Fotoausstellung "Helmut Schmidt - 100 Jahre in 100 Bildern"

"Eine ganze Stadt in Geiselhaft"

Vor 40 Jahren trafen sich Bundeskanzler Helmut Schmidt und SED-Chef Erich Honecker in der mecklenburgischen Domstadt Güstrow. Doch die Stadt war eine Fake-Kulisse: Die Güstrower "Bevölkerung" bestand aus Stasi-Leuten und Volkspolizisten.

Autor/in:
Anne-Dorle Hoffgaard und Hans-Jürgen Röder
Bundeskanzler Helmut Schmidt und SED-Chef Erich Honecker winken am 13. Dezember 1981 vom Balkon in Guestrow / © akg-images (epd)
Bundeskanzler Helmut Schmidt und SED-Chef Erich Honecker winken am 13. Dezember 1981 vom Balkon in Guestrow / © akg-images ( epd )

An den dreistündigen Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und SED-Chef Erich Honecker vor 40 Jahren in Güstrow erinnert sich der DDR-Bürgerrechtler Heiko Lietz bis heute lebhaft. "Ich bin immer noch entsetzt, wenn ich daran denke, wozu eine kleine autoritäre Machtelite imstande ist."

Um ihre zwielichtigen politischen Ziele durchzusetzen, habe die DDR-Führung am 13. Dezember 1981 bewusst die Öffentlichkeit getäuscht. Eine ganze Stadt und ihre Menschen seien "in Geiselhaft" genommen worden, so der heute 78 Jahre alte Theologe Lietz.

Die Bevölkerung in ihre Häuser verbannt

Tatsächlich glich die mecklenburgische Domstadt an jenem denkwürdigen Adventssonntag vor 40 Jahren einem Potemkinschen Dorf. Maler hatten in den Tagen vor dem Besuch trotz frostiger Temperaturen ganze Straßenzüge anstreichen müssen.

Dabei hatten sie die oberen Bereiche, die im Wagen oder beim Fußmarsch ohnehin nicht zu sehen waren, ausgespart. Verfallene Ecken, denen mit einem farbigen Anstrich nicht mehr beizukommen war, wurden kurzerhand mit einem hohen Bretterzaun oder einer quer über die Straße verlaufenden Mauer aus dem Blickfeld verbannt.

Die Bevölkerung sei in ihre Häuser verbannt und durch Stasi und Volkspolizei "ersetzt" worden, berichtet das Stasi-Unterlagen-Archiv auf seiner Internetpräsenz. Insgesamt 19.000 Stasi-Mitarbeitende und 18.000 Polizisten seien im Einsatz gewesen. Sie sollten verhindern, dass sich das Trauma des Besuchs von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) 1970 in Erfurt mit den "Willy, Willy"-Rufen des ostdeutschen Publikums wiederholte.

Auch Pastor Heiko Lietz mit Hausarrest belegt 

Menschen wie der ehemalige Pastor und Bürgerrechtler Heiko Lietz, die als politisch unzuverlässig oder gar als Staatsfeinde galten, waren mit Hausarrest belegt oder schon am Vortag unter fadenscheinigen Beschuldigungen festgesetzt worden.

Noch am Vorabend des 13. Dezember 1981 hatte sich Lietz in der Stadt umgesehen, was sich für den hohen Besuch des Bundeskanzlers so alles tat. Doch als er am nächsten Morgen mit der Asche seiner Kachelöfen vor das Haus wollte, drängten ihn mehrere unauffällig-auffällige Herren mit dem Hinweis zurück, er habe Hausarrest und demzufolge den Tag über in der Wohnung zu bleiben.

So mussten sich Frau und Kinder des evangelischen Theologen, der ein Jahr zuvor seinen Pfarrberuf aufgegeben hatte, allein aufmachen, um am sonntäglichen Gottesdienst im Güstrower Dom teilzunehmen. Wenige Stunden später sah sich - zum Abschluss seines DDR-Besuchs - der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt in Güstrow den Weihnachtsmarkt, die Ernst-Barlach-Gedenkstätte und Barlachs Bronzeplastik "Schwebender" im evangelischen Dom an.

Honecker betrat zum ersten Mal eine Kirche 

Dabei begleitet wurde Schmidt von Erich Honecker. Dieser betrat mit dem Dom-Besuch zum ersten Mal als Staats- und Parteichef eine Kirche. Zudem setzte er sich erstmals einer unzensierten Ansprache des Mecklenburger Landesbischofs Heinrich Rathke im Beisein westlicher Korrespondenten aus. Das aber war dann auch so ziemlich alles, was an diesem Tag in Güstrow der Kontrolle durch die DDR-Geheimpolizei entzogen war.

An die damaligen Ereignisse wird seit dem 3. Oktober in der Städtischen Galerie Wollhalle in Güstrow mit der Fotoausstellung "Helmut Schmidt - 100 Jahre in 100 Bildern" der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung Hamburg erinnert. Exponate aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv und dem Güstrower Stadtmuseum zeichnen die Vorbereitungen und den Ablauf des Besuchs vom 13. Dezember 1981 nach und ergänzen die Hamburger Retrospektive mit Fotografien, Dokumenten und dem 1994 entstandenen Dokumentarfilm "Drei Stunden Güstrow" von Michael Krull. Allerdings ist die Schau derzeit coronabedingt geschlossen.

"Erfreulich aber ist es zu wissen, dass ein Unrechtsstaat überwunden werden kann, wenn die Zeit dafür reif ist", sagt Heiko Lietz heute. "1989 haben wir, das Volk, diesen Machtapparat der SED in einer friedlichen Revolution zum Rücktritt gezwungen." Als Lehre aus der Geschichte "sollten wir zukünftig alle unsere Kräfte dafür einsetzen", demokratische Verhältnisse zu wahren und für die Menschenrechte.


Blick über Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern mit der ev. Kirche St. Maria / ©  Henner Damke (shutterstock)
Blick über Güstrow, Mecklenburg-Vorpommern mit der ev. Kirche St. Maria / © Henner Damke ( shutterstock )

Helmut Schmidt und Loki Schmidt  / © Ulrich Perrey (dpa)
Helmut Schmidt und Loki Schmidt / © Ulrich Perrey ( dpa )

Margot Honecker und Erich Honecker in Berlin / © N.N. (dpa)
Margot Honecker und Erich Honecker in Berlin / © N.N. ( dpa )
Quelle:
epd
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