DOMRADIO.DE: Nach dem Tod von Papst Franziskus am 21. April hatten die Kardinäle die Feier der Heiligsprechung vom 27. April auf unbestimmte Zeit verschoben. Wie wichtig war es für die Gläubigen, dass es zeitnah einen neuen und konkreten Termin gibt?
Bruder Thomas Freidel OFM (Pilgerseelsorger in Assisi): Das war vielen hier sehr wichtig, auch unserem Bischof von Assisi. Er ist insgesamt sehr engagiert in der Causa Carlo Acutis. Der Bischof hat darauf gedrängt, dass man die Heiligsprechung bald macht und gesagt, dass es im Rahmen des Heiligen Jahres noch genügend Gelegenheiten dafür gibt.
Das ist jetzt auch der Fall. Er wird zusammen mit Pier Giorgio Frassati heiliggesprochen. Der war bei seinem Tod auch noch ein junger Mann. Das ist aber bereits eine längere Zeit her. Er starb in der Zeit des Ersten Weltkriegs und war ebenfalls sozial engagiert. Deshalb passt das ganz gut.
Wir werden uns auf einen großen Besucheransturm einrichten. Das hätten wir auch schon im April so gemacht. Wir haben extra für diese und andere Anlässe einen Altar im Freien vor der Basilika aufgebaut, sodass man dort mit vielen großen Gruppen Gottesdienst feiern kann. Denn das Grab selber befindet sich hier in der Kirche Santa Maria Maggiore. Aber die ist klein und ziemlich eng. Dort kann also nicht viel stattfinden.
DOMRADIO.DE: Carlo Acutis ist, wie Sie sagen, in der Kirche Santa Maria Maggiore in Assisi beigesetzt. Dort steht ein gläserner Sarg, in dem er in Jeans und Turnschuhen liegt. Mittlerweile ist es ein Pilgerort geworden, Millionen Menschen waren schon da. Wieso liegt er in Assisi?
Bruder Thomas: Zum einen hat Carlo selber den Heiligen Franziskus verehrt. Er konnte seine Eltern schon früh davon überzeugen, dass die sich hier ein Haus kaufen, wo sie ihre Wochenenden und Ferien verbrachten. Die Familie lebt eigentlich in Mailand.
Als seine Erkrankung ausbrach, war es sein Wunsch, hier in Assisi begraben zu sein. Er verstarb im Grunde fast innerhalb weniger Tage an einer aggressiven Form von Leukämie.
Die Familie hat sich damals eine Gruft auf dem städtischen Friedhof gekauft. Dort war er die ersten Jahre beigesetzt. Dann entstand eine Verehrung rund um Carlo.
Eine Selig- oder Heiligsprechung ist nichts, was von oben her angeordnet wird. Wichtig ist, dass Menschen aus dem Volk Gottes ihn weiterhin im Gedächtnis behalten und verehren. Das waren natürlich seine früheren Schulkameraden und Freunde sowie etliche andere. So kam die Sache ins Rollen. Es war die Idee des hiesigen Bischofs in Übereinstimmung mit der Familie, dass das Grab in die Kirche Santa Maria Maggiore verlegt wird.
Nachdem sich das aber alles so entwickelt hat, ist der Standort in dieser Kirche ungünstig. Größere Gruppen können dort nicht gemeinsam hingehen. Aber ob es in Zukunft noch eine andere Lösung geben wird, wird man sehen.
DOMRADIO.DE: Nun soll er am 7. September heiliggesprochen werden. Haben Sie keine Sorge, dass das Assisi und die Region überlastet?
Bruder Thomas: Ganz bestimmt. Es gibt schon Bedenken und kritische Stimmen hinsichtlich der Stadt selber, denn gerade die Altstadt in Assisi ist klein und eng. Die Straße zum Beispiel, die an der Maria Maggiore Kirche vorbeiführt, ist eine der letzten Durchfahrtsstraßen, die es hier noch gibt und über die der ganze Verkehr läuft. Alle Menschen, die hier leben, müssen hier durch, genauso wie die Lieferungen für die Gasthöfe und so weiter.
Man muss mal schauen, wie die Dinge weitergehen und wie vielleicht in Zukunft andere Entscheidungen getroffen werden. Natürlich respektiert man den Wunsch von Carlo, dass er hier in Assisi bestattet sein wollte. Aber das ist trotzdem noch eine offene Frage.
DOMRADIO.DE: Im Jahr 2006 verlor Carlo, als er gerade mal 15 Jahre alt war, den Kampf gegen den Krebs. Keine zehn Jahre später wird er schon heiliggesprochen. Das haben nur Mutter Teresa und Johannes Paul II. geschafft. Kritiker bemängeln, dass das viel zu schnell sei und Acutis viel zu jung für eine Heiligsprechung sei. Sie vermuten dahinter, dass man das in der Kirche vorantreibt, weil er sich als junger Mensch so gut als Identifikationsfigur eignet. Wie blicken Sie auf diese Kritik?
Bruder Thomas: Natürlich gibt es schon Bedenken, wenn das so schnell geht. Man sollte das alles aber mit einer gewissen Gelassenheit sehen. Klar ist, dass die Heiligsprechung von Seiten der Kirche von einigen einflussreichen Personen - auch in Rom - gefördert wurde und dass die Familie das so mitgetragen hat. Vor allem die Mutter ist da sehr engagiert und hält viele Vorträge.
Sie selber sagte, dass sie durch ihren Sohn wieder zum Glauben zurückgefunden hat. Es ist in der Tat ein seltenes Phänomen. Es gibt in der jüngeren Kirchengeschichte nur zweimal den Fall, dass die Eltern noch leben, bei Thérèse von Lisieux und bei Maria Goretti.
Aber es gibt immer Kritiker und Befürworter. Carlo hatte eine religiöse Sonderbegabung. Er hat vor allem die ganze Bandbreite des Christentums gesehen, verstanden und gelebt: Die spirituelle Komponente mit Gebet, Rosenkranz, eucharistischer Anbetung, auch die ganz klassische katholische Frömmigkeit in ihren verschiedenen Formen, aber auch das andere, das Caritative. Er hat vielen Menschen geholfen.
Die Mutter erzählt immer die Geschichte vom Tag seiner Beerdigung, wie sie in die Kirche kamen und die Kirche mit Menschen - überwiegend Bedürftige, Bettler, Obdachlose, Arme, denen Carlo geholfen hat - gefüllt war. Carlo hat es also verstanden, was Christsein im umfassenden Sinn bedeutet.
Ich wünsche mir, dass nicht immer gleich diese kirchenpolitischen Grabenkämpfe losgehen und die einen oder die anderen das irgendwie vereinnahmen. Viele Menschen befremdet heute auch der Umgang mit den Reliquien von Carlo. Aber bei manchen Dingen würde ich schon darum bitten, sich genauer kundig zu machen und zu informieren, was das bedeutet.
Manche Dinge bezeichnet man gleich als makaber. Aber was sonst in unserer Gesellschaft alles so geschieht und was wir jeden Abend im Fernsehen sehen oder in den Medien lesen können, ist dann manchmal für niemanden makaber oder komisch.
DOMRADIO.DE: Sie beziehen sich auf diese Herz-Reliquie, die letzten Herbst durch Deutschland, Niederlande und Belgien tourte. Ist das nicht ein bisschen befremdlich?
Bruder Thomas: Das kann es für jemanden sein oder auch nicht. Da sollte man jedem die Freiheit lassen. Es ist niemand dazu verpflichtet, das zu verehren oder zu schätzen. Es muss nicht Teil des religiösen Lebens von jedem sein.
Aber das ist doch katholisches Prinzip: Wenn es hilft, an dem Geheimnis, das wir Gott nennen, näher zu kommen, ist es doch gut. Und wer es nicht braucht, wem es nicht hilft, der ist in keiner Weise dazu genötigt.
Ich lebe schon bald 20 Jahre im Ausland und schaue mittlerweile mit einem etwas anderen Blick auf Deutschland. Ich rate in manchen Dingen zu etwas mehr Gelassenheit.
DOMRADIO.DE: Kann denn ein 15-Jähriger Glaubensvorbild für Erwachsene sein, die deutlich älter sind? Ist er für Sie persönlich ein Vorbild im Glauben?
Bruder Thomas: Er ist in der Phase der jugendlichen Begeisterung für den Glauben gestorben, die wir alle vielleicht in dieser Art ähnlich erlebt haben. Damit macht er mich nachdenklich und ich frage mich, wie ich damals in dem Alter war? Was habe ich über den Glauben gedacht? Er hat sehr streng und konsequent gelebt. Er ist für mich kein so aktuelles Glaubensbeispiel, wie er das für Jugendliche heute ist. Das ist durchaus nicht der Fall.
Für mich stellt sich aber eher die Frage, wie ich das weiter trage, was ich als Jugendlicher mit Begeisterung gelebt habe? Wo hat sich meine Meinung geändert? Wo bin ich vielleicht vorwärtsgekommen und habe in gewissem Sinne Fortschritte gemacht? Das ist eher für mich der Gedanke.
Carlo ist für viele Eltern oder Großeltern auch eine Art Trostgestalt mit Blick auf die eigenen Kinder und Enkel, die nicht mehr gläubig sind. Das erfahren wir hier in den Gesprächen oft, weil bei vielen Eltern und Großeltern diese Enttäuschung da ist: Man habe den Glauben gelebt, an die Kinder und Enkel weitergegeben und es entwickelt sich dennoch nichts, sie lehnen das sogar ab. Er ist in der Beziehung auch eine Sehnsuchtsgestalt.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.