DOMRADIO.DE: Karol Nawrocki wird neuer Präsident von Polen. Was ist er für ein Mensch?
Bartosz Dudek (Journalist und Leiter des polnischen Programms der Deutschen Welle): Nawrocki ist ein ehemaliger Sportler, er war Fußballer und Amateur-Boxer. Das beschreibt schon ein wenig seinen Charakter: Nawrocki ist ein Fighter. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, wurde aber in Geschichte promoviert. Er hat sich also nach oben gekämpft. Politisch steht er weit rechts, ist sehr konservativ.
Es gab im Wahlkampf Berichte, dass er in jungen Jahren gemeinsame Sache mit Hooligans gemacht hat. Nawrocki hat auch als Securityangestellter in einem großen Luxushotel gearbeitet – mit allem was dazugehört. Außerdem gab es noch eine Affäre um einen Wohnungskauf, bei dem er als Strohmann fungiert hat. Das alles hat ihm aber nicht geschadet und wurde als Hasskampagne gegen ihn abgetan. Die Wählerinnen und Wähler hat es jedenfalls nicht beeindruckt.
Er steht der katholischen Kirche nahe und ist ein Gegner der Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes. Er steht für die enge Zusammenarbeit des Staates mit der Kirche und ist deshalb auch ein Gegner von liberalen Reformen mit Blick auf Gesetze zu queeren Personen. Er steht eindeutig hinter der Agenda des konservativen Flügels der katholischen Kirche.
DOMRADIO.DE: Die Biografie Nawrockis wirkt etwas zwielichtig. Das kann den polnischen Bischöfen und den katholischen Wählern eigentlich nicht gefallen haben.
Dudek: Hier erinnert er an Donald Trump. Genauso wie der US-Präsident ist Nawrocki ein "Teflon"-Charakter – jede Kritik perlt an ihm ab. Es hat in den USA Millionen von Christinnen und Christen auch nicht davon abgehalten, den mehrmals geschiedenen und in zwielichtige Sachen verwickelten Trump zu wählen.
Sie haben mehrheitlich für Trump gestimmt, weil er gegen die Liberalisierung von Abtreibungen war. Es gab bisher keine offizielle Stellungnahme der katholischen Kirche zur Wahl Nawrockis. Aber es ist kein Geheimnis, dass die meisten Bischöfe ihn unterstützt und sich seinen Sieg gewünscht haben.
DOMRADIO.DE: Polens designierter Präsident wurde also mit und wegen der vielen Stimmen der Katholiken ins Amt gewählt?
Dudek: Absolut. Aber dabei geht es nicht so sehr darum, dass Nawrocki gut katholisch wäre. Wichtig ist auch, dass sein Gegner bei der Wahl, der Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, der katholischen Kirche mehr oder weniger den Krieg erklärt hat. Er hat zum Beispiel verfügt, dass in Warschau in neugebauten öffentlichen Gebäuden keine Kreuze mehr hängen sollen. Das wurde ihm so ausgelegt, als wäre er ein Feind des Kreuzes und der Kirche.
Nebenbei bemerkt: Es wurden keine Kreuze abgehängt, die sich schon in öffentlichen Gebäuden befinden. Außerdem hatte Trzaskowski angekündigt, dass er im Fall seiner Wahl als eine seiner ersten Amtshandlungen das Gesetz zur Liberalisierung des Abtreibungsrechts unterschreiben würde. Dadurch war für die Katholikinnen und Katholiken, die einen Großteil der polnischen Wählerschaft ausmachen, die Entscheidung bereits klar.
DOMRADIO.DE: Nawrocki ist kein Mitglied der Partei PiS, die ihn aufgestellt hat. Wird er die Linie der erzkonservativen Partei trotzdem größtenteils umsetzen?
Dudek: Ich nehme an, dass Nawrocki mit Blick auf diese Frage genauso wie sein Amtsvorgänger Andrzej Duda ein treuer Befehlsempfänger des PiS-Parteichefs Jarosław Kaczyński sein wird. Er wird in seinem Amt alles dafür tun, um die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk zu Fall zu bringen. Er kann alle Gesetzesvorhaben blockieren, sodass das Regieren unmöglich wird. Nawrocki hat im Wahlkampf zudem antiukrainische Äußerungen von sich gegeben.
Er hat die Hilfe Polens für die Ukraine von der Dankbarkeit des Nachbarlandes abhängig gemacht. Er ist ein Trumpist und Euroskeptiker. Nawrocki hat sich vor seiner Wahl auch antideutscher Narrative bedient. Das legt nahe, dass er sich während seiner Amtszeit für Reparationszahlungen Deutschlands an Polen engagieren wird. Für das deutsch-polnische Verhältnis ist seine Wahl kein gutes Zeichen. Sein Vorgänger Duda ist da wesentlich deutschlandfreundlicher.
DOMRADIO.DE: Könnten die Bischöfe Polens hier als Mahner zu mehr Zusammenarbeit und Versöhnung auf den neuen Präsidenten einwirken?
Dudek: Das könnten sie durchaus, sie werden es aber wahrscheinlich nicht tun. Bislang sehe ich nicht, dass die katholische Kirche die rühmliche Rolle, die sie bei dem Übergang zur Demokratie in den Jahren vor 1990 gespielt hat, noch einmal einnehmen wird. Die Kirche ist zu sehr mit PiS verwoben. Die Partei hat die Bischöfe mit Privilegien und Geld mehr oder weniger korrumpiert. Ich glaube nicht, dass die kirchliche Hierarchie daran interessiert ist, der gesellschaftlichen Polarisierung entgegenzuwirken. Es ist sehr bedauerlich, dass sie keine vermittelnde Rolle einnehmen wird.
Das Interview führte Roland Müller.