Weniger Junge, Singles und Liberale in US-Gottesdiensten

Pandemie als Trendbeschleuniger

Corona hat überall Spuren hinterlassen. Auch in den Kirchenbänken. Gelegentliche Gottesdienstteilnehmer haben sich nach Ende der Beschränkungen oft endgültig verabschiedet; nicht nur in Deutschland, auch in den USA.

Autor/in:
Thomas Spang
Vater, Mutter und zwei Kinder stehen zwischen anderen Gottesdienstbesuchern am 1. Juli 2018 in San Juan (USA) / © Chaz Muth/CNS photo (KNA)
Vater, Mutter und zwei Kinder stehen zwischen anderen Gottesdienstbesuchern am 1. Juli 2018 in San Juan (USA) / © Chaz Muth/CNS photo ( KNA )

Als die US-Kirchen zu Beginn der Pandemie auf Online-Gottesdienste umschalteten, erkannten darin viele Gemeinden eine Chance.

Nun zeigt sich, dass dadurch in vielen Fällen nicht nur der physische Kontakt verlorenging, sondern auch der spirituelle. Das betrifft vor allem die weniger regelmäßigen Gottesdienstbesucherinnen und -besucher. Das gemeinsame Beten und Singen gehört für sie heute offenbar nicht mehr zur Alltagserfahrung.

Symbolbild: US-Katholiken / © Cristian Gennari (KNA)
Symbolbild: US-Katholiken / © Cristian Gennari ( KNA )

Das ist - zusammengefasst - der Befund einer Studie der konservativen Washingtoner Denkfabrik American Enterprise Institute (AEI) und des Sozialforschungsinstituts der University of Chicago. Sie sorgt unter dem Titel "Glaube nach der Pandemie" (Faith After the Pandemic) für Schlagzeilen in der Glaubenswelt.

Verlorene Schafe vorwiegend aus drei Bevölkerungsgruppen

Bei genauerer Analyse der Daten der rund 10.000 zufällig ausgewählten Personen fiel auf, dass sich vorrangig Menschen verabschiedet hätten, "die eher an der Seitenlinie standen", so Dan Cox, einer der Autoren der Studie. Die Schließungen von Kirchen hätten diesen Menschen den letzten Schubs gegeben.

Die verlorenen Schafe machen die Wissenschaftler vorwiegend in drei Bevölkerungsgruppen aus. Vor allem die Jüngeren zwischen 18 und 29 Jahren machen sich seit Abklingen der Pandemie rar im Gottesdienst.

St. Patrick Kathedrale in New York / © Andrey Bayda (shutterstock)
St. Patrick Kathedrale in New York / © Andrey Bayda ( shutterstock )

42 Prozent von ihnen gaben an, ihr Kirchgang sei nicht mehr so häufig wie vor Corona. Je älter die Befragten, desto mehr halten sie indes am Gottesdienstbesuch fest. Unter den über 65-Jährigen sagt nur einer von vier Befragten, ihr Kirchgang sei seltener geworden.

Drastisch zurückgegangen ist der Besuch auch unter Alleinstehenden, die nie verheiratet waren. Fast die Hälfte (44 Prozent) ist demnach nicht mehr erreichbar, ein Plus von 14 Prozent gegenüber der Zeit vor der Pandemie. Ähnlich der Befund unter progressiven US-Amerikanern: 31 Prozent hatten vor Corona keinen Kontakt zu einer Gemeinde; zwei Jahre später sagen das 46 Prozent.

Verschiebungen je nach Konfessionen unterschiedlich

Dem stehen Konservative, Ältere, Frauen, Verheiratete und Menschen mit einem Hochschulabschluss gegenüber, die laut AEI weiterhin fast genauso häufig in die Kirche gehen wie vor der Pandemie. Den Trend aufhalten können sie indes nicht. Die Gesamtzahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Vor der Pandemie gingen noch drei von vier US-Bürgern mindestens einmal im Monat zur Kirche; im Frühjahr 2022 waren es nur noch gut zwei von drei.

Die Verschiebungen fielen je nach Konfessionen unterschiedlich aus.

Unter weißen US-Katholiken wuchs der Anteil derer, die keine Gottesdienste besuchen, im Untersuchungszeitraum von 11 auf 18 Prozent. Bei hispanischen Katholiken verdoppelte sich die Zahl sogar auf 20 Prozent. Sieben von zehn weißen Katholiken gaben an, heute so häufig die Messe zu besuchen wie vor den Beschränkungen infolge der Pandemie.

Handicap für sozialen Zusammenhalt

Letzteres gilt auch für weiße Evangelikale. Die geringsten Veränderungen zeigten sich laut der Studie bei den Gläubigen der "Heiligen der letzten Tage" (Mormonen). Acht von zehn geben an, dass sich die Häufigkeit ihres Gottesdienstbesuchs nicht verändert habe.

AEI-Forscher Cox sieht in der Abwanderung der Gottesdienstbesucher nicht nur ein Problem für die Kirchen selbst, sondern auch ein Handicap für sozialen Zusammenhalt. Die "religiöse Polarisierung" zwischen Menschen, die sich in ihren Gemeinden engagieren und denen, die sich nicht engagieren, nehme zu.

Gottesdienstbesucher mit Maske / © Harald Oppitz (KNA)
Gottesdienstbesucher mit Maske / © Harald Oppitz ( KNA )

Die Forscherin Diana Butler Bass sieht darüber hinaus eine "Krise der Einsamkeit" auf die Gesellschaft zukommen. Viele Menschen hätten "die Fähigkeit verloren, Freunde zu finden und Gemeinschaft zu schaffen", sagt die Expertin für die sich verändernde religiöse Landschaft in den USA. Die Kirchen hätten das "noch nicht wirklich begriffen".

Angesichts dieser Befunde stünden die Religionsgemeinschaften vor großen Herausforderungen, so Bass. Sie benötigten viel Fantasie und eine Strategie, um Menschen zurück in die Kirchenbänke zu bewegen.

Während der Pandemie "kauerten wir alle im Keller", sagt der Leiter des Hartford Institute for Religion Research, Scott Thumma. "Jetzt sind alle aus dem Keller gekommen, und wir müssen kreativ damit umgehen."

Quelle:
KNA