Studie hinterfragt Wirken der Lübecker Märtyrer in der NS-Zeit

Mehrschichtiges Bild

Für die Christen in Norddeutschland spielen die von den Nazis hingerichteten Lübecker Märtyrer eine wichtige Rolle. Sie werden als Vorbilder verehrt. Doch eine neue Studie beleuchtet auch kritische Aspekte ihres Wirkens.

Blick auf das Holstentor in Lübeck / © John Argent Productions (shutterstock)
Blick auf das Holstentor in Lübeck / © John Argent Productions ( shutterstock )

Eine wissenschaftliche Studie deckt bislang unbekannte Seiten der in der NS-Zeit getöteten Lübecker Märtyrer auf. Das Bild sei wesentlich differenzierter als bisher dargestellt, sagte Studienautor Sebastian Holzbrecher der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). 

"Bislang hat man aus einem Blickwinkel der tiefen Verehrung heraus angenommen, die drei katholischen Priester und der evangelische Pastor seien vorrangig Opfer der nationalsozialistischen Propaganda geworden und letztlich für ihr seelsorgliches Wirken bestraft worden", so der Hamburger Theologie-Professor. Die Akten ihres Prozesses und kirchliche Quellen lieferten jedoch ein mehrschichtiges Bild.

Seliggesprochen 

Die Lübecker Märtyrer haben für viele Christen in Norddeutschland eine große Bedeutung. Es handelt sich um die drei katholischen Kapläne Johannes Prassek, Hermann Lange und Eduard Müller sowie den evangelischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink.

In einer leeren Kirche liegt eine Bibel auf dem Ambo. / © Daniel Yagodkin (shutterstock)
In einer leeren Kirche liegt eine Bibel auf dem Ambo. / © Daniel Yagodkin ( shutterstock )

Sie wirkten in der NS-Zeit in Lübeck und lehnten sich etwa in Predigten gegen das Regime auf. Dafür wurden die vier am 10. November 1943 in Hamburg hingerichtet. 2011 wurden die drei Priester von der katholischen Kirche seliggesprochen, Stellbrink erhielt dabei ein ehrendes Gedenken.

"Feindpropaganda" im Predigttext

Die drei katholischen Priester haben laut Holzbrecher die Predigten des berühmten Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen nicht nur kopiert und verbreitet. "Johannes Prassek hat sie eigenständig um weitere Informationen ergänzt, die aus Sicht derNationalsozialisten der ausländischen 'Feindpropaganda' Vorschub geleistet haben", so der Experte für Kirchengeschichte. "Die jungen Priester haben dabei Informationen weitergegeben, die sie nicht selbst verifiziert hatten."

Anstacheln zum Widerstand

Auch haben sich Holzbrecher zufolge Eltern von jungen Lübecker Soldaten beim zuständigen Bischof von Osnabrück über das Verhalten der drei katholischen Priester beschwert. "Nachdem ihre Söhne verhaftet wurden, haben sie den Kaplänen vorgeworfen, in Seelsorgestunden politische Themen diskutiert und ihre Söhne zu widerständigem Verhalten angestachelt zu haben." 

Mit dieser Kritik am Verhalten der drei jungen Priester stünden die Eltern nicht alleine. Es gebe verschiedene Hinweise, dass auch die Vorgesetzten der drei Kapläne ihre Handlungen distanziert bewertet hätten. "Es ist Aufgabe unserer Forschung, diese Kritik näher in den Blick zu nehmen und auf ihre Plausibilität hin zu prüfen."

Märtyrergedenken nicht zerstören

Holzbrecher betonte, die Studie verfolge nicht die Absicht, das Märtyrergedenken zu zerstören. "Das Ziel ist, eine differenzierte Wahrnehmung und ein besseres Verständnis von den damaligen Vorgängen und Entwicklungen zu erlangen, um dann wirklich verantwortet von Märtyrern sprechen zu können."

Das Forschungsprojekt "Geschichte, Rezeption und Bedeutung der Lübecker Märtyrer" wurde im Oktober 2023 gestartet und läuft noch bis September dieses Jahres. Es soll den bisherigen Forschungsstand kritisch aufgreifen und ergänzen. Auftraggeber ist die Erzbischöfliche Stiftung Lübecker Märtyrer.

Lübecker Märtyrer

Als Lübecker Märtyrer werden die drei katholischen Priester Johannes Prassek, Eduard Müller und Hermann Lange sowie der evangelische Pastor Karl Friedrich Stellbrink bezeichnet. Sie wurden am 10. November 1943 kurz hintereinander in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg am Holstenglacis durch Enthauptung mit der Guillotine hingerichtet. Grund waren ihre als Geistliche geäußerten öffentlichen, kritischen Bemerkungen zu den Unrechtstaten in der Zeit des Nationalsozialismus. Die drei katholischen Geistlichen wurden am 25. Juni 2011 seliggesprochen.

Gedenkstätte für die Lübecker Märtyrer (dpa)
Gedenkstätte für die Lübecker Märtyrer / ( dpa )
Quelle:
KNA