Forscher untersuchen unsere Ängste in Zeiten von Corona

Von Gefühlslagen und Glaubensfragen

Corona löst vor allem Ängste aus - aber auch Sinnfragen? Hier scheint eher Zurückhaltung geboten. Trotzdem kann die Kirche wichtige Angebote machen. Und den Glauben an Gott noch verstärken.

Autor/in:
Annika Schmitz
Bei der "stay4hope"-Challenge gibt es jeden Tag eine Frage zu Gott und Glaube / © Jaromir Chalabala (shutterstock)
Bei der "stay4hope"-Challenge gibt es jeden Tag eine Frage zu Gott und Glaube / © Jaromir Chalabala ( shutterstock )

Die Kirchen bräuchten nicht die Erwartung zu haben, dass sie - wie noch vor einigen Jahrhunderten oder gar Jahrzehnten - in Zeiten der Krise einen riesigen Zulauf haben, sagt der Theologe Alexander Deeg.

Der Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig zeigt sich zurückhaltend, ob die Corona-Pandemie überhaupt vermehrt religiöse Fragen aufwirft. "Die Krise löst weniger die großen Fragen nach Sinn, nach Deutung und Gott aus, sondern sie löst erst einmal Empfindungen aus", so Deeg.

Psychische Belastung wächst

Was zugenommen habe, seien psychische Gefühlslagen, die aber weniger explizite Fragen nach Gott und Religion seien. Zustimmung dazu gibt es von Seiten der Forschung. Eine Studie der Universität Bielefeld zeigt, dass Kinder vermehrt wegen Depressionen stationär behandelt werden.

Andere Umfragen verdeutlichen, dass die Corona-Krise in der Bevölkerung Ängste wie die vor einer Erkrankung und der Isolation verstärkt. Und besonders Frauen leiden unter der Doppelbelastung von Homeoffice und Homeschooling im Lockdown.

Es sind also eher weltliche Sorgen, die Menschen aktuell beschäftigen. Soziale Ungleichheit, familiäre Rollenverteilung und mehr treten in der Pandemie wie unter einem Brennglas verstärkt zutage.

Die Rolle der Religionen

"Die Krise macht Dinge sichtbar, die vorher bereits da waren", sagt Deeg und bezieht sich dabei explizit auf die Rolle von Religionen. Diese lässt sich in der Krisenbewältigung unterschiedlich bewerten.

Wer vor der Krise religiöse Fragen gestellt und sich an Kirchen als Adressaten gewandt habe, der tue dies jetzt auch, gegebenenfalls sogar verstärkt, so der Theologe. "Wer vorher nicht auf die Idee kam, vielleicht generell die Frage zu stellen, was meinem Leben Sinn und Halt gibt, der tut es auch in der Krise nicht und käme wohl kaum auf die Idee, Antworten bei der Kirche zu suchen." 

Die Münsteraner Politikwissenschaftlerin Carolin Hillenbrand kommt mit einer nicht repräsentativen Online-Befragung zu ähnlichen Ergebnissen. Etwa jeder fünfte Befragte, der keiner Religion angehörte, gab laut Hillenbrand an, sein Glaube habe sich in der Corona-Krise sogar noch weiter abgeschwächt.

Wenn Glaube Trost spendet

Bei Religionsgruppen hingegen habe sich der Glaube tendenziell eher verstärkt. Hier erfülle die Religion ihre "genuin religiöse Aufgabe" der Kontingenzbewältigung. Der Aussage "Mein Glaube gibt mir Trost, Hoffnung und Kraft in der Corona-Zeit" stimmten fast 90 Prozent der freikirchlichen Christen zu.

Unter den Katholiken waren es 58 Prozent, von den Protestanten bejahte es fast jeder Zweite. Unter den evangelikal-freikirchlich Befragten zeigt sich nach der Umfrage zudem eine erhöhte Tendenz zu Verschwörungsmythen.

Das Einbetten der Krise in eine für sie gültige, sinnstiftende Erzählung könne für manche Menschen hilfreich sein, erklärt Deeg. "Auf der extremen Seite geschieht das bei den Verschwörungsideologen, die ihre eigene Unsicherheit dadurch stabilisieren, dass das Narrativ, so abstrus es auch sein mag, die Krise für sie verständlich und handhabbar macht." 

Starke Spur

Die großen Kirchen hingegen seien in der Pandemie einen klugen Weg gegangen, findet der Theologe. "Wenn sie eine Spur stark gemacht haben, dann die des im Leiden mitgehenden Gottes." Sie hätten Fragen offengehalten, das Kreuz als Fluchtpunkt und die Auferstehung als Hoffnungszeichen markiert, nicht aber feststehende Lösungen angeboten.

Sinnvolle Rituale

Denn die Konfrontation mit Sterben, Tod und Trauer in Zeiten von Corona ist unausweichlich. Menschen reagieren mit unterschiedlichen Nöten auf die Situation, nicht aber unbedingt mit vermehrten religiösen Anfragen. Die Kirchen hätten einen liturgischen Rahmen für offene Situationen und Rituale, die Halt geben können, erklärt Deeg.

"Aber wir müssen wirklich vorsichtig sein, den Menschen erklären zu wollen, was der Sinn dieser Krise ist oder was Gott uns gar damit sagen will." Im Hinblick auf das Osterfest sieht er aber gerade in diesem Jahr auch Chancen:

"Trotzig das Lob auf Gott singen, der den Tod verwandelt gegen die Realität, die wir erleben - das gehört wohl zum Glauben dazu. Wir halten trotzig an dem Gott des Lebens fest, auch wenn wir noch in Zeiten des Leids und des Schmerzes sind."


Alexander Deeg / © Norbert Neetz (epd)
Alexander Deeg / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
KNA