere brechen zusammen, wieder andere sitzen still in einer Ecke. Viele fühlen sich regelrecht "überfahren" und hilflos, können noch gar nicht realisieren, dass etwas Schlimmes passiert ist. Notfallseelsorger kommen in solchen Momenten "nicht gleich mit Gott", sondern stellen zunächst die Frage: "Was brauchst du gerade? Was hilft Dir in deiner Not?"
Es gehe darum, die ersten Sekunden, Minuten und Stunden danach weiterzuleben, "zu überleben", wie die ausgebildete Psychologische Beraterin sagt. "Und wenn wir eine Todesnachricht überbringen, kann das einem Angehörigen den Boden unter den Füßen wegziehen." Aber auch wer äußerlich unverletzt mit dem Leben davongekommen ist, kann noch wochenlang unter Schlafstörungen leiden. Oder darunter, seltsame Geräusche zu hören oder unangenehme Gerüche zu riechen.
Schutzmechanismen helfen
"Traumatisierung ist ein Prozess", sagt Espenlaub. Zunächst sei es wichtig, als Betroffener direkt nach dem Unglück so viele nützliche Informationen zu bekommen wie möglich: Was ist passiert? Wie geht es weiter? Menschen wollten den Horror erstmal nicht wahrhaben. Sie hätten Schutzmechanismen, die ihnen in solchen Situationen helfen, die aber auch ungewohnt sind, weil sie eben nur in solchen schwerwiegenden Notfalllagen zum Einsatz kommen.
Und auch das Realisieren ist ein Prozess. Selbst als Beobachter der verkeilten Waggons aus Dutzenden Metern Entfernung muss man sich erst mal klarmachen: Dies ist keine Szene aus einem Hollywood-Aktion-Film, sondern schreckliche Realität.