DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie die Situation im Augenblick? Wie sieht es in der Stadt aus?
Bischof Wilhelm Krautwaschl (Bischof der Diözese Graz-Seckau): Ich komme gerade vom Freitagsgebet in einer Moschee bei uns in Graz, in die wir eingeladen worden sind mitzutrauern, weil ein Teil der getöteten Menschen muslimischen Glaubens war. Immer dann, wenn Kinder und Jugendliche betroffen sind, geht es natürlich noch ein Stück weiter unter die Haut. Es ist unfassbar, was da los war.
In den verschiedenen Veranstaltungen, die in den letzten Tagen stattgefunden haben, egal ob auf Österreich-Ebene, in der Stadt Graz oder auf Landesebene, gilt es immer diese eine Wirklichkeit in Erinnerung zu rufen: Wir sind Menschen. Deswegen wollen wir miteinander weitergehen. Das in dieser Zeit zu sagen, ist eine ganz wichtige Botschaft.
DOMRADIO.DE: Wie ist es, in die trauernden Gesichter zu blicken? Was können Sie als Christ und als Bischof tun?
Krautwaschl: Das ist tatsächlich eine große Frage für mich. Das Wichtigste ist Nähe, damit jene, die sprechen wollen, jemanden zum Sprechen haben. Damit jene, die einfach ihren Kopf irgendwo hinlegen wollen, einen Ort haben, wo sie ihren Kopf hinlegen können. Wichtig ist, dass Trauernde spüren, dass sie nicht mit ihrem Schmerz und ihren Fragen nach dem Warum allein sind.
DOMRADIO.DE: Muslime und Christen rücken alle in solchen Situationen zusammen?
Krautwaschl: Das ist passiert. Da sind uns die Jugendlichen ein großes Vorbild, weil sie mehr das Miteinander und das Menschsein im Blick haben, als wir Erwachsenen. Am Mittwoch, am Tag nach dem schrecklichen Amoklauf, hat die muslimische Jugend am Grazer Hauptplatz mit dem Steirischen Jugendbeirat eine Veranstaltung gemacht, wo auch der Bruder einer Getöteten und eine Klassenkollegin das Wort ergriffen haben. Das war sowas von berührend. Da kann ich nur staunen.
Das war ein kräftiges Zeichen dafür, dass wir als Gesellschaft eben beginnen sollen, stärker das Miteinander in den Blick zu rücken, als das Nebeneinander.
DOMRADIO.DE: Nun steht ein schweres Wochenende bevor. Wird es spezielle Gottesdienste und Trauerfeiern geben?
Krautwaschl: In der Pfarrei, wo die Schule liegt, gibt es am Sonntag eine Messfeier, die auch in unserem österreichischen Fernsehen und auch im österreichischen Rundfunk übertragen wird. Das ist die eine Seite.
Die Stadt Graz hat am Sonntagabend eine große Kundgebung. Da gibt es einen Part, der vom interreligiösen Beirat der Stadt Graz gestaltet wird, bei der man die Wirklichkeit des Menschen, der auf der Suche nach dem Mehr, dem Warum und nach der Transzendenz und Gott ist, ernst nimmt und nicht nur bloß die innerwirkliche Ebene im Blick hat.
DOMRADIO.DE: Kirche ist da besonders gefragt. Das ist aber auch eine besondere Herausforderung für die Kirchen. In der säkularen Welt erlebt man es so, dass Kirche nochmal ganz anders Bedeutung gewinnt, oder?
Krautwaschl: Ich glaube, dass wir wahrgenommen werden. Unsere Notfallseelsorgerinnen und Seelsorger sind selbstverständlich Teil der Kriseninterventionsteams, die vom Land gestellt werden – ökumenisch und interreligiös. Das ist eine besondere Qualität, die wir als Kirche in die Gesellschaft einbringen: Weil der Mensch zählt. Auch Religionslehrerinnen und Religionslehrer leisten gerade jetzt einen wichtigen Beitrag. Sie helfen dabei, das Unfassbare mit den Schülerinnen und Schülern zu benennen und Wege zu finden, damit umzugehen.
Heute früh erzählte mir jemand aus einer Schule, wie sie ihren gewohnten Morgenkreis genutzt haben, um Raum zu geben – damit die Jugendlichen aussprechen konnten, was sie bewegt. Solche Momente sind wichtig, um als Gesellschaft gemeinsam weiterzukommen.
DOMRADIO.DE: Und um zu vermitteln zu versuchen, dass der Tod und das Böse nicht das letzte Wort haben werden, oder?
Krautwaschl: Genau, wenn ich angesichts des Todes nach dem "Warum" frage, dann ist damit oft schon mehr gemeint – ein tieferes Suchen. Als Bischof sehe ich es als meine Aufgabe, diese Suche ernst zu nehmen und zugleich darauf hinzuweisen, dass hinter all dem auch die Wirklichkeit Gottes steht. Ob jemand das annehmen kann, ist eine persönliche Entscheidung. Aber dass ich es ausspreche, gehört zu meinem Auftrag.
Das Interview führte Johannes Schröer.