DOMRADIO.DE: Am Ostersonntag hat Papst Franziskus noch einmal all seine Kraft zusammengenommen, um den Ostersegen zu spenden. Würden Sie sagen, dass das typisch für Franziskus war?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Autor): Ja, das war typisch für ihn. Unter seinen Lebensumständen war das wirklich eine grandiose Leistung. Er wollte unbedingt den Ostersegen 'Urbi et Orbi' spenden, der ein wichtiges Moment im gottesdienstlichen Leben der Gläubigen ist. Dazu kommt die recht lange Fahrt ohne Sauerstoffzuführung durch die Menge der Gläubigen. Es war ihm ein großes Anliegen, um zu zeigen, dass er noch bei den Menschen ist, dass er da ist. Das alles war auch getragen von dem Leitmotiv des Heiligen Jahres unter dem Titel "Pilger der Hoffnung". Er wollte wohl auch vermitteln, dass im Heiligen Jahr und auch am Ostertag die Hoffnung ein wirklich prägendes Prinzip des christlichen Glaubens ist.
DOMRADIO.DE: Kaum hat Franziskus seinen letzten Atem ausgehaucht, brechen die wildesten Spekulationen um seine Nachfolge los. Wie empfinden Sie das?
Nersinger: Wenn wir den Blick durch die Jahrhunderte schweifen lassen, kommt uns die Erkenntnis, dass das schon immer so war. Das ist bei jedem Konklave gewesen. Sobald der Papst den letzten Atemzug getan hat, kommen die Spekulationen und auch die Kämpfe auf. Man muss leider von Kämpfen um den künftigen Papst sprechen. Das ist eine völlig natürliche Sache. Sie stößt uns teilweise oder auch gänzlich ab. Aber das ist eine Tatsache, die immer da war. Die Sedisvakanz ist eine besondere Zeit.
DOMRADIO.DE: Die Sedisvakanz ist die Zeit zwischen zwei Päpsten. Was ist das Besondere und vielleicht auch das Besondere, dass sie in die eigentlich österliche Freudenszeit fällt?
Nersinger: Die Sedisvakanz ist eine schreckliche Zeit, ein Moment des Schreckens. So sah man es stets in der Kirchengeschichte. Es gibt kein Kirchenoberhaupt. Ein Neues ist noch nicht definitiv in Sicht. Es wird zwar gewählt, aber zuvor ist eine Zeit, in der man führungslos ist. Die Angst besteht vor dem, was kommen wird. Was kann in dieser Zeit der Sedisvakanz alles geschehen? Wer wird unter Umständen Einfluss nehmen auf die kommende Papstwahl? Wie reagiert die Welt darauf? Es sind alles Überlegungen, die von Sorge getragen sind. Wenn ein solches Ereignis auch noch in eine Freudenzeit fällt, ist das ein Dämpfer auf das, was man normalerweise nicht in einer Zeit der österlichen Freude erlebt.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus hat selbst vorgesorgt. Er hat vor einiger Zeit verfügt, dass er nicht im Petersdom beigesetzt werden will, sondern in seiner Lieblingskirche in Rom, in Santa Maria Maggiore. Er möchte in einem schlichten Holzsarg beigesetzt werden. Es gab einige Verwirrung darüber, ob er vorher im geschlossenen oder im geöffneten Sarg im Petersdom aufgebahrt werden soll. Es kursieren schon Bilder vom im offenen Sarg aufgebarten Leichnam. Woher diese Verwirrung?
Nersinger: Bei all diesen Dingen herrscht eine große Problematik. Wir sehen viele Dinge, die in der Kommunikation nicht richtig laufen. Das hängt aber auch teilweise schon mit den Texten zusammen. Ich habe den Ordo der Beisetzung vor mir. Da ist manches nicht so hundertprozentig klar. Es ist vieles nicht so kommuniziert worden, wie es eigentlich von uns erwartet wird. Der Vatikan befindet sich auch in einer Schocksituation. Da gibt es Probleme, alles zu vermitteln und manchmal kennt man die Kompetenzen nicht. Wer hat was zu sagen?
Manche Formulierungen im Begräbnisordo sind interpretierbar. Zum Beispiel ist es kein schlichter Holzsarg. Er ist mit Zink ausgestattet. Früher waren es drei Särge, nun ist es dieser verzinkte Holzsarg. Dass der Sarg noch nicht geschlossen ist, wäre eigentlich klar gewesen. Es war aber auch schwierig aus den Dokumenten herauszulesen. Wir sehen jetzt, dass der Sarg offen ist. Es sind Dinge, die einfach der fehlenden Kommunikation geschuldet sind.
DOMRADIO.DE: Wann hat es das zum letzten Mal gegeben? Ein Papstbegräbnis außerhalb von San Pietro.
Nersinger: Es gab zwei Beisetzungen, eine davon sehr dramatisch. Das war unter Pius IX., nach dem Ende des Kirchenstaates. Der Papst hatte verfügt, dass er außerhalb der römischen Mauern beigesetzt wird, in San Lorenzo fuori le Mura. Das ist aber sehr schwierig gewesen damals, weil es natürlich die Zeit nach dem Ende des Kirchenstaates war. Wir hatten in Rom eine antiklerikale und antichristliche Gesinnung. Die Regierung war getragen von nicht gerade freundlichen Gedanken gegenüber der Kirche. Es war so heftig, dass die Überführung des Papstes, die übrigens erst einige Jahre nach dem Tod erfolgen konnte, so dramatisch wurde, dass der Mob drohte, den Sarg des Papstes in den Tiber zu werfen. Mit großer Anstrengung konnte das verhindert werden. Das war Pius IX.
Die letzte Beisetzung war von Leo XIII. Er wurde auch außerhalb von Sankt Peter, in der Lateranbasilika beigesetzt. Ebenfalls unter erschwerten Verhältnissen, aber nicht mehr unter solch Dramatischen. Es war immer noch die Zeit, in der es noch keinen Vatikanstaat gab und das Verhältnis zwischen Kirche und Staat noch nicht geregelt war. Aber das ist recht harmlos abgelaufen. So ist der letzte Papst, der außerhalb von St. Peter beigesetzt worden ist, Leo XIII. in der Lateranbasilika.
DOMRADIO.DE: Am Ostersonntag hat Papst Franziskus seine Osterbotschaft verlesen lassen. Ist sie zu einer Art Vermächtnis geworden?
Nersinger: Nicht nur die Osterbotschaft. Alles, was an diesem Ostersonntag geschehen ist, ist das Vermächtnis des Papstes. Natürlich in der Botschaft das Anliegen des Friedens, dem er sich doch verpflichtet fühlte und zu dem er nochmals einen Impuls geben wollte. Aber auch die Erteilung des Segens und die Fahrt durch die Gläubigen. All das sollten wir zusammen sehen als das Erbe, als ein Vermächtnis des Papstes. Auch vermutlich mit dem Gedanken des Papstes, dass er das Leitthema "Hoffnung" des Heiligen Jahres mit alldem verbinden wollte.
Dieses Interview führte Hilde Regeniter.