Religionswissenschaftlerin wünscht anderen Blick auf Tauben

"Keine anonyme graue Menge"

Zu Pfingsten sind sie als Friedenssymbole gern gesehen. Im Alltag haben Tauben aber einen zwiespältigen Ruf. Die Religionswissenschaftlerin Karin Schneider ist der Frage nachgegangen, warum Tauben anders betrachtet werden.

Tauben in einer Stadt / © MNStudio (shutterstock)

KNA: Ihr Buch über die in unseren Städten allgegenwärtigen Tiere ist pünktlich vor Pfingsten erschienen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein nicht-biologisches Buch über Tauben zu schreiben?

Karin Schneider (Religionswissenschaftlerin): Biologisch gibt es über die Taube auch viele interessante Dinge zu sagen, aber das interessiert die meisten Menschen nicht. Wir haben ein ambivalentes Bild von Tauben, insbesondere von Stadttauben.

Die meisten nehmen sie als Störfaktor wahr. Ich mochte Tauben eigentlich immer, und irgendwann ist mir aufgefallen, dass sich immer mehr Menschen über Tauben erregen: als wäre es der Untergang des Abendlandes, wenn irgendwo eine Taube sitzt. Da dachte ich mir, so schrecklich kann kein Tier sein - und habe untersucht, wie es dazu kommen konnte, dass Tauben in der öffentlichen Meinung so einen Sturzflug erleiden mussten.

KNA: Mit welchem Ergebnis?

Schneider: Diese ambivalente Wahrnehmung ist ein Phänomen in unseren Breitengraden. In Ländern, in denen Felsentauben in der Natur vorkommen, sind die Leute ihnen sehr freundlich gesinnt. Bei uns dagegen wird Tauben kein Platz zugestanden: Sie werden nicht als Wildtiere wahrgenommen - das sind sie auch nicht. Sie sind aber auch keine Haustiere. Wir denken in diesen Gegensätzen: Natur und Kultur, Stadt und Land, Haustiere und Wildtiere. Die Stadttaube passt zu alledem nicht, sondern steht als verwildertes Haustier dazwischen.

Zudem neigt der Mensch dazu, jede Fläche einer Bestimmung zuzuführen und kann es nicht ertragen, wenn etwas brachliegt und nicht ökonomisch genutzt wird. Diese Stelle hat keine Legitimation - und die Tiere, die dort leben, auch nicht.

KNA: Viele Vögel sind beliebt, etwa Spatzen, Meisen, Rotkehlchen. Hat die Taube eine Chance, dass auch sie wieder beliebter werden könnte?

Schneider: Das hoffe ich; auch dafür habe ich das Buch geschrieben. Ich habe festgestellt, dass es eine ganze Menge Menschen gibt, die Tauben mögen und erleichtert sind, wenn jemand anders sich ebenfalls als Taubenfreund outet. In vielen Städten haben sich Menschen organisiert, um Tauben artgerecht zu füttern, sie medizinisch zu versorgen, kranke und verletzte Tauben zu sichern und sich auch für den Bau von Taubenhäusern einzusetzen. Es gibt zwar die Hardliner unter den Taubenhassern, aber insgesamt verändert sich etwas in der öffentlichen Meinung.

KNA: Zu Beginn der Corona-Pandemie forderten Tierschützer, Tauben nicht zu vergessen, die ja von der Präsenz des Menschen leben. Zugleich verbieten viele Kommunen das Füttern von Tauben. Wie könnte eine gute "Tauben-Politik» aussehen?

Schneider: Taubenhäuser einzurichten und artgerecht zu füttern. So hat man auch die Population im Blick. Es ist unbedingt notwendig, Eier in Nestern gegen Gipseier auszutauschen, um die Population ein bisschen kleiner zu halten.

KNA: Warum?

Schneider: Stadttauben sind darauf gezüchtet, dass sie sich mehrmals im Jahr vermehren. Andere Wildvögel brüten vielleicht zweimal im Jahr, maximal dreimal. Bei Stadttauben lässt sich das nicht steuern, auch nicht durch das Futterangebot. Sie bekommen nicht weniger Junge, wenn wenig Futter vorhanden ist, sondern im Zweifelsfall verhungern die Jungvögel. Einmal im Jahr sollte man die Stadttauben allerdings ausbrüten lassen, sonst verlassen sie ein Taubenhaus.

KNA: In Ihrem Buch schildern Sie brutale Formen der Taubenjagd. Müsste der Mensch angesichts Jahrhunderten von Ausrottung nicht froh sein, dass es noch Tiere gibt, die seine Nähe suchen?

Schneider: Auf jeden Fall. Die Stadttaube hat keine andere Wahl. Sie nähert sich den Menschen nicht, weil sie sich viel von ihnen erhofft, sondern weil sie bei ihnen die einzige Möglichkeit sieht, Futter zu erhalten. Turteltauben werden auch auf schreckliche Weise gejagt, die nisten oft auf stillgelegten Truppenübungsplätzen, also in größtmöglicher Distanz zum Menschen - wenn sie überhaupt noch in Deutschland vorkommen.

KNA: Zugleich sind Tauben sehr soziale und familienorientierte Tiere. Könnte der Mensch etwas von der Taube lernen?

Schneider: Der Mensch kann von allen Tieren etwas lernen, was das soziale Verhalten betrifft. Die Taube ist ein Gemeinschaftstier.

Tauben ist bewusst, dass der Schwarm sie vor vielen Gefahren schützt, deswegen arbeiten sie stark zusammen. Tauben sind auch sehr fürsorgliche Eltern und geben alles für ihre Jungen, wenn sie geschlüpft sind. Die Kognitionsforschung hat zudem gezeigt, dass Tauben sehr beharrlich sind, wenn sie eine Aufgabe erledigen sollen. Sie geben nicht auf und haben eine riesige Frustrationstoleranz.

Außerdem gefällt mir an Tauben, dass sie kein Revierdenken haben. Sie haben ihren Standort, aber vertreiben keine anderen Tiere oder gehen in Revierstreitigkeiten.

KNA: Hat sich Ihr eigenes Verhältnis zur Taube geändert?

Schneider: Mir ist sehr bewusst, dass es sich nicht um eine anonyme graue Menge handelt, sondern dass Tauben mit Menschen interagieren.

Die Tauben, die ich täglich füttere, erkennen mich, egal, wie ich aussehe, ob ich eine Mütze oder eine Sonnenbrille aufhabe. Und sie reagieren auf mich. Wenn jemand anderes dabei ist, sind sie erstmal skeptisch. Umgekehrt stelle ich fest, dass sie eigene Persönlichkeiten haben, wie etwa Hunde oder Katzen auch. Außerdem begegnen Tauben tapfer all den Widrigkeiten, denen der Mensch sie aussetzt. Das finde ich anrührend.

Das Interview führte Paula Konersmann.


Quelle:
KNA