Was steht im neuen Papstdokument zur Liturgie?

"Liturgie muss zu Christus hinführen"

Das neue Papstschreiben zur Liturgie kommt ganz ohne Richtlinien aus. Es habe eher meditativen Charakter, meint der Liturgiewissenschaftler Florian Wegscheider im Interview. Was betont Franziskus im Dokument und warum kommt es jetzt?

 Papst Franziskus mit Evangeliar
 / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus mit Evangeliar / © Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani ( KNA )

DOMRADIO.DE: Zu Beginn des Schreibens "Desiderio desideravi" nimmt der Papst Bezug auf ein anderes Schreiben mit dem Titel "Traditionis custodes" ("Wächter der Tradition"), das vor einem knappen Jahr veröffentlicht wurde. Was stand darin und worin besteht der Zusammenhang zum aktuellen Dokument? 

Dr. Florian Wegscheider (Lehrstuhl Liturgiewissenschaft der Universität Wien): In "Traditionis custodes", im Sommer 2021 erschienen, hat Papst Franziskus die sogenannte "außerordentliche Form" wieder eingeschränkt, nachdem Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 größere Freiheiten zugelassen hatte. Papst Franziskus hat in seinem Schreiben mit normativen, das heißt klar vorgebenden, Charakter diese Freiheiten zu einem großen Teil wieder zurückgenommen.

Liturgiewissenschaftler Dr. Florian Wegscheider

"In 'Traditionis custodes' hat Papst Franziskus die sogenannte 'außerordentliche Form' wieder eingeschränkt, nachdem Papst Benedikt XVI. ihr größere Freiheiten zugelassen hatte."

Und jetzt, eineinhalb Jahre später, hat der Papst ein Schreiben mit einem eher meditativen Charakter herausgegeben. So steht es auch in der Presseerklärung des Dikasterium für die Gottesdienste: Dass es sich nicht um ein normatives, sondern vor allem meditatives Schreiben handelt. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht das konkret aus? 

Wegscheider: Der Papst gibt in dem jetzigen Schreiben mit 65 Einzelartikeln keine einzige Richtlinie vor, sondern denkt nach und meditiert über einzelne Aspekte der Liturgie. 

Auszüge aus Franziskus' Schreiben "Desiderio desideravi"

Der Vatikan hat am Mittwoch, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, das Schreiben "Desiderio desideravi - Über die liturgische Bildung des Volkes Gottes" von Papst Franziskus veröffentlicht. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert zentrale Passagen in der offiziellen deutschsprachigen Übersetzung:

Liturgie: Ort der Begegnung mit Christus

Aufgeschlagenes Messbuch in einer Sakristei / © Harald Oppitz (KNA)
Aufgeschlagenes Messbuch in einer Sakristei / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Franziskus warnt ja vor zwei Extremen, die sich als "Gift der spirituellen Weltlichkeit" negativ auf die Liturgie auswirken. Was sind das für Extrembewegungen, von denen er da spricht oder schreibt? 

Wegscheider: Er spricht vom Gnostizismus und Neo-Pelagianismus. Zwei Formen, die kirchlicherseits in der Antike verboten wurden. Das eine ist vor allem die Subjektivität über das Gefühl. Das bedeutet, so wie es Papst Franziskus beschreibt, dass es auf meine Gefühle, meine subjektiven Empfindungen in der Liturgie ankommt. Landläufig gesagt: Was tut mir gut?

Die zweite Extremform, vor der der Papst warnt, ist die, alles selbst in der Liturgie schaffen zu können. Das heißt, wenn ich Liturgie perfekt, richtig feiere, dann geschieht das, was wir uns in Liturgie erhoffen: eine Gottesbegegnung bzw. Stärkung der Gottesbeziehung. 

DOMRADIO.DE: Wie soll das aussehen? In der liturgischen Bildung sieht der Papst ja ein wichtiges und heilsames Mittel. Müssen jetzt alle Katholiken Seminare besuchen oder wird der Gottesdienst demnächst zu einer Erklärveranstaltung? Das hört sich alles sehr kompliziert an, oder? 

Wegscheider: Genau vor dem warnt der Papst. Das will er nicht. In einem großen Teil des Schreibens wendet er sich vor allem an die Kleriker, nicht nur, aber stark an die Kleriker, wo er darum ersucht, dass sie darauf achten sollen, aus der Liturgie und in der Liturgie zu leben.

Das heißt, dass man an ihrer Feier merkt, dass sie mit Christus in einer Beziehung stehen wollen. Er sagt: "Liturgie muss zum Auferstandenen hinführen", und das nicht durch Erklärung, sondern durch gelebte Praxis. Das ist sein Schwerpunkt in diesem Schreiben. 

Liturgiewissenschaftler Florian Wegschneider

"Der Papst sagt, Kleriker sollen darauf achten, aus der Liturgie und in der Liturgie zu leben."

DOMRADIO.DE: Ganz zu Beginn des Pontifikats hieß es ja noch, Franziskus sei an liturgischen Themen weniger interessiert. Hat sich das denn jetzt grundlegend geändert? 

Wegscheider: Ich glaube, dass diese Einschätzung am Beginn des Pontifikats schon korrekt war. Wir haben zwei Schreiben in seinem jetzt schon zehnjährigen Pontifikat mit "Traditionis custodes" und jetzt dieses Schreiben, wovon nur eines normativen Charakter hat. Das heißt, es ist jetzt keine Fülle.

Was wir merken, ist, dass der Papst sehr deutlich und sehr vehement dagegen ankämpft, Liturgie zum Spielball oder, wie es der Präfekt des Dikasteriums für Liturgie auch genannt hat, zum Schlachtfeld für kirchliche Auseinandersetzung werden zu lassen. Davor warnt der Papst und da will er entschieden entgegentreten. 

Das Interview führte Michelle Olion. 

Anmerkung der Redaktion: Der Lehrstuhl Liturgiewissenschaft an der Universität Wien hat gerade die neue international und ökumenisch ausgerichtete Open-Access-Zeitschrift Ex fonte ins Leben gerufen. Die Online-Plattform wirbt für einen Dialog zwischen Liturgiegeschichte und Liturgietheologie. 

Quelle:
DR
Mehr zum Thema