Neuevangelisierung

Eine Frau betet mit Kreuz in der Hand über einer Bibel / © Doidam 10 (shutterstock)
Eine Frau betet mit Kreuz in der Hand über einer Bibel / © Doidam 10 ( shutterstock )

Der Begriff Neuevangelisierung bezeichnet eine vom Papst und der katholischen Kirche seit dem späten 20. Jahrhundert intensiv verwendete Bezeichnung für die Erneuerung der missionarischen Dynamik des Christentums in ehemals christlich geprägten Gesellschaften. Er zielt nicht auf eine "zweite" oder "andere" Evangelisierung, sondern auf die Wiederbelebung des Glaubens dort, wo er durch Säkularisierung, Individualisierung und gesellschaftliche Umbrüche an Kraft und Selbstverständlichkeit verloren hat.

Ursprung und Entwicklung

Die Wurzeln des Begriffs liegen in den Überlegungen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965), insbesondere in der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" und im Missionsdekret "Ad gentes", die die Kirche als "Zeichen und Werkzeug" der göttlichen Sendung in der Welt verstehen. Den Ausdruck selbst prägte Papst Johannes Paul II. Er verwendete ihn erstmals 1979 bei seiner Reise nach Polen in Nowa Huta und rief dazu auf, Europa neu zu evangelisieren – "nicht mit neuen Inhalten, sondern mit neuer Kraft, neuen Methoden und neuer Ausdrucksweise".

Theologische Grundlegung

Die Neuevangelisierung ist Ausdruck einer "missionarischen Umkehr" der Kirche. Sie will das Evangelium in einer Weise verkünden, die Menschen in der Gegenwartskultur anspricht, ohne die bleibende Wahrheit des Glaubens zu relativieren. Sie setzt bei der persönlichen Begegnung mit Christus an und sieht das Zeugnis des gelebten Glaubens als vorrangiges Instrument. Dabei unterscheidet sie sich von der klassischen Mission, die sich an Menschen richtet, die das Evangelium noch nicht kennen, und von der gewöhnlichen Pastoral, die bereits in bestehenden kirchlichen Strukturen wirkt.

Papst Benedikt XVI. führte diese Linie fort und schuf 2010 den "Päpstlichen Rat zur Förderung der Neuevangelisierung", der Initiativen zur Glaubensverkündigung in säkularisierten Ländern koordinieren sollte. Unter Papst Franziskus erhielt das Thema eine noch breitere geistliche Dimension: In seinem Apostolischen Schreiben "Evangelii gaudium" (2013) beschreibt er die Neuevangelisierung als Aufgabe aller Getauften und fordert eine "pastorale und missionarische Neuausrichtung" der gesamten Kirche.

Inhalte und Methoden

Zentral ist die persönliche Glaubensvertiefung: Neuevangelisierung beginnt mit der inneren Erneuerung der Christen selbst. Erst daraus erwächst glaubwürdiges Zeugnis. Praktisch äußert sich dies in vielfältigen Formen: Glaubenskursen (wie "Alpha" oder "Neuer Anfang"), Stadtmissionen, geistlichen Gemeinschaften, Wallfahrten, sozialen und kulturellen Projekten, aber auch in neuen Kommunikationsformen – von liturgischer Gestaltung bis zu digitalen Medien.

Die Neuevangelisierung betont zugleich den Dialog mit der modernen Kultur. Sie sucht die Sprache des Glaubens so zu gestalten, dass sie Menschen in ihren konkreten Lebenssituationen erreicht. Dabei geht es weniger um Apologetik als um das Angebot einer persönlichen und gemeinschaftlichen Erfahrung mit Christus, die Sinn und Orientierung schenkt.

Herausforderungen und Kritik

Die Neuevangelisierung steht vor der Spannung zwischen Tradition und Anpassung: Wie kann das Evangelium in postmodernen Gesellschaften überzeugend verkündet werden, ohne in Beliebigkeit zu verfallen? Kritiker sehen die Gefahr einer rein organisatorischen oder marketingorientierten Kirchenreform, die den geistlichen Kern überdeckt. Befürworter hingegen betonen, dass gerade die authentische Glaubenserfahrung, das Zeugnis und die Barmherzigkeit die wirksamsten Mittel sind, um das Evangelium neu zum Leuchten zu bringen.

Bedeutung

Heute gilt die Neuevangelisierung als Leitbegriff kirchlicher Erneuerung in Europa und Nordamerika, zunehmend aber auch in anderen Regionen. Sie erinnert daran, dass Evangelisierung keine abgeschlossene Aufgabe ist, sondern Wesensmerkmal der Kirche selbst: "Die Kirche lebt, um zu evangelisieren" (Paul VI., Evangelii nuntiandi, 1975). (DOMRADIO.DE/11.11.2025)