DOMRADIO.DE: Der 29. Juni ist der Tag der Autobahnkirche. Was wird denn in den 44 Autobahn-Kirchen geboten, besonders bei Ihnen in Adelsried?
Reiner Hartmann (Pfarrer in der Autobahnkirche "Maria Schutz der Reisenden" in Adelsried): Bei mir steht der Gottesdienst, der an jedem Sonntag um 10 Uhr und um 18 Uhr stattfindet unter einem besonderen Fokus. Den gestalen immer die Kolleg*innen der Autobahn-Fernfahrer-Seelsorge; sie rücken besonders die prekäre Situation der Lkw-Fahrer in den Blick, die ja manchmal unter ausbeuterischen Bedingungen für uns sorgen, dass die Regale voll sind, dass wir heute etwas bestellen und morgen wieder zurückschicken können. Der Gottesdienst morgen steht unter dem Stichwort "Toter Winkel".
Im Anschluss findet traditionell eine Fahrzeugsegnung statt. Unser Parkplatz ist dann rappelvoll. Besonders Menschen, die ein neues Auto haben, wollen das unter den Segen Gottes stellen, aber auch viele andere, weil sie wissen, dass beim Autofahren immer ein Restrisiko bestehen bleibt.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es in Ihrer Autobahn-Kirche an der A8 aus? Wie müssen wir uns die Kirche im Inneren vorstellen? Viel Platz ist ja wahrscheinlich nicht...
Hartmann: Ich glaube 100 bis 200 Leute gehen da schon rein. Aber das Tolle an unserer Kirche ist, dass daran ganz viel Glas ist. Die Eingangsfront und die gegenüberliegende Front sind aus Glas. Viele Leute feiern mit Blick nach draußen Gottesdienst mit und andere können reinschauen. Man ist drinnen, hat einen Ort der Geborgenheit und sieht aber gleichzeitig nach draußen.
Als einziger Kunstgegenstand hängt oben in der Mitte so ein altes barockes Kreuz. Ansonsten ist es ganz schlicht gehalten, es ist ein großer offener Raum; zwei Heiligenfiguren und eine Marienfigur stehen am Rand. Es ist ein schlichter Raum, der in die Weite führt, so würde ich es beschreiben.
DOMRADIO.DE: Autobahnkirchen sind ein Ort der Ruhe, ganz im Gegensatz zu dem, was so nebenan auf der Autobahn abgeht. Wer macht Halt bei ihnen?
Hartmann: Viele. Ich glaube, viele unserer Kirchen haben nur sehr begrenzte Milieus, die dort anhalten. Zu uns kommen irgendwie alle, Jung und Alt. In den Ferienzeiten sind sicherlich mehr Familien da. Wir haben so einen kleinen Park bei uns um die Kirche herum, wo man schön Picknick machen kann.
Es sind Geschäftsreisende, es sind - ich schaue immer gern in unser Fürbittenbuch - junge Menschen, die um ein gutes Abitur bitten, es sind Menschen, die in Beziehungskrisen stehen und um die Rettung ihrer Beziehungen hoffen. Die ganzen Schicksalsschläge, von Jung bis Alt, lese ich da. Das gibt mir eine Idee von den Menschen, die bei uns an der Kirche anhalten.
DOMRADIO.DE: Autobahnkirchen sind ja quasi ein deutsches Phänomen. Nirgends sonst in Europa sind sie so verbreitet wie bei uns. Warum ist das so?
Hartmann: Ich meine, aktuell wird in der Schweiz noch eine neue Autobahnkirche geplant, die in Richtung Süden führt. Ich weiß es nicht genau, ich kann mir vorstellen, weil es in Deutschland nach wie vor eine besondere Partnerschaft zwischen Staat und Kirche gibt.
Es gibt hier überall Autobahnen und Kirchen. Die Tradition, dass Autobahnkirchen ausgeschildert werden, hat sich im Jahr 1958 in Augsburg nach langem Ringen ergeben- dazu braucht es eine Partnerschaft zwischen Staat und Kirche. Ich glaube, dass diese Partnerschaft die Grundlage dafür ist.
DOMRADIO.DE: Ihre Autobahnkirche in Adelsried ist die älteste in Deutschland. Fällt Ihnen eine besondere Begebenheiten, ein besonderes Gespräch in der Kirche ein?
Hartmann: Es kam einmal ein ziemlich alter Mann zu mir, der mit seiner Frau unbedingt seine Diamantene Hochzeit in der Kirche feiern wollte. Normalerweise mache ich das nicht -aus zeitlichen Gründen-, aber vor 60 Jahren war er als Jugendlicher im Gottesdienst hier und hat da eine junge Frau entdeckt, die mit einer Freundin auf der Durchreise war und die ihm irgendwie spontan gefallen hat.
Auf dem Parkplatz ist dann zufällig jemand an den Spiegel des anderen Autos gestoßen, woraus sich eine Kontaktmöglichkeit ergeben hat und über eine spontane Einladung zum Frühstück und einen vergessenen Schal war die Chance zum Kennenlernen da. Und sie sind glücklich und auch jetzt nach 60 Jahren immer noch verheiratet. Das war schon sehr besonders.
Das Interview führte Carsten Döpp.