Verfassungsrechtler kritisiert Bischöfe im Richterwahl-Streit

"Grundgesetz ist keine 'christliche Verfassung'"

Das christliche Weltbild und rechtliche Entscheidungen können voneinander abweichen. Das solle die Kirche akzeptieren, mahnt der Verfassungsrechtler Alexander Thiele. Derweil meldet sich auch Frauke Brosius-Gersdorf selber zu Wort.

Bundesverfassungsgericht / © Harald Oppitz (KNA)
Bundesverfassungsgericht / © Harald Oppitz ( KNA )

Der Verfassungsrechtler Alexander Thiele sieht manche Äußerungen von Bischöfen zur Verfassungsrichterwahl kritisch. Als problematisch empfinde er Einlassungen, die die Kritik nicht auf die christliche Lehre stützten, sondern in der Kandidatur von Frauke Brosius-Gersdorf einen Angriff auf die Verfassungsordnung sähen, sagte Thiele am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

"Hier ist dann doch auf der Trennung der weltlichen von der religiösen Ebene zu bestehen - das Grundgesetz ist keine 'christliche Verfassung'."

Bischof Rudolf Voderholzer / © Maria Irl (KNA)
Bischof Rudolf Voderholzer / © Maria Irl ( KNA )

Die Bischöfe von Passau und Regensburg, Stefan Oster und Rudolf Voderholzer, hatten im Vorfeld der am vergangenen Freitag geplanten Wahl von Brosius-Gersdorf zur Verfassungsrichterin vor einem "radikalen Angriff auf die Fundamente unserer Verfassung" gewarnt.

Mit einem solchen Statement entstehe nachgerade der Eindruck, bei Frau Brosius-Gersdorf handele es sich um eine Verfassungsfeindin, so Thiele. "Das ist deutlich zurückzuweisen."

Die Kirche werde es hinnehmen müssen, dass die Rechtswissenschaft und auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht immer das christliche Weltbild widerspiegelten, so der Verfassungsrechtler.

Soziologe mahnt Zurückhaltung der Kirche an

Der Religionssoziologe Detlef Pollack forderte von der Kirche, in Debatten eine überparteilich begründete Position zu beziehen. "Die Kirche ist gut beraten, in allen tagespolitischen Fragen äußerste Zurückhaltung walten zu lassen", sagte Pollack der KNA.

Religionssoziologe Detlef Pollack (WWU – MünsterVIEW)

Brosius-Gersdorf habe kritisiert, ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch sei falsch wiedergegeben worden; SPD-Fraktionschef Matthias Miersch sehe eine von rechten Kreisen ausgehende Schmutzkampagne, andere sähen die Verantwortlichkeit für die gescheiterte Wahl beim CDU-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn, so Pollack. 

Da sei es schwierig, die notwendige überparteiliche Meinung zu bilden. "Zu einer solchen aber sollte sich die Kirche, wenn sie im parteipolitischen Streit nicht verlieren und zugleich politisch Stellung beziehen will, verpflichtet fühlen."

Brosius-Gersdorf geht in Offensive

Die von der SPD vorgeschlagene Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf hat derweil ihre umstrittenen Positionen zur Abtreibung verteidigt. "Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt", betonte sie am späten Dienstagabend in der ZDF-Talkshow von Markus Lanz. "Es ist auch falsch, dass ich gesagt haben soll oder geschrieben haben soll, dass der Embryo kein Lebensrecht hat."

"Hochsensibler Güterkonflikt"

Richtig sei vielmehr, dass sie für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase eingetreten sei, so die Potsdamer Verfassungsrechtlerin. "Straffrei ist er schon heute, aber er ist rechtswidrig, und ich bin der Meinung, dass er aus verfassungsrechtlichen Gründen rechtmäßig sein sollte." Dahinter stehe "ein ganz schwieriger und hochsensibler Güterkonflikt zwischen den Grundrechten des Embryos auf der einen Seite, seinem Lebensrecht, und den Grundrechten der Frau auf der anderen Seite".

Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am 15. April 2024 in Berlin, während sie den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vorstellte. / © Britta Pedersen (dpa)
Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf am 15. April 2024 in Berlin, während sie den Abschlussbericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin vorstellte. / © Britta Pedersen ( dpa )

Als entscheidend für die Auflösung dieses Güterkonflikts wertete Brosius-Gersdorf, "dass die Grundrechte des Embryos und die Grundrechte der Frau nicht in allen Phasen der Schwangerschaft gleich zu gewichten waren. Sondern dem Lebensrecht des Embryos habe ich in der Frühphase der Schwangerschaft ein geringeres Gewicht in der Gegenüberstellung mit den Grundrechten der Frau beigemessen und in den späteren Phasen ein höheres."

Am Freitag war die Wahl dreier neuer Verfassungsrichter für Karlsruhe, darunter Brosius-Gersdorf, im Bundestag gescheitert. Sie soll nun nach der Sommerpause nachgeholt werden. Laut einem Bericht von Table.Media drängt die SPD darauf, die Richterfrage Ende August zu klären. Aus der Union gibt es Forderungen an ihren Koalitionspartner, eine andere Person ins Rennen zu schicken. Doch die SPD will offenbar an Brosius-Gersdorf festhalten.

Schriftliche Stellungnahme

Bereits vor ihrem Auftritt bei Markus Lanz hatte sich die Juristin am Dienstag in einer schriftlichen Stellungnahme zu Wort gemeldet.

Kritik an ihrer Position war in den vergangenen Tagen nicht nur aus der Politik laut geworden. Vertreter der katholischen Kirche hatten ihre Eignung für das Amt einer Bundesverfassungsrichterin in Frage gestellt.

In einem "Welt"-Interview sagte der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl, er würde es begrüßen, wenn Brosius-Gersdorf auf dieses Amt verzichten würde. "Mir wäre das am liebsten, natürlich", so Gössl.

Brosius-Gersdorfs Position stehe völlig konträr zu der Auffassung der katholischen Kirche. "Es gibt keine Abstufung des Lebensrechts", so der Geistliche. "Von daher sehe ich da auch wenig Kompromissmöglichkeit."

"Ich finde das infam"

Bei Markus Lanz wies die 54-Jährige speziell die Kritik von Gössl in scharfen Worten zurück. Der Bamberger Erzbischof habe ihr Intoleranz und Menschenverachtung vorgeworfen. "Ich finde das infam", so Brosius-Gersdorf. "Ich möchte einfach mal daran erinnern, dass auch Vertreter der katholischen Kirche an die Verfassungswerte unsere Grundgesetzes gebunden sind und damit auch an meine Menschenwürde und mein Persönlichkeitsrecht." 

Herwig Gössl / © Katharina Gebauer (KNA)
Herwig Gössl / © Katharina Gebauer ( KNA )

Ungeachtet dessen habe sie in den vergangenen Tagen Tausende von Zuschriften erhalten, auch von Pfarrern und Pastoren, die sie nachdrücklich aufgefordert hätten, "jetzt nicht zurückzustecken".

Gleichwohl schloss die Juristin einen Rückzug nicht aus für den Fall, dass die Debatte um ihre Person so groß werde, dass das Verfassungsgericht am Ende beschädigt werden könne. "Sobald das auch nur droht, würde ich an meiner Nominierung nicht festhalten. Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten", so Brosius-Gersdorf. "Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land, weil wir nicht wissen, was dann hinterher passiert."

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland. Seit seiner Gründung im Jahr 1951 hat das Gericht dazu beigetragen, der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Ansehen und Wirkung zu verschaffen. Das gilt vor allem für die Durchsetzung der Grundrechte. Zur Beachtung des Grundgesetzes sind alle staatlichen Stellen verpflichtet. Kommt es dabei zum Streit, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Seine Entscheidung ist unanfechtbar. An seine Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden.

Außenansicht Bundesverfassungsgericht / © Harald Oppitz (KNA)
Außenansicht Bundesverfassungsgericht / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA