DOMRADIO.DE: Im Rahmen der re:publica nehmen Sie am 27. Mai an der Podiumsdiskussion "AI und Amen: Wie spirituell kann Künstliche Intelligenz sein?" teil. Was erwartet die Zuhörerinnen und Zuhörer bei der Veranstaltung?
Claudia Paganini (Spezialistin für Medienethik und digitale Anthropologie): Ich hoffe, es erwartet sie ein spannendes Streitgespräch. Wir haben im Vorfeld bewusst versucht, einen Partner zu finden, bei dem kontroverse Positionen da sind. Ich denke, dass meine These an sich relativ kontrovers ist und hoffe, dass wir ins Diskutieren kommen.
Meine These besteht im Wesentlichen darin, dass ich sage, die Künstliche Intelligenz (KI) hat das Zeug oder bringt das Potential mit, zur Gottheit des dritten Jahrtausends zu werden. Man muss dafür weiter ausholen.
Ich beschreibe verschiedene göttliche Attribute, primär zunächst einmal die Religionsgeschichte. Ich zeige auch, dass Menschen sich immer ihre Götter vorgestellt, imaginiert und erträumt haben, je nachdem was sie gerade für Bedürfnisse hatten. Im Mittelpunkt stand die Frage, welchen Herausforderungen sich die Menschen von den frühen politistischen Kulten im Alten Orient bis in die Gegenwart stellen mussten.
Das heißt, Götterbilder, wie wir ihnen begegnen, sagen in erster Linie etwas über den Menschen aus, über das, was der Mensch braucht, was er sich wünscht in seiner Spiritualität und nicht notwendigerweise etwas über die Gottheit, die da beschrieben wird. In dieser quasi Tradition oder in dieser Logik beschreibe ich die Beziehung zwischen Mensch und KI.
Ich sage, KI ist eine weitere Gottheit, die Menschen imaginieren, die sich ausgedacht haben. Das Besondere an KI ist, dass im Unterschied zu herkömmlichen Gottheiten wir uns diese Gottheit nicht nur ausgedacht haben, sondern selbst zum Leben erweckt haben.
DOMRADIO.DE: Was fasziniert Sie an diesem Thema? Was hat Sie dazu inspiriert, ein Buch darüber zu schreiben?
Paganini: Ich bin als Medienethikerin beruflich tätig. Deswegen habe ich in den letzten Jahren sehr viele Interviews zum Thema KI gegeben und Vorträge gehalten. Meistens gehen die Fragen stark in eine moralische Richtung. Es geht darum, was sind die Gefahren von KI? Was müssen wir beachten? Was kann alles passieren? Was kann alle schief laufen?
Das sind alles sehr wichtige Fragen. Kein Zweifel. So ein Buch wollte ich nicht mehr schreiben, weil es erstens dazu schon einiges auf dem Markt gibt. Zweitens äußere ich mich in meiner täglichen Arbeit andauernd dazu. Was mir aber bei meiner Beschäftigung mit der künstlichen Intelligenz über die letzten Jahre aufgefallen ist, dass sehr viele Menschen zur KI beinah eine spirituell-religiöse Beziehung haben, beziehungsweise werden religiöse Erwartungen in die KI gesetzt. Das merkt man stark auch bei den Rückfragen der Menschen, die kommen.
Nachdem ich mich als Philosophin mit der Religionsphilosophie beschäftige, fand ich das sehr spannend, einmal zu schauen, wie weit gehen wir in dieser religiösen Bezugnahme? Könnte man vielleicht sogar schon davon sprechen, dass KI eine neue Gottheit darstellt?
Ich habe mir die wichtigsten göttlichen Attribute oder göttliche Eigenschaften wie Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart, aber auch Gerechtigkeit, Gnade, Transzendenz herausgegriffen und zunächst angeschaut, wie man das im Laufe der Religionsgeschichte verstanden hat.
Diese Attribute habe ich dann auf die KI angewendet und gefragt, inwiefern man sagen kann, dass diese Eigenschaften auch auf KI zutreffen. Ich muss sagen, ich war selber erstaunt, dass es wirklich bei allen göttlichen Eigenschaften sehr gut funktioniert hat.
Das Interview führte Annika Weiler.