Jubiläum in der Villa Kunterbunt

Pippi Langstrumpf wird 75

Eines hatte Astrid Lindgren schon als Teenager beschlossen: "Niemals würde ich ein Buch schreiben". Dass sie mit Pippi Langstrumpf einen Kinderbuchklassiker verfasste, verdankt sich nicht zuletzt einem Schneeunfall.

Autor/in:
Inga Kilian
Die Schauspielerin Inger Nilsson im Film von 1968 als Pippi Langstrumpf / © epa Pressensbild/epa Scanpix Sweden (dpa)
Die Schauspielerin Inger Nilsson im Film von 1968 als Pippi Langstrumpf / © epa Pressensbild/epa Scanpix Sweden ( dpa )

Ein krankes Kind und eine Mutter mit blühender Fantasie - dieser Kombination verdankt die Welt die kunterbunten Geschichten über Pippi Langstrumpf. Das Mädchen mit den roten Zöpfen, das mit Äffchen, Pferd und einem Koffer voller Gold in der Villa Kunterbunt lebt, wird 75 Jahre alt. Der Hamburger Oetinger Verlag feiert das Jubiläum am 21. Mai, dem Geburtstag von Astrid Lindgrens Tochter Karin Nyman. Denn für sie erfand die schwedische Schriftstellerin das Mädchen mit den Superkräften.

Eigentlich, so erinnert sich Lindgren in ihrer Autobiografie "Das entschwundene Land", habe sie nie Bücher schreiben wollen. Schon in ihrer Schulzeit sei ihr eine Schriftstellerkarriere prophezeit worden. "Das entsetzte mich derart, dass ich einen förmlichen Beschluss fasste: Niemals würde ich ein Buch schreiben. [...] ich hielt mich nicht für berufen, den Bücherstapel noch höher anwachsen zu lassen."

Verstauchter Fuß und Griff zur Feder

Doch dann, im Winter 1941, lag Tochter Karin krank im Bett. "Erzähl mir was von Pippi Langstrumpf", bat sie ihre Mutter. Die ließ sich nicht lange bitten. Neugierig, frech, Autoritäten ignorierend, geradezu anarchisch - Pippi war alles andere als normal. Karin war begeistert, ebenso ihre Freundinnen, die von nun an gerne gemeinsam den wilden Geschichten lauschten.

Möglicherweise wäre es bei den Erzählstunden geblieben, wenn Astrid Lindgren nicht einige Jahre später, im Winter 1944, selbst hätte das Bett hüten müssen. Da war "dieser Schnee, der die Straßen glitschig wie Schmierseife machte. Ich fiel hin, verstauchte mir den Fuß, musste liegen und hatte nichts zu tun. Was tut man da? Schreibt vielleicht ein Buch? Ich schrieb Pippi Langstrumpf." Das Manuskript sollte ein Geschenk zu Karins zehntem Geburtstag am 21. Mai 1944 werden.

Die Ur-Pippi, die deutlich frecher und unangepasster daherkam als die schließlich veröffentlichte, sei keine Schablone für kinderpsychologische oder pädagogische Ansichten gewesen - "eher eine fröhliche Pazifistin, deren Antwort auf die Brutalität und Bosheit des herrschenden Zweiten Weltkriegs Güte, Großzügigkeit und gute Laune war", schreibt Autor Jens Andersen in seiner Lindgren-Biografie.

Kleiner Übermensch in Kindergestalt

Im April 1944 reichte Lindgren das Pippi-Manuskript beim schwedischen Verlag Bonnier ein. In ihrem Begleitschreiben skizzierte sie Pippi als "kleinen Übermenschen in Kindergestalt". Dank ihrer übernatürlichen Kräfte sei Pippi vollkommen unabhängig von Erwachsenen und lebe ihr Leben so, wie es ihr gefalle, schrieb Lindgren. Ihr Brief endet mit der humorvoll formulierten Hoffnung, dass der Verlag schon nicht das Jugendamt alarmieren werden. Im September erhielt sie die Absage.

In den folgenden Monaten haderte Lindgren damit; dann, im Sommer 1945, reichte sie ein überarbeitetes und geglättetes Pippi-Manuskript für einen Kinderbuchwettbewerb des Stockholmer Verlags Raben & Sjörgen ein, bei dem bereits ihr Mädchenbuch "Britt-Mari erleichtert ihr Herz" erschienen war. Sie gewann. Und im November 1945 erschien Pippi Langstrumpf.

Pippi wurde zu einem Riesenerfolg. Zunächst gab es aber auch harte Kritik. Pippi sei ein schlechtes Vorbild für Kinder, die Sprache teilweise vulgär, hieß es. Der schwedische Literaturkritiker und Pädagogik- und Psychologie-Professor John Landquist schrieb im "Aftonbladet", kein "normales Kind isst eine ganze Sahnetorte auf oder geht barfuß auf Zucker. Beides erinnert an die Fantasie eines Irren." Lindgren sei untalentiert und unkultiviert, Pippi unnormal und krankhaft. Das Buch erscheine ihm wie "etwas Unangenehmes, das an der Seele kratzt."

Das tat dem Erfolg keinen Abbruch. Bis heute wurde das Buch in 77 Sprachen übersetzt und weltweit rund 66 Millionen Mal verkauft. Auch die Verfilmungen waren ein großer Erfolg. 75 Jahre nach ihrer Geburt, ist Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf für eine ganze Generation eine Kindheitsheldin. Für Astrid Lindgren war sie der Beginn einer großen Karriere. "Ich wollte nicht Bücher schreiben", sagte sie in einem Zeitungsinterview. "Aber als ich angefangen hatte, war es schwer aufzuhören."


Quelle:
KNA