Das Bistum Münster ist in Aufruhr. An diesem Wochenende wird der Josef-Pieper-Preis an Bischof Robert Barron verliehen – und damit an einen Kirchenmann aus den USA, den viele Gläubige in Deutschland mehr als kritisch sehen. "Umstritten", "erzkonservativ" und "populistisch": Mit diesen Adjektiven beschreiben Persönlichkeiten und kirchliche Gruppen aus der westfälischen Diözese den US-Bischof. Sie kritisieren vor allem seine Nähe zu Präsident Donald Trump und dessen Regierung sowie Barrons konservative theologische Positionen, in denen die sie etwa eine Ausgrenzung querer Personen sehen.
Die Kritik an der Vergabe des Preises an Barron kam Anfang März auf, kurz nachdem die in Münster ansässige Josef-Pieper-Stiftung den diesjährigen Preisträger bekanntgegeben hatte. Thomas Sternberg erinnerte mit mahnenden Worten an den Münsteraner Philosophen Josef Pieper: Dieser sei ein "freier Geist gewesen, der sich in keiner der Schablonen einpassen lassen wollte". Der ehemalige Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und frühere Direktor des Franz-Hitze-Hauses – der Akademie des Bistums Münster – ist einer der drei Stifter des Preises und gehörte bis 2016 dem Vorstand der Josef-Pieper-Stiftung an. Pieper und sein Denken eigneten sich nicht für "Vereinnahmungen gleich in welche Richtung", warnte Sternberg damals.
"Zugang zum unverkürzt katholischen Bekenntnis des Glaubens"
Die Stiftung begründete die Ehrung Barrons mit dessen Nähe zum Werk Piepers. Der US-Bischof erhalte den Pieper-Preis "für seine unübersehbare Affinität zur Religionsphilosophie Piepers mit Schwerpunkt auf den Bedingungen und Schwierigkeiten der konkreten Grundlegung und Weitergabe des Glaubens heute", schreibt Berthold Wald in einem Beitrag auf der Internetseite der Stiftung. Wald ist emeritierter Philosophieprofessor und gehört dem Vorstand der Stiftung an. Er ist dem Werk Piepers auch persönlich verbunden, denn er war ein Schüler des Denkers aus Münster und gibt dessen Gesamtwerk heraus. Wald betont, die Philosophie Piepers wolle "in der faktisch schon lange bestehenden Missionssituation einen von Einsicht getragenen Zugang zum unverkürzt katholischen Bekenntnis des Glaubens" wiederherstellen.
Um den unverkürzten katholischen Glauben – darum geht es auch dem 64 Jahre alten Barron, der nicht nur Bischof der relativ unbedeutenden Diözese Winona-Rochester in Minnesota im Norden der USA ist. Denn bekannt ist der ehemalige Theologieprofessor vor allem durch seine umfangreiche Tätigkeit in den Medien. Barron tritt seit Jahren als Kommentator und Gesprächspartner in nationalen und regionalen US-Medien auf, veröffentlicht Bücher und Zeitungsartikel.
Die 2000 von ihm gegründete Organisation "Word on Fire" hat sich der Vermittlung des katholischen Glaubens verschrieben. Barron tritt in den zahlreichen Videos des Medien-Unternehmens als eloquenter und charismatischer Missionar auf, der seinen konservativ ausgerichteten Glauben nicht versteckt. Auf YouTube hat Barron über zwei Millionen Abonnenten, auf Instagram folgen ihm mehr als eine halbe Million Menschen. Diese sehr erfolgreichen Bemühungen für die Neuevangelisierung blieben auch im Vatikan nicht unbemerkt, sodass Papst Franziskus Barron 2015 zum Weihbischof in Los Angeles ernannte und ihn sieben Jahre später zum Diözesanbischof von Winona-Rochester machte.
Barron hat sich Trump angenähert
Der Eichstätter Dogmatikprofessor Benjamin Dahlke hat Barron im vergangenen Jahr in dessen Bistum kennengelernt und auch die Studios von "Word on Fire" in Rochester besucht. "Barron leistet wirklich viel, um die Menschen in den USA wieder mit dem katholischen Glauben in Berührung zu bringen", sagt Dahlke anerkennend. Immerhin gibt es auch in den USA Schwierigkeiten, die neue Generation anzusprechen. Er hat den US-Bischof als wortgewandten Intellektuellen kennengelernt, der große Freude am Dialog habe – "über alle Lager inner- und außerhalb der Kirche hinweg".
Doch ein unreflektierter "Fan" des medial überaus präsenten Oberhirten ist Dahlke nicht. Der Theologe sieht es kritisch, dass sich Barron in den vergangenen Monaten offensichtlich an US-Präsident Trump angenähert habe. So nahm Barron Anfang März an der ersten Ansprache des wiedergewählten US-Präsidenten vor dem Kongress teil und lobte sie ausdrücklich als eine "Liturgie der Demokratie". Im Mai wurde zudem bekannt, dass er gemeinsam mit Kardinal Timothy Dolan aus New York von Trump in die neu gegründete Kommission für Religionsfreiheit berufen wurde. Dahlke zufolge wird es Barron nicht ganz gerecht, wenn man sein Lebenswerk an den Entwicklungen des letzten halben Jahres misst.
"Man darf auch nicht vergessen, dass Barron innerhalb der US-Kirche keineswegs Extrempositionen vertritt und auch nicht für die tridentinische Messe wirbt", so der Eichstätter Theologe. "Er steht fest auf dem Boden des Zweiten Vatikanischen Konzils, das er natürlich in bestimmter Weise interpretiert." Leitend seien für ihn Theologen wie Ratzinger, Balthasar und Lubac. Dahlke versteht jedoch, dass manche Äußerungen Barrons zu "Abstoßbewegungen" innerhalb der Kirche in Deutschland führen. "Das sind zwei unterschiedliche kirchliche Kulturen."
Als Beispiel dafür nennt er die Katechese, die in Deutschland eher erfahrungsbasiert ausgerichtet sei, in den USA hingegen vielmehr Glaubensinhalte thematisiere, da die Menschen dort besonders Klarheit im Glauben suchten. Vor diesem Hintergrund werde Barrons Projekt viel verständlicher. Dahlke hofft jedenfalls, dass die Auseinandersetzung um die Preisvergabe an den US-Bischof zu keiner Polarisierung führt. Besser wäre es, neugierig zu schauen, was in der Glaubensweitergabe gelingt.
"Ohrfeige für Josef Pieper"
Im Bistum Münster ist die Kritik an der Vergabe des Josef-Pieper-Preises an Barron seit der Ankündigung im März jedoch nicht abgerissen: Unter anderem das Münsteraner Diözesankomitee, die Vertretung der Jugendverbände BDKJ, der Frauenverband kfd, die Reformgruppe "Freckenhorster Kreis" und der Kreisverband der Grünen in Münster haben ihrem Unmut über die Ehrung des umstrittenen Bischofs Luft gemacht. Von einer "Ohrfeige für Josef Pieper" und einem "Hemmnis für die notwendige Entwicklung der Kirche" war etwa die Rede.
Auch die renommierte Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster kritisiert Barron scharf. Die Professorinnen und Professoren stellen sich gegen "die Deutung des Katholizismus, für die Bischof Barron steht und die die Josef-Pieper-Stiftung mit der Preisverleihung offensichtlich stärken möchte". Der katholische Glaube werde für eine ausgrenzende Identitätspolitik in Anspruch genommen, die ideologische Spaltungen verschärfe und Menschen ausgrenze, die nicht ins Bild passen. Konkret nennt das Statement der Fakultät vom Montag queere Menschen und Migranten. Barron mache sich mit einer weltweit erstarkenden Strömung gemein, "die Religion und Theologie benutzt, um die Welt in Freund und Feind einzuteilen".
"Kurios anmutende Abwehrreflexe"
Doch es gibt auch Lob für die Auswahl der Josef-Pieper-Stiftung. Der emeritierte Wiener Theologe Ludger Schwienhorst-Schönberger hält Barrons Bemühungen um die Neuevangelisierung für vorbildlich. Der christliche Glaube könne sich sehr wohl in einem säkularen Kontext behaupten, schreibt Schwienhorst-Schönberger in einem Artikel im Online-Magazin "Communio" Mitte Juli. "Allerdings bedarf es dazu einiger tiefgreifender Korrekturen verbreiteter Ansichten, die in einschlägigen theologischen Kreisen für Irritationen sorgen." Die Kritik an der Preisvergabe an Barron hält er für "kurios anmutende Abwehrreflexe" von Menschen, "bei denen man den Eindruck hat, dass sie weder ein Buch von Josef Pieper noch eines von Robert Barron gelesen, geschweige denn verstanden haben."
Man gewinnt den Eindruck, dass vor der Ehrung Barrons an diesem Wochenende in Münster die Gräben zwischen Unterstützern und Kritikern des streitbaren US-Bischofs tief und nur schwer zu überbrücken sind. Dennoch unternimmt Johannes Sabel den Versuch, zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu vermitteln. Sabel leitet die Akademie des Bistums Münster, in der am Samstag ein Symposium der Josef-Pieper-Stiftung aus Anlass der Preisverleihung an Barron stattfindet. Übergeben wird der Preis am Sonntag im Münsteraner Priesterseminar. Der Akademiedirektor sieht es als die Aufgabe seines Hauses an, die gegensätzlichen Positionen "in eine argumentative, rationale und am Wohle aller ausgerichtete Auseinandersetzung" zu bringen.
Sabel sagt Symposium nicht ab
Aus diesem Grund hat er das Symposium zu Ehren Barrons nicht abgesagt – obwohl ihn zahlreiche Menschen dazu aufgerufen hatten. "Mir wird vorgeworfen, ich sei naiv in meinem Vertrauen auf das Argument und die Pluralität der Positionen." Sabel versteht das Franz-Hitze-Haus jedoch als einen Raum öffentlicher und pluraler Diskurse. Er findet persönlich zwar, dass die Positionen Barrons an mehreren Stellen problematisch sind. "Das legitimiert uns aber nicht, auch als liberale oder 'linke' Katholik*innen, das Schema einer Rechtsaußenperspektive zu übernehmen, die die Welt in Freunde und Feinde teilt."
Auch wenn er die Kritik an Barrons Standpunkten für berechtigt hält, wünscht sich Sabel eine größere Differenziertheit. "Die Aufgabe, Komplexität wahrzunehmen und zu erkennen, dass die Lage gar nicht in schwarz oder weiß aufzuteilen ist, sondern wirklich unterschiedlichste Aspekte und auch Positionen da sind, tritt leicht in den Hintergrund." Die Akademie versucht die verschiedenen Meinungen abzubilden, indem sie am Vorabend des Symposiums ein Gespräch mit der in Chicago lehrenden deutschen Theologin Hille Haker zum erstarkenden Rechtskatholizismus in den USA angeboten hat. Außerdem zeigt derzeit eine Dauerausstellung im Franz-Hitze-Haus die Lebenswirklichkeit von queeren Katholikinnen und Katholiken in der Kirche.
"Weit denkender Philosoph"
Auffallend ist, dass in der Auseinandersetzung um die Preisverleihung an Barron das Denken Josef Piepers bislang kaum thematisiert wurde. Sabel hat einige Werke Piepers während seiner Studienzeit mit Gewinn gelesen und versteht ihn als einen "weit denkenden Philosophen". Er fragt sich deshalb, ob Pieper angesichts "der vielen Erkenntnisse, die wir heute über die Differenziertheit von Geschlecht und sexueller Identität haben", noch von einem traditionellen Katholizismus überzeugt sein würde, "der etwa ganz klar die Geschlechterordnung in Mann und Frau als gottgewollt versteht und eine damit sich verbindende Sexualmoral entwickelt".
Ob die Beschäftigung mit dem Denken Josef Piepers an diesem Wochenende in Münster Befürworter und Kritiker von Barron miteinander ins Gespräch bringt, bleibt abzuwarten. Die Rednerliste für Symposium und Preisverleihung scheint eher zu zeigen, dass beide Gruppen unter sich bleiben: Am Samstag werden neben Vertretern der Stiftung die Heiligenkreuzer Theologieprofessorin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, die den Josef-Pieper-Preis 2019 erhalten hat, und der Nationaldirektor von missio Österreich, Pater Karl Wallner, ebenfalls aus Heiligenkreuz, sprechen. Am Sonntag hält der Passauer Bischof Stefan Oster die Laudatio auf Bischof Barron. Gleichzeitig findet in der Münsteraner Innenstadt eine Mahnwache der kirchlichen und gesellschaftlichen Gruppen statt, die der Preisverleihung kritisch gegenüberstehen. Der Aufruhr in Münster hält an.