Von Montag an wird die deutsch-polnische Grenze auch von polnischer Seite aus kontrolliert – das ist vor allem eine Reaktion auf deutsche Grenzkontrollen und Rückweisungen von Migranten. Ersten Berichten zufolge soll der rege Grenzverkehr davon bislang noch nicht allzu sehr betroffen sein.
Auch die ersten irregulären Migranten sollen bereits von polnischer Seite zurückgewiesen worden sein. Wie kam es dazu, dass beidseitige Kontrollen an Schengen-Grenzen innerhalb von Monaten wieder normal geworden sind?
Deutsche Symbolpolitik trägt nicht nur symbolisch Früchte
Den ersten Zug machte Deutschlands Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit seiner "Migrationswende", ausgeführt von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Zwar wurde die deutsch-polnische Grenze bereits seit Oktober 2023 stichprobenartig kontrolliert. Doch die verstärkten Kontrollen und vor allem die Zurückweisungen brachten eine neue Quantität und Qualität mit sich.
Auch schon unter Dobrindts Vorgängerin Nancy Faeser (SPD) ging es dabei um Symbolpolitik. Denn das Gros der irregulären Migration findet an den EU-Außengrenzen statt. Die Kontrollen sollten der schnellen Befriedung lang gehegter migrationspolitischer Missstände dienen, mit der klaren Botschaft: Alles ist unter Kontrolle.
Doch diese in der Intention nachvollziehbare deutsche Symbolpolitik trug keineswegs nur symbolische Früchte, besonders jenseits von Oder und Neisse. Denn Polens Premierminister Donald Tusk von der liberalen "Bürgerplattform" konnte als erfahrener Taktiker der Macht kaum mehr anders handeln, als Merz den Spiegel vorzuhalten.
Juni 2024 veränderte sich die Haltung vieler Polen zu Migration schlagartig
Um zu verstehen, warum dem so ist, gilt es sich in den Juni 2024 zurückzuversetzen. Damals veränderte die Nachricht, dass ein polnischer Grenzbeamter an der "grünen Grenze" zu Belarus von einem Migranten mit einem Messer ermordet wurde, schlagartig das Denken der meisten Polen über Migration.
Ließ sich Polen – ähnlich wie Deutschland – vor diesem Vorfall demoskopisch grob in zwei polarisierte migrationspolitische Lager aufteilen, konnte dies unmittelbar danach nicht mehr im Ansatz gelten. Eine im Auftrag der Tageszeitung "Rzeczpospolita" in Auftrag gegebene Umfrage des Instituts IBRiS fand heraus, dass 85,7 Prozent der Polen kurz nach dem Mord einen Einsatz von scharfen Schusswaffen zum Schutz der Grenze zu Belarus befürworten würden.
Die Auswirkungen auf die Politik waren groß: Selbst der prominente liberale Katholik und Sejm-Marschall Szymon Hołownia, der lange als migrationsfreundlich galt, befürwortete auf einmal eine Verteidigung der Grenze mit Schusswaffen. In Polen war schon seit Jahren von einem "hybriden Krieg" an der streng bewachten und mit Pushbacks beschützten "grünen Grenze" die Rede.
Überraschende Migrationswende Warschaus minderte den Druck nicht
Seither stand dieser "Krieg" samt seines ersten Opfers auf polnischer Seite der Mehrheit jedoch auch plastisch vor Augen – und die Stimmung mit Blick auf Migration kippte zunehmend.
Zwar verschärfte Tusk in Reaktion darauf Polens Migrationspolitik im Vergleich zur Vorgängerregierung, obwohl er zuvor jahrelang die Migrationspolitik der national-konservativen PiS kritisiert hatte. Den Druck minderte Tusks Migrationswende nicht: Während er von linksliberalen Anhängern und Gegnern für Pushbacks kritisiert wurde, galt sein Kurs rechts von ihm weiterhin als zu lasch.
Die Kritik von rechts wog und wiegt dabei wesentlich schwerer – hatte das Land doch nicht nur in Migrationsfragen, sondern auch parteipolitisch eine Stärkung der Rechten erlebt, die sich nicht nur im Sieg des PiS-nahen Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki, sondern vor allem auch in den überraschend starken Ergebnissen seiner beiden radikaleren Konkurrenten von rechts äußerte.
Auch viele Katholiken dürften Migration kritisch sehen – mit Ausnahmen
Obwohl auch dem urkatholischen Polen oft eine zunehmende Säkularisierung nachgesagt wird, spielten bei dem Sieg Nawrockis dem Analytiker Szymon Pifczyk zufolge in erster Linie praktizierende Katholiken eine Rolle. Folgt man dieser laut Pifczyk starken Korrelation, dürfte ein Großteil dieser Katholiken folgerichtig auch einen härteren Migrationskurs befürworten.
Die polnische Bischofskonferenz zeigt sich in dieser Hinsicht hingegen ambivalent. In einer Mitteilung im Mai betonte sie einerseits das Recht des Staates auf Grenzschutz, kritisierte andererseits aber auch eine Kriminalisierung von Aktivisten, die irregulären Migranten zu helfen versuchen. Die wahrscheinlich mitgemeinte Aktivistengruppe "Grupa Granica", die in Polens Pushbacks Menschen- und Völkerrechtsverletzungen sieht, begrüßte das Statement der polnischen Bischöfe.
Scharfe Kritik an der polnischen Migrationsskepsis kommt aber vor allem von intellektuellen Vertretern des sogenannten "Offenen Katholizismus" aus dem Umfeld der Zeitschriften "Więź" und "Tygodnik Powszechny", während in den bekanntesten beiden katholischen Wochenzeitungen – "Gośc Niedzielny" und besonders "Niedziela" – tendenziell migrationskritische Positionen zu lesen sind.
Grundsätzlich halten sich – jenseits von einzelnen, dezidiert migrationskritisch oder migrationsfreundlich ausscherenden Hirten – viele polnische Bischöfe in Sachen Migration aber eher zurück, weil sie wissen, dass der Einsatz des Heiligen Stuhls für Migranten im katholischen Polen auf wenig Anklang trifft.
Polen musste in Deutschlands politischer Entwicklung einen Affront sehen
Aus dieser Perspektive wird auch deutlich, warum Tusk sich nun von vielen Seiten gezwungen sah, zu handeln. Das weiß auch der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Knut Abraham (CDU), der trotz Kritik am polnischen Vorgehen, den innenpolitischen Druck auf Tusk für die Situation verantwortlich macht.
Auch er betont, dass die Binnengrenzkontrollen derzeit "politisch erforderlich" seien, "um das Umdenken in der Migrationsfrage zu dokumentieren" – mit anderen Worten also vor allem von symbolischer Bedeutung sind.
Diese beidseitige und riskante Symbolpolitik droht dabei jedoch zunehmend zum Spiel mit dem Feuer werden, was die langfristige Entwicklung der deutsch-polnischen Beziehungen anbetrifft. Denn nach jahrelangen Strapazen an der gesamteuropäischen Außengrenze zu Belarus fühlt man sich in Polen durch die Rückführungen – teils gerade jener, die es dennoch über die grüne Grenze schafften – auf die Füße getreten. Galt Deutschland doch zuvor jahrelang als innereuropäischer Treiber einer liberalen Migrationspolitik, der sich Polen stets verwehrte.
Dass jetzt nach Jahren einer in Warschau als Laissez-Faire-Kurs wahrgenommenen Politik Berlins auf einmal Rückführungen nicht-europäischer Migranten nach Polen stattfinden, während die Situation an der Ostgrenze Polens sich nicht beruhigt, musste in der skizzierten Stimmungslage und vor dem Hintergrund des dramatischen Vorfalls von 2024 in Polen als Affront wahrgenommen werden – auch wenn dies keineswegs im Sinne Berlins gewesen sein dürfte.
Szenario einer rechten Regierungskoalition treibt Tusks Migrationspolitik an
Der inzwischen größte Nachrichtensender des Landes, der rechte Fernsehkanal "TV Republika", sah den "hybriden Krieg" am 30. Juni, als polnische Bürgerpatrouillen die Grenze "kontrollierten" und es zu Protesten gegen die deutschen Rückführungen kam, nun sogar auch auf die deutsch-polnische Grenze ausgeweitet. In einer eingeblendeten Bauchbinde stand ein Satz, der in Polen historische Assoziationen weckt: "Die Deutschen werfen uns von Westen, die Russen von Osten illegale Migranten zu."
Der Sender repräsentiert zwar nicht das mediale Durchschnittsecho, doch kommt ihm eine wachsende Bedeutung zu, weil er die Wählerschaften der formell noch verfeindeten, aber sich in Trippelschritten annähernden großen beiden Rechtsparteien – der konservativ-katholischen und älteren PiS sowie der neurechten und jüngeren "Konföderation" – als Zuschauerschaft vereint.
Tusk, der seine heterogene Regierungskoalition durch die gemeinsame Feindschaft zur PiS zusammenhält und sich an einem Zustimmungstiefpunkt befindet, wird nicht nur durch das Zukunftsszenario dieser im Nachgang der nächsten Sejm-Wahlen möglicherweise realistischen neuartigen Rechtskoalition zu einer schärferen Migrationspolitik getrieben. Denn eine stärkere Migrationskontrolle ist in Polen nicht nur der Rechten wichtig.
Wie der polnische Meinungsforscher Łukasz Pawłowski kürzlich betonte, ist sie und bleibt sie für das Erste vielmehr das politische Topthema der Polen, die derzeit jedoch das Gefühl hätten, die Regierung habe die Situation an den Grenzen nicht im Griff. Die Verstärkung der Grenzkontrollen und vor allem die Zurückweisungen seitens Deutschlands dürften ihren Teil dazu beigetragen haben.
Werden die Macht des Symbolischen und die der Gewohnheit zum Problem?
Dabei hätte man sich von Tusk und Merz eine bessere Zusammenarbeit erhoffen können. Beide tragen ein christdemokratisch-europäisches Erbe mit sich, beide interpretieren es jeweils mit national-liberalem Einschlag.
Darin liegt auch Potenzial für eine Klärung des Problems, der sowohl Tusk als auch Merz bedürfen. Deutschlands Polen-Beauftragter Abraham betont dabei richtigerweise, dass an einem gemeinsamen Vorgehen an den polnischen Außengrenzen langfristig kein Weg vorbeiführt, möchte man die Migrationskrise lösen.
Die Frage ist nicht nur, ob diese Maßnahmen noch rechtzeitig genug ergriffen werden können, sondern vor allem auch, wie sehr Tusks Regierung und die deutsch-polnischen Beziehungen unter dem Status quo noch leiden werden. Hinzu kommen die möglichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen der für beide Volkswirtschaften wichtigen Grenzregion, vor denen auch Abraham warnt.
Und schließlich könnte auch die Macht des Symbolischen und die Macht der Gewohnheit zum Problem werden. Sollten sich Polen und Deutsche an Grenzkontrollen als Anzeichen einer kontrollierten Migration gewöhnen, dürfte es sowohl Warschau als auch Berlin schwerfallen, eine plötzliche Rückkehr zur gewohnten Freizügigkeit zu kommunizieren. Wenn Bundesinnenminister Dobrindt am 18. Juli zum europäischen Migrationsgipfel einlädt, muss deshalb die Grenze von Polen zu Belarus dabei eine größere Rolle spielen als jene zu Deutschland.
Das gilt sowohl für die Gespräche mit den polnischen Partnern als auch für die gemeinsame Kommunikation der Ergebnisse an die Öffentlichkeiten beider Länder, welche die Perspektive Polens und das Engagement des Landes beim Schutz der EU-Außengrenzen anerkennen müsste, um die Situation zu entschärfen.
Informationen zum Autor: Marco Fetke ist Journalist und Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim Bund Katholischer Unternehmer (BKU). Er schreibt schwerpunktmäßig über Politik, Wirtschaft und Kultur. Das Zeitgeschehen in Polen begleitet er seit 2021 journalistisch.