Generalaudienz: Die Katechese im Wortlaut

Nicht wie Papageien beten

Wir dokumentieren hier den Wortlaut der Katechese, die Papst Franziskus an diesem Mittwoch gehalten hat, in in einer Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan.

Papst Franziskus grüßt Kardinal Woelki am Mittwoch bei der Generalaudienz (Reuters)
Papst Franziskus grüßt Kardinal Woelki am Mittwoch bei der Generalaudienz / ( Reuters )

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wir befassen uns weiterhin mit dem Thema der Unterscheidungsfähigkeit. Beim letzten Mal haben wir das Gebet, verstanden als Vertrautheit und Vertrauen zu Gott, als sein unverzichtbares Element betrachtet. Es geht um das Gebet, aber nicht wie Papageien. Nein: Das Gebet als Vertrautheit und Vertrauen mit Gott; Gebet der Kinder zum Vater; Gebet mit offenem Herzen. Das haben wir in der letzten Katechese gesehen. Heute möchte ich, fast ergänzend, betonen, dass eine gute Unterscheidung auch Selbsterkenntnis erfordert. Selbsterkenntnis. Und das ist gar nicht so einfach, oder? Denn es geht um unsere menschlichen Fähigkeiten: Gedächtnis, Verstand, Wille, Gefühle. Wir können oft nicht unterscheiden, weil wir uns selbst nicht gut genug kennen und daher nicht wissen, was wir wirklich wollen. Sie haben schon oft gehört: "Aber dieser Mensch, warum ordnet er sein Leben nicht? Er hat nie gewusst, was er will ...". Es gibt Leute, die ... Und dann geht sein Leben ja so, weil er auch nicht weiß, was er will. Ohne in dieses Extrem zu verfallen, aber es passiert auch uns, dass wir nicht wissen, was wir wollen, dass wir uns selbst nicht gut kennen.

Papst Franziskus kommt zu seiner wöchentlichen Generalaudienz, die auf dem Petersplatz stattfindet. / © Alessandra Tarantino (dpa)
Papst Franziskus kommt zu seiner wöchentlichen Generalaudienz, die auf dem Petersplatz stattfindet. / © Alessandra Tarantino ( dpa )

Hinter geistlichen Zweifeln und Berufungskrisen steht nicht selten ein unzureichender Dialog zwischen dem Ordensleben und unserermenschlichen, kognitiven und affektiven Dimension. Ein spiritueller Autor hat betont, dass viele Schwierigkeiten beim Thema Unterscheidung auf Probleme anderer Art verweisen, die erkannt und erforscht werden müssen. Er schreibt: „Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass das größte Hindernis für eine echte Unterscheidung und für echtes Wachstum im Gebet nicht die Ungreifbarkeit Gottes ist, sondern die Tatsache, dass wir uns selbst nicht ausreichend kennen, ja uns nicht einmal so kennen wollen, wie wir wirklich sind. Fast jeder von uns versteckt sich hinter einer Maske, nicht nur vor den anderen, sondern auch, wenn er in den Spiegel schaut“ (TH. GREEN, Weeds among the wheat: where prayer and action meet, Ave Maria Press, 1984). Wir alle sind der Versuchung ausgesetzt, uns zu maskieren, auch vor uns selbst.

Die Unkenntnis der Gegenwart Gottes in unserem Leben geht Hand in Hand mit der Unkenntnis über uns selbst - die Unkenntnis über Gott und die Unkenntnis über uns - die Unkenntnis über die Merkmale unserer Persönlichkeit und unsere tiefsten Sehnsüchten. 

Sich selbst zu kennen, ist nicht schwer, aber anstrengend: Es erfordert ein geduldiges Erforschen unseres Innersten. Es erfordert die Fähigkeit, innezuhalten, den „Autopiloten“ abzuschalten, sich der Art und Weise bewusst zu werden, wie wir Dinge tun; der Gefühle, die in uns beseelen, der immer wiederkehrenden Gedanken, die uns beeinflussen, oft ohne dass wir uns dessen bewusst wären. Und es erfordert auch, dass wir zwischen Emotionen und geistigen Fähigkeiten unterscheiden. „Ich fühle“ ist nicht dasselbe wie „ich bin entschlossen“; „mir ist danach“ ist nicht dasselbe wie „ich will“. So erkennen wir, dass die Sicht, die wir von uns selbst und von der Realität haben, manchmal ein wenig verzerrt ist. Das zu erkennen, ist eine Gnade! In der Tat kommt es oft vor, dass uns falsche Überzeugungen in Bezug auf die Realität, die auf früheren Erfahrungen beruhen, stark beeinflussen und die Freiheit einschränken, das zu tun, was in unserem Leben wirklich wichtig ist.

Wir leben im Zeitalter der Informationstechnologie und wissen, wie wichtig es ist, Passwörter zu kennen, um in Programme zu gelangen, in denen persönliche und wertvolle Informationen gespeichert sind. Auch das geistliche Leben hat seine „Passwörter“: Es gibt Worte, die das Herz berühren, weil sie sich auf das beziehen, wofür wir besonders empfänglich sind.

Der Verführer kennt diese Schlüsselwörter gut, und es ist wichtig, dass auch wir sie kennen, damit wir uns nicht dort wiederfinden, wo wir nicht sein wollen. Die Versuchung schlägt uns nicht unbedingt schlechte Dinge vor, aber Dinge, die ungeordnet sind und mit übertriebener Wichtigkeit präsentiert werden. Auf diese Weise hypnotisiert sie uns mit der Faszination, die diese Dinge auf uns ausüben: Dinge, die schön, aber illusorisch sind, die nicht halten können, was sie versprechen, und am Ende ein Gefühl der Leere und der Trauer in uns zurücklassen. Dieses Gefühl der Leere und der Traurigkeit ist ein Zeichen dafür, dass wir einen Weg "eingeschlagen" haben, der nicht richtig war, der uns in die Irre geführt hat. Dabei kann es sich zum Beispiel um einen Abschluss, eine Karriere oder eine Beziehung handeln - alles Dinge, die an sich lobenswert sind, auf die wir aber, wenn wir nicht frei sind, unrealistische Erwartungen setzen, wie zum Beispiel eine Bestätigung unseres Wertes. Wenn du zum Beispiel an eine Studie denkst, die du durchführst, denkst du dann nur daran, dich selbst zu fördern, in deinem eigenen Interesse, oder auch, um der Gemeinschaft zu dienen? Dort kannst du sehen, was die Intention eines jeden von uns ist. Aus diesem Missverständnis erwächst oft das größte Leid, denn nichts von alledem kann die Garantie für unsere Würde sein.

Papst Franziskus spricht bei seiner wöchentlichen Generalaudienz im Vatikan. / © Andrew Medichini (dpa)
Papst Franziskus spricht bei seiner wöchentlichen Generalaudienz im Vatikan. / © Andrew Medichini ( dpa )

Deshalb ist es wichtig, liebe Brüder und Schwester, uns selbst kennen zu lernen, die Passwörter unseres Herzens zu kennen, zu wissen, wofür wir am empfindlichsten sind, uns vor denen zu schützen, die mit überzeugenden Worten daherkommen, um uns zu manipulieren. Aber wir müssen auch erkennen, was uns wirklich wichtig ist, und es von den Moden des Augenblicks, den auffälligen und oberflächlichen Slogans unterscheiden. Oft berührt das, was in einer Fernsehsendung oder in einem Werbespot gesagt wird, unser Herz und bringt uns dazu, diesen Weg unfreiwillig zu gehen. Achten Sie darauf: Bin ich frei oder lasse ich mich von den Gefühlen des Augenblicks oder den Provokationen des Augenblicks leiten?

Eine Hilfe dabei ist die Gewissenserforschung, aber ich spreche nicht von der Gewissenserforschung, die wir alle machen, wenn wir zur Beichte gehen, nein. Da heißt es: "Aber ich habe gesündigt, dass ...". Nein. Allgemeine Gewissenserforschung des Tages: Was ist heute in meinem Herzen geschehen? "So viele Dinge sind vergangen ...". Welche? Warum? Welche Spuren haben sie im Herzen hinterlassen? Die Gewissensprüfung, d.h. die gute Gewohnheit, die Ereignisse unseres Tages in aller Ruhe zu überprüfen, indem wir lernen, in unseren Bewertungen und Entscheidungen festzuhalten, was uns am wichtigsten ist, was wir suchen und warum, und was wir schließlich gefunden haben. Vor allem habe ich gelernt, zu erkennen, was mein Herz befriedigt. Was sättigt mein Herz? Denn nur der Herr kann uns die Bestätigung geben, was wir wert sind. Das sagt er uns jeden Tag am Kreuz: Er ist für uns gestorben, um uns zu zeigen, wie wertvoll wir in seinen Augen sind. Es gibt kein Hindernis und kein Versagen, die eine zärtliche Umarmung von ihm verhindern könnte. Die Gewissenserforschung ist eine große Hilfe, denn dann sehen wir, dass unser Herz keine Straße ist, die an allem vorbeiführt und die wir nicht kennen. Nein. Siehe: Was ist heute passiert? Was ist geschehen? Wie habe ich reagiert? Was hat mich traurig gemacht? Was hat mir Freude bereitet? Was war schlecht und habe ich andere verletzt? Aber sehen Sie den Weg der Gefühle, der Anziehungskräfte in meinem Herzen während des Tages. Nicht vergessen! Neulich haben wir über das Gebet gesprochen, heute sprechen wir über Selbsterkenntnis. Das Gebet und die Selbsterkenntnis ermöglichen es uns, in der Freiheit zu wachsen. Sie sind Grundelemente der christlichen Existenz, wertvolle Elemente, die uns helfen, unseren Platz im Leben zu finden.

Gebet und Selbsterkenntnis ermöglichen es, in der Freiheit zu wachsen. Das bedeutet, in Freiheit zu wachsen! Dies sind grundlegende Elemente der christlichen Existenz, wertvolle Elemente, um den eigenen Platz im Leben zu finden. Ich danke Ihnen.

(vaticannews - übersetzung: silvia kritzenberger)

Quelle:
VN