Erzbistum Köln bietet jungen Leuten ab September Orientierungsjahr an

"Sehnsucht nach Sinn und Halt ernst nehmen"

Ein Jahr. Sein Plan. Dein Leben. Mit diesem Slogan wirbt die Berufungspastoral gemeinsam mit dem Priesterseminar für ein Angebot, bei dem sich junge Menschen selbst mehr auf die Spur kommen können, aber auch ihrer Beziehung zu Gott.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Junge Menschen unterwegs / © Ground Picture (shutterstock)
Junge Menschen unterwegs / © Ground Picture ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln macht jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren ein neues Angebot. Innerhalb eines Orientierungsjahres können sie herausfinden, welchen Weg sie in Zukunft einschlagen wollen und welche Rolle Gott dabei spielt. Was steckt dahinter?

Die Theologin Christine Haß gehört zum Team der Berufungspastoral / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Theologin Christine Haß gehört zum Team der Berufungspastoral / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Christine Haß (Theologische Referentin in der Berufungspastoral und Berufungscoach): Viele junge Menschen wissen nach der Schule nicht, wie es für sie weitergehen soll. Andere haben vielleicht schon eine Berufsausbildung oder ein Studium hinter sich und brauchen nochmals Zeit, um endgültig berufliche Weichen zu stellen. Da kommt ein Jahr, in dem die eigene Persönlichkeit wachsen und reifen kann, um zu einer tragfähigen Entscheidung zu kommen, unter Umständen gerade recht. Zumal wir verstärkt spüren, dass junge Menschen auch eine große spirituelle Sehnsucht haben, ohne dass diese an eine konkrete zukünftige Lebensform oder -perspektive angedockt ist. Bei dem Orientierungsjahr geht es darum, sich Zeit zu nehmen, um eben auch aus dem Glauben heraus genau diese Fragen zu klären: Wie möchte ich mein Leben verbringen, wie möchte ich es gestalten? Letztlich geht es um die Frage nach Sinn, Halt und Orientierung; ein Angebot, das sich gleichermaßen an junge Frauen und Männer richtet.

DOMRADIO.DE: Das Angebot ist also gezielt für Suchende konzipiert, die offen sind für einen geistlich begleiteten Weg…

Dr. Carmen Breuckmann-Giertz (Studienpräfektin am Erzbischöflichen Priesterseminar): Genau. Die Gruppe wird insgesamt sehr heterogen sein, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ganz unterschiedliche Voraussetzungen oder Vorerfahrungen mitbringen, was wir ausdrücklich begrüßen. Unser Kernanliegen ist die Begleitung bei der Frage: Was hat Gott mit mir vor? Ziel ist also, nach dem eigenen Plan im Leben zu fragen und danach, welche Rolle Gott dabei spielt. Diesen Orientierungswunsch, dem wir immer wieder begegnen, nehmen wir ernst. Die besondere Vision in diesem Jahr, die wir – gespeist aus dem Dialog mit unserem Kardinal Erzbischof Woelki – verfolgen, liegt in der Qualität der Begleitung von jungen Menschen: In Zeiten von Unsicherheit, der Erfahrung von Krise oder Scheitern und dem Erleben von Anfrage und Kritik bei der Frage nach Gott soll Stärkung erfahren werden, um zu einer eigenen Klärung zu finden.

Carmen Breuckmann-Giertz

"Es ist zunehmend und gesamtgesellschaftlich zu konstatieren, dass junge Menschen, die mit Sinnfragen unterwegs sind, beklagen, dafür in unserer Gesellschaft kaum Resonanzräume zu finden."

Wir wollen dazu auch die Erfahrung von Partizipation und sinnstiftendem Erschließen von sozialer Tätigkeit ermöglichen. Denn es ist zunehmend und gesamtgesellschaftlich zu konstatieren, dass junge Menschen, die mit Sinnfragen unterwegs sind, beklagen, dafür in unserer Gesellschaft kaum Resonanzräume zu finden. An dieser Stelle möchten wir unsere Präsenz anbieten. Wer also nach der Schule noch keine konkreten Pläne hat und sich selbst mehr auf die Spur kommen will, kann sich für ein solches Orientierungsjahr bei uns bewerben.

DOMRADIO.DE: Wie sieht dieses Jahr denn konkret aus? Und worin besteht der Unterschied zu anderen Angeboten?

Haß: Die jungen Leute leben in kleinen Wohngemeinschaften in der Kölner Innenstadt. Denn gemeinsam mit anderen unterwegs zu sein, die sich dieselben oder ähnliche Fragen stellen, ist immer bereichernder, als sich allein auf die Suche zu begeben. Das Programm ist dann weitgehend hier im Priesterseminar angedockt. Darüber hinaus gibt es aber auch Zeiten für ein Sozialpraktikum und einen kurzen Auslandseinsatz, um ganz praktische Erfahrungen zu machen und auf Menschen zu treffen, mit denen man vielleicht vorher noch nie in Berührung gekommen ist. Außerdem ist Zeit für Berufspraktika eingeplant. Es geht somit vor allem auch darum zu schauen, wo liegen denn eigentlich meine Interessen und Stärken und wo meine Kompetenzen und Leidenschaften.

Studienpräfektin Dr. Carmen Breuckmann-Giertz ist am Konzept des Orientierungsjahres maßgeblich beteiligt / © Beatrice Tomasetti (DR)
Studienpräfektin Dr. Carmen Breuckmann-Giertz ist am Konzept des Orientierungsjahres maßgeblich beteiligt / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Breuckmann-Giertz: Wichtig ist es, dass es uns erklärtermaßen darum geht, diesen jungen Menschen einen Raum anzubieten, in dem sie ihre Fragen nach Gott und ihrer Gottesbeziehung stellen dürfen. Zumal Jugendliche gerade bei diesem Thema oft die Erfahrung machen, dass sie eher auf kritische Reaktionen oder Ablehnung stoßen, wenn sie sich damit in gesellschaftlichen Kontexten vorstellen. 

Wir wollen Mut machen: Stell Deine Fragen! Sie sind wertvoll, vielleicht für Dich richtungsweisend, und sie zeichnen Dich aus. Um eine eigene Sprachfähigkeit für sich und die eigenen Anliegen zu entwickeln, bieten wir ein Portfolio aus unterschiedlichen Programmen an, die zum Basisprogramm gehören und auch individuell ausgerichtet werden können. Inhaltlich erstreckt sich dieses über das Erlernen einer weiteren Sprache und über ein erstes Erschließen theologischer Sprechweise in biblischen Texten bis hin zu der Möglichkeit von individuellem Sprechtraining. Gerahmt von Gebetszeiten, geht es schließlich immer auch darum, den Dialog mit Gott zu entdecken.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen von einer heterogenen Gruppe. Vielfalt kann grundsätzlich sicher bereichernd sein, aber zwischen einem Abiturienten und einer gestandenen 30-Jährigen kann es natürlich auch große Unterschiede, was Entwicklungsstand, Persönlichkeitsreife etc. angeht, geben. Können Sie dem gerecht werden?

Carmen Breuckmann-Giertz

"Die geistliche Struktur schaffen wir mit einem Stundenplan, zu dem das Gebet genauso gehört wie die Feier von Gottesdiensten oder das Angebot von geistlichen Gesprächen und geistlicher Begleitung."

Breuckmann-Giertz: Dieser Heterogenität ausgewogen zu begegnen, ist ausdrückliches Ziel des neuen Konzeptes, insofern sind wir genau darauf auch vorbereitet. Die Wohnsituationen beispielsweise brauchen die Möglichkeit für beruhigtes, individuelles Leben und die Rückzugsmöglichkeit, was eine vergleichbare Alterssituation erforderlich macht. Zugleich ist ein Austausch in der Gruppe mit verschiedenen Altersstrukturen eine gewinnbringende Dynamik, wenn diese didaktisch vorbereitet geführt und thematisch aufbereitet ist. Auch das ist Teil des Konzeptes. Die geistliche Struktur schaffen wir mit einem Stundenplan, zu dem das Gebet genauso gehört wie die Feier von Gottesdiensten oder das Angebot von geistlichen Gesprächen und geistlicher Begleitung. Aber auch individuelle Gesprächszeiten wird es geben, so dass jeder so, wie er kommt, im Blick ist. 

Das Curriculum dazu hat ein Team aus der Berufungspastoral und dem Priesterseminar neu entwickelt, und dieses Team steht auch in der Begleitung mit den verschiedenen fachlichen Kompetenzen zu den je individuellen Bedarfen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Orientierungsjahr zur Verfügung. 

DOMRADIO.DE: Worauf kommt es Ihnen neben der geistlichen und persönlichen Begleitung außerdem noch an?

Breuckmann-Giertz: Auf die Begegnung mit Menschen. Das heißt, es gibt im Stundenplan der Woche reservierte Zeiten für ein verpflichtendes Sozialpraktikum, bei dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus einer Liste thematisch sortierter, mit uns kooperierender Einrichtungen selbst wählen können, wo sie über ein Jahr an ein bis zwei Tagen sozial tätig werden. Denn das Ganze lebt von dem Geist, in der Begegnung mit konkreten Menschen mit ihnen zu leben, für sie da zu sein und von ihnen zu lernen im Kontext der Sinnfrage der jungen Menschen. Dafür werden die ausgewählten Einrichtungen ebenso wie die Teilnehmer fortlaufend begleitet und prozessbezogen reflektiert: Was erlebe ich vor Ort? Mit welchen Menschen komme ich in Kontakt? Welche Herausforderungen stellen sich mir? Welche neuen Lebensperspektiven lerne ich kennen, und was bedeuten sie mir? 

Ähnlich zu der Erfahrung, in eigenen Lebensfragen sowie in der Frage nach Gott im Alltag oft wenig Antwort zu finden, erleben Menschen in existenziell anstrengenden Situationen häufig, wenig Beachtung zu finden oder in einer leistungsorientierten Welt zur Last für andere zu werden. Über diese generationsübergreifenden Räume der Begegnung neue Zugänge, die Würdigung von Fragen und die Erfahrung von Gehör und Zuwendung zu ermöglichen, in denen es darum geht, hinzuschauen, da zu sein und einander zuzuhören, ist daher das Ziel. Dabei reichen die thematischen Angebote von Einrichtungen in der Begleitung von Kindern über Erwachsene bis hin zu hochbetagten Senioren und Sterbenden. Wir freuen uns daher sehr, Kooperationspartner in Kindergärten und Schulen ebenso gefunden zu haben wie aus den Kontexten Krankenhaus, Geriatrie und Hospiz.

Junge Leute auf den Fluren des Priesterseminars / © Berufungspastoral (Erzbistum Köln)
Junge Leute auf den Fluren des Priesterseminars / © Berufungspastoral ( Erzbistum Köln )

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für die jungen Leute in diesem Orientierungsjahr?

Breuckmann-Giertz: In der Grundidee verbindet uns in Planung und Konzept eine Vision um der jungen Menschen willen: Es ist die Vision, dass es für sie erfahrbar werden möge, im Glauben eine neue Tiefe zu entdecken – nicht theoretisch, sondern in Wirklichkeit. Das bedeutet auch, sich darauf einzulassen, aktiv im Leben, im Zuhören und im Gebet danach zu fragen, welchen Platz Gott in meinem Leben hat. In einer Atmosphäre von inspirierenden Begegnungen und Vertrauen kann hoffentlich für jede und jeden eine neue innere Freiheit erfahrbar werden, die für die Zukunft stärkt.

Carmen Breuckmann-Giertz

"Die Verletzlichkeiten des Lebens gehören nicht nur zur DNA des Menschseins, sondern im Wesentlichen zum Christsein."

Wenn innerhalb einer solchen geteilten Zeit Krisen- und Kreuzessituation menschlichen Lebens zur Sprache kommen ebenso wie die Erfahrung, wie Menschen es geschafft haben, damit umzugehen, Ringen und Fragen zugelassen haben und neue Zuversicht auch im Glauben schöpfen konnten, kann ansichtig werden, was eine Jüngerschaft in der Nachfolge Jesu wirklich bedeutet, was das Christsein in dieser Welt meinen kann. Die Verletzlichkeiten des Lebens gehören nicht nur zur DNA des Menschseins, sondern im Wesentlichen zum Christsein. Wir glauben an einen Gott, der selbst das Kreuz kennt. In diesem wachsenden Bewusstsein kann eine hohe Kraft des Trostes liegen und vielleicht auch die Möglichkeit, mit anderen und mit Gott neu in Beziehung zu treten.

DOMRADIO.DE: Was ist Ihre Hoffnung: Wie sollen die Kandidaten nach diesem Jahr gerüstet sein?

Haß: Ich würde mir wünschen, dass sich alle, die beim Orientierungsjahr mit dabei sind, tatsächlich im nächsten Jahr so gut aufgestellt fühlen, dass sie für sich eine bewusste Entscheidung treffen können, wie es für sie persönlich weitergehen soll. Und dass diese Entscheidung letztlich das widerspiegelt, was sie als Menschen ausmacht, um dann in aller Treue zu sich selbst die nächsten Schritte gehen zu können – in dem Bewusstsein, dass hier Menschen sind, die unterstützend zur Seite stehen. Trotzdem muss niemand dann "fertig" sein. Es werden sich neue Fragen stellen. Aber es gibt nach einem Jahr ein Rüstzeug, den nächsten Schritt zu wagen und mit allen Erfahrungen des vergangenen Jahres den Weg ins Leben zu finden oder auf dem bereits eingeschlagenen Pfad weiterzugehen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Orientierungsjahr 2025/2026 – Jetzt anmelden!

Junge Erwachsene zwischen 18 und 30 Jahren, die auf der Suche nach Orientierung sind, haben im Erzbistum Köln ab September 2025 die Chance, innezuhalten und ihren Lebensweg neu zu bedenken. Das Orientierungsjahr bietet Raum für Persönlichkeitsentwicklung, geistliches Leben, Gemeinschaft, Exerzitien, Sozialpraktika sowie individuelle Begleitung durch Mentoring und Coaching.

Jugendliche / © Prostock-studio (shutterstock)
Quelle:
DR

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