Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke wurde in der Nacht zum 2. Juni 2019 mit einer Schussverletzung am Kopf tot auf der Terrasse seines Hauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha gefunden. Der CDU-Politiker hatte sich in den Jahren zuvor deutlich gegen rechtsextreme Hetze und für die Aufnahme von Geflüchteten ausgesprochen – unter anderem bei einer Bürgerversammlung 2015 in Lohfelden. Diese Aussagen verbreiteten sich später verkürzt im Netz und führten zu zahlreichen Drohungen aus rechten Kreisen.
Am 15. Juni 2019 nahm ein Spezialeinsatzkommando den einschlägig vorbestraften Neonazi Stephan E. in Kassel fest. In seinem ersten Geständnis gab er an, den Mord aus Hass auf Lübckes politische Haltung begangen zu haben. Die Bundesanwaltschaft übernahm das Verfahren wegen des Verdachts auf ein rechtsterroristisches Motiv. In E. Wohnung entdeckten Ermittler unter anderem einen Revolver, ein Wärmebildmonokular mit einem Bild von Lübckes Terrasse sowie Waffenanträge. Zudem fanden sie auf Lübckes Hemd eine DNA-Spur von E..
Bereits im Ermittlungsverfahren kamen Zweifel auf, ob E. tatsächlich alleine handelte. Ein Zeuge hatte in der Tatnacht zwei Fahrzeuge in auffälliger Fahrweise in der Nähe des Tatorts beobachtet. Eines davon sei ein VW Caddy gewesen – ein Fahrzeugtyp, den E. selbst nutzte. Zudem fanden Ermittler in seiner Wohnung den Schlüssel zu einem weiteren Auto, das auf seinen Schwiegervater zugelassen war und von E. vor der Tatnacht übernommen worden sein soll. Auch dieser Wagen wurde später in Kassel sichergestellt.
In einem zweiten Geständnis belastete E. seinen Bekannten Markus H. schwer. Demnach sei H. bei der Tat anwesend gewesen und habe sogar den tödlichen Schuss abgegeben. Die Ermittler werteten E. wechselnde Aussagen allerdings als wenig glaubwürdig. Hinweise auf einen zweiten Täter wurden bislang nicht bestätigt.
Gleichzeitig weisen Experten wie der Politikwissenschaftler Hajo Funke auf ein breites rechtsextremes Netzwerk hin, das auch Einzeltäter wie E. beeinflusst. Über soziale Netzwerke seien gewaltbereite Rechtsextremisten regional eng vernetzt – unter anderem in Kassel, Halle, Chemnitz, Dortmund oder der Region Heilbronn. Selbst wenn der Mord an Lübcke durch einen Einzeltäter ausgeführt wurde, sei er Ausdruck einer gefährlichen Ideologie, die zunehmend in den Untergrund abwandere, so Funke. (dpa)