DOMRADIO.DE: Sie stehen als Großerzbischof der Syro-Malabarischen Kirche der größten mit Rom unierten Ostkirche vor. Sieben Millionen Menschen gehören zu Ihrer Gemeinschaft in Indien, die eine eigene Kirche ist, aber trotzdem dem Papst untersteht. Wie unterscheidet sich denn Ihr katholisches Leben von unserem in Europa?
Mar Raphael Thattil (Großerzbischof von Ernakulum-Angamaly und Oberhaupt der Syro-Malabarischen Kirche): Dafür müssen wir auf unseren Ursprung zurückblicken. Wir sehen uns als sogenannte Thomaschristen, das heißt, wir berufen uns auf den Apostel Thomas. Nach unserer Überzeugung ist er im Jahr 54 zu uns nach Indien gekommen und ist auch bei uns ganz in der Nähe als Märtyrer gestorben. Seine Reliquien bewahren wir bis heute in unserer Thomasbasilika.
DOMRADIO.DE: Wie unterscheidet sich denn das Alltagsleben und die Messe?
Thattil: Wir sind eine orientalische Kirche, unser Ritus steht in Beziehung zum chaldäischen Ritus. Schon bald nach der Gründung unserer Kirche haben wir uns nicht als Tochterkirche der Chaldäer, sondern als eigenständige Gemeinschaft definiert. Die orientalischen Kirchen zweigen sich in fünf Gruppen auf, die chaldäische ist eine davon.
In der Liturgie gibt es also viele Gemeinsamkeiten. Der Unterschied ist, dass wir diese Liturgie mit unserer ureigenen indischen Kultur und Tradition verbinden. Syro-Malabar drückt das auch im Namen aus: Syro heißt syriakisch, Malabar bezieht sich auf unsere Region Kerala, die syriakische Kirche in Kerala.
DOMRADIO.DE: So unterschiedlich der Ritus ist, wir beide sind katholisch und folgen dem Papst. Sie wurden auch nicht vom Papst als Großerzbischof ausgewählt, sondern von der Synode erkoren und vom Vatikan bestätigt.
Thattil: Wir sind eine autonome katholische Kirche, die Entscheidungen trifft unsere Synode. Der Heilige Stuhl muss diese Entscheidungen aber bestätigen. Unsere Bischöfe wählen wir selber aus, schicken die Listen der Kandidaten aber vorab nach Rom. Wenn es da keine Einwände gibt, können wir unsere Wahl treffen.
Als ich zum Großerzbischof gewählt wurde, haben wir den Heiligen Stuhl informiert, und der hat die Wahl bestätigt. Sie sehen, obwohl wir mit dem Heiligen Stuhl zusammenarbeiten, laufen unsere Prozesse sehr autonom ab, völlig anders als in der lateinischen Kirche des Westens.
DOMRADIO.DE: Trotzdem sind wir unter dem Papst vereint. Wie fühlen Sie sich damit?
Thattil: Für uns ist Petrus der erste und oberste unter den Aposteln. Der römische Papst als Nachfolger Petri ist demnach auch der Oberste unserer Kirche – unser Vater.
DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich von unserem neuen Papst Leo XIV.?
Thattil: Papst Leo kennt Indien sehr gut. Er ist ein Augustiner und war lange der Generalobere der Gemeinschaft. Mehrmals hat er unser Land und unsere Kirche besucht. Schon vor seiner Wahl hat er versprochen, fünf indische Augustiner zu Priestern zu weihen, da sie in ihrem Bistum im Moment keinen Bischof haben. Er hatte versprochen, dass er dafür nach Indien kommen wird. Das ist nun als Papst schwer möglich, aber die fünf Brüder möchten nun nach Rom, um von ihm geweiht zu werden.
DOMRADIO.DE: Ihre Kirche hat in den vergangenen Jahren weltweite Schlagzeilen gemacht mit einem Liturgiestreit, der große Kreise gezogen hat. Im Kern steht die Frage ob die Messe der Gemeinde oder dem Altar zugewandt gefeiert wird. Sie haben nun einen Kompromiss ausgehandelt. Wird das den Konflikt nun endlich lösen?
Thattil: Die orientalischen Kirchen feiern die Messe traditionell immer gen Osten. Als indische Kirche haben wir uns aber entschlossen, die Messe dem Volk zugewandt zu feiern. Diese Entwicklung kam mit der Zeit und auch mit gesellschaftlichen Veränderungen. Später hat unsere Synode aber beschlossen, dass es einen Kompromiss zwischen Tradition und Moderne geben muss. Unser Kompromiss war den Wortgottesdienst dem Volk zugewandt zu feiern und die Eucharistie zum Altar, also in Richtung Osten. Ich fand das eine gute Lösung. Vorher gab es einige, die nur zum Volk oder nur zum Altar feiern wollten. Nach diesem Entschluss haben wir versucht, diesen Kompromiss zu gehen.
33 von 34 unserer Diözesen sind diesen Weg mitgegangen, nur in unserem Erzbistum Ernakulum-Angamaly gab es diesen Konflikt. Die Bistumsstadt Kochi ist eine sehr diverse, kosmopolitische Stadt. Dort haben einige diesen Kompromiss nicht akzeptiert. Das hat aber oftmals eher soziale als theologische Gründe. In Kochi gibt es viele Christen, die im lateinischen Ritus feiern. Teilweise befinden sich die Kirchen der verschiedenen Riten auf dem gleichen Gelände.
Ich hoffe, dass meine Wahl zum Großerzbischof nun einen Endpunkt für diesen Streit bedeutet. Ich sage ganz klar: Wir müssen unsere Tradition bewahren und gleichzeitig die Situation vor Ort wahrnehmen. Ich hoffe, dass wir nun Stück für Stück zusammenfinden und einen gemeinsamen Weg gehen können und die Flagge der Einheit hissen können!
DOMRADIO.DE: Von außen hat man den Eindruck, dass es hier oftmals mehr um Emotionen als um Theologie geht. Ein Papstbotschafter wurde ja sogar mit Eiern beworfen.
Thattil: Das ist wahr, da haben Sie das Problem sehr gut erkannt.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen für sieben Millionen Christen, was immer noch eine kleine Minderheit im hinduistischen Indien ist. Welchen Stand haben Sie da als Christen?
Thattil: Indien ist ein riesiges, demokratisches Land. Seit fünfzig Jahren wird auch unsere Politik von Kräften geprägt, die an allererster Stelle den Hinduismus sehen, genau wie in Europa die Christen im Vordergrund stehen. Nach meiner Ansicht gibt es eine ganze Reihe fundamentalistischer christlicher Strömungen, vor allem der Pfingstkirchen. Von denen kommen oftmals auch unnötige Provokationen gegen die Regierung.
Die normalen, traditionellen Kirchen sind da anders eingestellt, wir haben nur sehr selten Probleme mit der Hindu-Mehrheit. Was in den Medien ankommt ist also nur eine Seite der Geschichte. Probleme gibt es, aber sie sollten nicht so übertrieben dargestellt werden.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.