DOMRADIO.DE: Was verbinden Sie mit dem verstorbenen Papst Franziskus?
Pater Eberhard von Gemmingen (von 1982 bis 2009 Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan): Papst Franziskus war ein Aussteiger. Man versteht ihn am besten, wenn man ihn mit seinen beiden Vorgängern vergleicht. Benedikt war der Mann des Dialogs mit den Intellektuellen. Er hat um die geistigen Fragen der Welt gerungen. Franziskus war der Papst, der sich den Armen und Kleinen zugewandt hat.
Der Ausgangspunkt war sehr unterschiedlich. Papst Johannes Paul II. hingegen hat sich der Politik gewidmet, weil damals der Kommunismus zusammenbrachen. Dazu hat er kräftig beigetragen. Viele Aussagen über Franziskus, die jetzt in den Medien zu hören sind, halte ich für oberflächlich. Denn sie stammen aus der Beurteilung von Menschen, die von Kirche kaum eine Ahnung haben.
Es stimmt zwar, dass sich auch gläubige Christen Priesterinnen oder zumindest mehr Ämter für Frauen in der Kirche wünschen, aber die meisten dieser Forderungen kommen nicht aus dem Glauben, sondern sind dem Zeitgeist geschuldet. Das kann man verstehen und ich will es nicht verurteilen, aber vieles, was über Franziskus gesagt wird, stammt nicht aus tieferem Denken.
DOMRADIO.DE: Was wird als Erbe aus dem Pontifikat von Franziskus bleiben?
Von Gemmingen: Sein Aufruf, sich um die Armen zu kümmern. Ich erinnere vor allem daran, dass Franziskus noch wenige Tage vor seinem Tod in einem Gefängnis in Rom war. Das darf nicht vergessen werden. Wir sollten uns immer fragen, ob wir uns hinreichend den Armen zuwenden oder uns am Reichtum oder an Wirtschaftsfragen orientieren. So wie der Rest der Welt.
Das sollte mit Blick auf Franziskus in Erinnerung bleiben. Leider ist die Menschheit vergesslich. Franziskus darf mit seinen Themen nicht vergessen werden. Genauso wenig wie die geistigen Fragen, um die Benedikt gerungen hat. Viele Leute wurden jedoch von Franziskus enttäuscht, denn sie nahmen an, dass sich mit ihm vieles verändern und verbessern würde.
Doch sie wurden enttäuscht, weil ihre sehr konkreten Forderungen nicht erfüllt wurden. Ich fürchte, Franziskus hat zu sehr den Emotionen nachgegeben und große Reformen angedeutet, aber es waren keine festen Zusagen. So kamen keine Veränderungen. Deshalb ist die Enttäuschung in gewissen Kreisen groß.
DOMRADIO.DE: Es gibt Beobachter, die das Pontifikat von Franziskus für eine Zeit der Aussaat halten. Die Früchte, also die Reformen in der Kirche, würden dann erst von späteren Päpsten geerntet. Was halten Sie von solchen Aussagen?
Von Gemmingen: Ich bin kein Prophet. Deshalb kann ich nicht sagen, ob sich manches nicht erst jetzt nach Franziskus' Tod erfüllen wird. Wir dürfen nicht vergesslich sein und müssen uns an das erinnern, was er uns hinterlassen hat. Neben der Zuwendung zu den Armen ist auch sein Eintreten für Verständigung mit dem Islam ein großes Erbe von Franziskus.
Gleiches gilt für die Synodalität, die nicht bedeutet, zu diskutieren oder theologische Machtkämpfe auszutragen, sondern zuzuhören, was der andere sagt, das in sich aufzunehmen und zu schweigen.
DOMRADIO.DE: Welche Themen sind im Pontifikat von Franziskus unvollendet geblieben?
Von Gemmingen: Besonders das Thema Synodalität, denn das konnte Franziskus gar nicht vollenden oder abschließen. Aber Synodalität ist ein sehr guter Ansatz, denn es stehen ständig Fragen aus Kirche und Welt im Raum.
Vor Hunderten von Jahren, als die meisten Menschen nicht lesen und schreiben konnten, wurden diese Fragen einfach von den Autoritäten beantwortet. Heute können sehr viele Leute lesen, schreiben und auch denken. Deswegen muss man in Gemeinschaft tun, was man früher nur von Autoritäten erwarten konnte.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus und Sie gehören beide zum Jesuitenorden. Wie hat sich das in nun zu Ende gegangenen Pontifikat niedergeschlagen?
Von Gemmingen: Franziskus‘ jesuitische Prägung hat sich sicherlich in einem Pontifikat ausgewirkt. Aber bedeutende Anzeichen, dass Franziskus Jesuit war, kann ich in seiner Amtszeit bei genauem Hinsehen nicht erkennen. Als er in seiner Zeit als Erzbischof von Buenos Aires nach Rom kam, hat er nie bei uns Jesuiten gewohnt, sondern immer in dem Gästehaus, in dem die Bischöfe und Kardinäle wohnten.
Denn, wenn er in unser Jesuitengeneralat gekommen wäre, dann wäre er ein bisschen als Bischof aus dem Orden gefeiert und hervorgehoben worden. Aber er wollte das nicht und ist in das Gästehaus für die Bischöfe gegangen, weil dort jeder Bischof einfach nur ein- und ausgecheckt ist – und eben nicht bejubelt wurde. Ich denke, das stand dahinter. Jedenfalls war es eigenartig, dass er nicht bei uns Jesuiten logiert hat, sondern in diesem Gästehaus.
DOMRADIO.DE: Sie kennen die Kurie sehr gut, besonders natürlich zur Zeit von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. Was hat sich nach den Reformen von Papst Franziskus dort verändert?
Von Gemmingen: Es sind einige Frauen, vor allem Ordensfrauen, auf sehr verantwortungsvolle Posten gehoben worden. Die Zahl der europäischen Repräsentanten im Vatikan ist zurückgegangen und die Zahl der Lateinamerikaner, Asiaten und Afrikaner hat zugenommen.
Franziskus hat außerdem das Kardinalskollegium stark umgebaut: Städte, die immer einen Kardinal hatten, so wie Mailand und Paris, haben heute keinen Kardinal mehr – und dafür hat die Mongolei zum ersten Mal einen Kardinal.
Das Interview führte Roland Müller.