Freiburger Erzbischof zu Corona, Kirchenreformen und Missbrauch

"Hoffentlich keine weiteren gesellschaftlichen Spaltungen"

Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger fordert mehr Solidarität als Lehre aus der Corona-Krise. Kirchliche Reformen und die Aufarbeitung der Missbrauchskrise will er voranbringen. Außerdem wendet er sich gegen Polarisierungen.

Einkaufen in Corona-Zeiten / © Marius Becker (dpa)
Einkaufen in Corona-Zeiten / © Marius Becker ( dpa )

KNA: Wie halten Sie es in der Corona-Krise mit dem Masken-Tragen?

Erzbischof Stephan Burger (Freiburg): Es ist immer noch ungewohnt. Aber ich komme dieser Pflicht gerne nach, um andere zu schützen. Wir sollten jetzt auch nicht zu früh über ein Ende der Maskenpflicht debattieren. Es gilt weiterhin, das Ansteckungsrisiko möglichst gering zu halten.

KNA: Die Corona-Pandemie hat über Nacht die gesamte Gesellschaft verändert. Wer ist aus Ihrer Sicht am härtesten betroffen?

Burger: Die Familien hatten schwer daran zu tragen, aber auch die Armen und Schwachen. Wir müssen darauf achten, dass nicht diese langfristig die Zeche zahlen. Die Politik hat viel Geld in die Hand genommen, um Härten abzumildern. Ich hoffe, dass sich nicht weitere gesellschaftliche Spaltungen auftun.

KNA: Zu erschütternden Situationen kam es in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Manchmal mussten Kranke einsam sterben. Hätte dies nicht verhindert werden müssen?

Burger: Kliniken und Pflegeheime kamen vielfach in extrem schwierige Situationen. Ich möchte niemandem Vorwürfe machen. Aber wir müssen alles dafür tun, dass es nicht mehr dazu kommt, dass Sterbende einsam bleiben. Im Gespräch mit der Politik, etwa bei der Landesregierung, haben die Kirchen diese Fragen auch eingebracht. Und wir sind auf offene Ohren gestoßen.

KNA: Wird die Krise zu nachhaltigem Umdenken führen, sei es bei Konsum, Flugreisen, Umweltschutz oder einem Wandel hin zu solidarischem statt egoistischem Handeln?

Burger: Corona hat uns wachgerüttelt und grundsätzliche Fragen nach einem solidarischen Zusammenleben aufgeworfen. Ich hoffe, dass wir nicht zu schnell und zu leicht wieder in alte Verhaltensweisen zurückfallen.

KNA: Deutschland scheint im internationalen Vergleich bislang gut durch die Krise zu kommen. Ein Beleg dafür, dass es vor allem einen starken Nationalstaat braucht?

Burger: Im Gegenteil! Krisen dieser Dimension und die Probleme der Zukunft können nicht durch Abschottung bewältigt werden. Das gilt in Europa wie weltweit. Auch die Kirche will Zeichen setzen. Das Erzbistum Freiburg hat eine Partnerschaft mit Peru. Als Caritas- und Misereor-Bischof begleite ich kirchliche Entwicklungszusammenarbeit weltweit. Ich hoffe, dass es uns gelingt, auch in dieser weltweiten Pandemie weiterhin solidarisch zu sein. Damit die Menschen in Not spüren: Wir ziehen uns nicht zurück.

KNA: Welche finanziellen Auswirkungen hat die Corona-Krise für die Kirche in Deutschland?

Burger: Wir rechnen im ersten Halbjahr 2020 mit einem Rückgang der Kirchensteuererträge von fünf bis zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Wir müssen deshalb genau planen, wie wir mit geringer werdenden Ressourcen umgehen. Es ist klar, dass wir für den nächsten Haushalt ab dem Jahr 2022 Prioritäten setzen müssen. Es besteht aber kein Grund zur Panik.

KNA: Nicht nur finanziell steht vieles auf dem Prüfstand. Unter der Überschrift Kirchenentwicklung 2030 hat im Südwesten ein breit angelegter Beratungsprozess begonnen, wie sich die katholische Kirche in den kommenden Jahren neu aufstellen soll. Worum geht es Ihnen hierbei?

Burger: Der inhaltliche Kern der Reformen ist es, auch weiterhin Seelsorge vor Ort zu ermöglichen. Es geht keineswegs um eine Zentralisierung. Unsere personellen Ressourcen schwinden, wir haben weniger Priester und weniger weitere pastorale Mitarbeiter. Dennoch wollen wir nah dran bleiben an den Menschen und von der befreienden Kraft des Glaubens sprechen. Unter dem Dach der neuen Pfarreien werden neue Freiräume für kreative Seelsorge und für caritatives Engagement entstehen.

KNA: Der Vatikan hat aber am Montag eher ein Stoppschild für Reformen aufgestellt. Das vom Papst unterstützte Papier weist dem Priester die alleinige Verantwortung in der Pfarreileitung zu. Auch die Debatten der vergangenen Jahre über Machtmissbrauch oder sexualisierte Gewalt scheinen spurlos geblieben zu sein?

Burger: Ich muss zunächst auch diese neue Instruktion sorgfältig lesen. Natürlich respektiere ich diese Leitlinien aus dem Vatikan. Aber ebenso müssen wir den Entwicklungen und Realitäten in unserem Land gerecht werden.

KNA: Halten Sie trotz des Vatikan-Dokumkents an den Freiburger Plänen fest?

Burger: Ja, kirchenrechtlich wird die Leitung der künftig bistumsweit rund 40 neuen Pfarreien immer bei einem Priester liegen. Möglich wäre es auch, mehrere Priester gemeinsam mit der Leitung zu beauftragen. Aber klar ist doch, dass niemand alleine eine solche Pfarrei leiten kann und will. Die genaue Ausgestaltung werden wir in den kommenden Monaten noch beraten.

KNA: Wann wird in der Diözese die erste neue Großpfarrei entstehen?

Burger: In Mannheim, Karlsruhe oder Freiburg sind die entsprechenden Planungen schon sehr weit. Vielleicht können wir etwa ab 2026 starten.

KNA: Zuletzt protestierten auch viele Katholikinnen und forderten mehr Mitspracherechte. Wie wollen Sie auf die Gruppe Maria 2.0 zugehen?

Burger: Ich habe großen Respekt vor dem Engagement der Frauen. Im September haben wir das nächste Gespräch vereinbart. Klar ist, dass ich nicht alle Erwartungen erfüllen kann. So werde ich den Diakonat oder das Priestertum der Frauen nicht realisieren können.

KNA: Sie haben auch eine breite Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und Missbrauch in der Kirche angestoßen. Wann werden hier die Ergebnisse vorliegen?

Burger: Ursprünglich wollten wir den Abschlussbericht der Kommission "Macht und Missbrauch" noch in diesem Jahr fertigstellen. Wegen Corona verschiebt sich das nun auf Anfang oder Mitte 2021. Die Experten arbeiten aber weiterhin. Dabei geht es nicht nur um den Blick zurück, sondern vor allem auch in die Zukunft. Wie können wir uns als Institution so ändern, um Missbrauch zu verhindern?

KNA: Seit Januar unterstützt das Erzbistum Missbrauchsopfer mit monatlich bis zu 800 Euro. Auch Einmalzahlungen von bis zu 30.000 Euro sind möglich. Sie haben hier Regeln gefunden, bevor sich alle katholische Bischöfe auf einheitliches Vorgehen einigen konnten?

Burger: Mir war wichtig, schnell und unbürokratisch zu helfen. Klar ist aber auch, dass wir keinen dauerhaften Freiburger Sonderweg wollen. Wenn wir auf Ebene der Bischofskonferenz einheitliche Verfahren und Regeln für alle Diözesen beschließen, werden wir diese auch hier umsetzen.

KNA: Wie sehen Sie das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe?

Burger: Mit großer Sorge. Statt Menschen beim Suizid zu unterstützen, sollten wir die Begleitung von Schwerkranken weiter verbessern. Es darf niemand sagen müssen, ich habe keine Unterstützung und entscheide mich daher für den Suizid als letzten Ausweg.

KNA: Im Herbst dürfte der Landtagswahlkampf weiter an Fahrt aufnehmen. Wie begleitet die katholische Kirche die politischen Debatten?

Burger: Wir wollen dazu beitragen, Demokratie zu stärken. Es geht um das Bewusstsein, aktuelle Herausforderungen nur im Miteinander und mit Kompromissen bestehen zu können. Mit Sorge beobachte ich eine wachsende politische Polarisierung und Radikalisierung.

Das Interview führte Volker Hasenauer. 


Erzbischof Burger (KNA)
Erzbischof Burger / ( KNA )
Quelle:
KNA